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Subsidiaritätsprinzip
Sub|si|di|a|ri|täts|prin|zip 〈n.; -s; unz.; Pol.; Soziol.〉 Prinzip, nach dem eine übergeordnete Gruppe (z. B. der Staat) nur für den Aufgabenbereich zuständig sein soll, den eine nachgeordnete Gruppe (z. B. ein Bundesland) nicht bewältigen kann

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Sub|si|di|a|ri|täts|prin|zip, das <o. Pl.> (Politik, Soziol.):
Subsidiarität (1):
nach dem S. muss der Staat hier eingreifen.

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Subsidiaritätsprinzip,
 
1) katholische Soziallehre: in der katholischen Sozialphilosophie begründetes Prinzip, nach dem die einzelnen sozialen Einheiten in der Gesellschaft grundsätzlich eigenständig sind und eigenverantwortlich handeln und der Staat in dieses Handeln allein im Bedarfsfall unterstützend und ersatzweise (»subsidiär«) eingreift. Den Ausgangspunkt bildet die Überlegung - die auf die Gesellschaft übertragen wird - dass das, was der Einzelne aus eigenem Vermögen heraus leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gemeinschaft übertragen werden darf, diese allerdings in Fällen der objektiven Überforderung des Einzelnen zur Hilfeleistung (im Sinne einer »Hilfe zur Selbsthilfe«) verpflichtet ist. Die Aufgaben, welche die gesellschaftlichen Primärgruppen (z. B. Familie, Freundeskreis) und die Sekundärgruppen örtlicher oder funktionaler Art (Gemeinden, Unternehmen, Gewerkschaften) erfüllen, dürfen danach nicht vom Staat übernommen und zentral gesteuert werden. Aufgabe des Staates als der umfassenden politischen Gemeinschaft ist es, die Voraussetzungen zu schaffen und zu erhalten, dass die kleineren sozialen Einheiten ihre, ihnen im Rahmen der gesellschaftlichen Strukturen zugeordneten Aufgaben erfüllen können. - Das Subsidiaritätsprinzip wurde im Grundsatz erstmals in der Sozialenzyklika Rerum novarum (1891) formuliert und als Prinzip der gesellschaftlichen Zuständigkeiten in der Enzyklika Quadragesimo anno (1931) entfaltet, besonders auch vor dem Zeithintergrund totalitaristischer Ansprüche des Kommunismus und des Faschismus auf die Lebensbereiche der Menschen.
 
Literatur:
 
E. Link: Das S. (1955);
 A. Rauscher: Personalität, Solidarität, Subsidiarität (1975);
 A. Rauscher: u. A. Hollerbach: Subsidiarität, in: Staatslex., hg. v. der Görres-Gesellschaft, Bd. 5 (71989);
 
Subsidiarität u. Demokratie, hg. v. O. Kimminich (1981);
 
Subsidiarität u. Selbsthilfe, hg. v. W. H. Asam u. a. (1985).
 
 2) Recht: der Grundsatz, dass eine gesellschaftliche oder staatliche Aufgabe soweit möglich von der jeweils unteren (kleineren) Einheit wahrgenommen wird. Erst wenn diese die Aufgabe nicht hinreichend zu erfüllen vermag, soll die nächsthöhere Einheit sie wahrnehmen. Es hat danach das Individuum oder die Familie Vorrang vor höherstufigen Einheiten; im staatlichen Bereich ist das Subsidiaritätsprinzip für das Verhältnis zwischen Gemeinde oder sonstigen Selbstverwaltungskörperschaften und der Zentralinstanz sowie föderativ für das Verhältnis zwischen den Ländern und dem Bund von Bedeutung. Nach vorherrschender Auffassung enthält das GG zwar kein Subsidiaritätsprinzip als allgemeines Rechtsprinzip, jedoch macht es der 1992 neu in die Verfassung eingefügte Art. 23 zu einem Strukturprinzip für die Weiterentwicklung der EU im Sinne einer Voraussetzung der deutschen Beteiligung daran.
 
Im europäischen Gemeinschaftsrecht soll das Subsidiaritätsprinzip die Verteilung der Regelungszuständigkeit zwischen der EG auf der einen und den Mitgliedstaaten auf der anderen Seite bestimmen und dabei einen übertriebenen europäischen Zentralismus sowie eine unnötige Regelungsdichte verhindern. Der Maastrichter Vertrag über die Europäische Union vom 7. 2. 1992 nimmt das Subsidiaritätsprinzip als allgemeine Maxime in die Verträge auf: Art. 3 b des EG-Vertrages bestimmt, dass die Gemeinschaft in Bereichen, die nicht in ihre ausschließl. Zuständigkeit fallen, nach dem Subsidiaritätsprinzip nur tätig wird, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf der Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend und daher auf europäischer Ebene besser erreicht werden können. Der Vertrag von Amsterdam vom 2. 10. 1997 konkretisiert die Vorgaben des europarechtlichen Subsidiaritätsprinzips durch ein Subsidiaritätsprotokoll, durch das die Grundsätze, die der Europäische Rat im Dezember 1992 für die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips verabschiedet hatte, zumindest teilweise rechtsverbindlich werden. Da die Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips bei VO und Richtlinien der EG nur begrenzt vom Gerichtshof der EG überprüft werden kann, erwartet man, dass sich daraus eine Verringerung der »Brüsseler« Regelungen nur ergeben wird, wenn die EG-Kommission sich bei ihren Vorschlägen eine gewisse Selbstbeschränkung auferlegt.
 
Im deutschen Verfassungsprozessrecht der Grundsatz, dass eine Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht nur dann erhoben werden kann, wenn der Beschwerdeführer alle anderen prozessualen Möglichkeiten ausgeschöpft hat, um die behauptete oder geschehene Grundrechtsverletzung zu beseitigen.

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Sub|si|di|a|ri|täts|prin|zip, das <o. Pl.> (Politik, Soziol.): Subsidiarität (1): Außerdem würde die Integration der Sozialhilfe in die Mindestrente die Transparenz des Sozialsystems erhöhen und das S. durch die Entlastung der Kommunen stärken (Zeit 19. 12. 97, 19); Der Beschluss des Gesundheitsministerrats widerspricht eindeutig dem im Maastrichter Vertrag fixierten Grundsatz, dass nach dem S. die Zuständigkeit für die Gesundheitspolitik bei den einzelnen Mitgliedsstaaten liegt und die EU allenfalls für die Koordination zuständig ist (Zeit 12. 12. 97, 22).

Universal-Lexikon. 2012.