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Bevölkerungsentwicklung
Demografie; Demographie; Bevölkerungslehre; Bevölkerungswissenschaft; Bevölkerungsstatistik

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Be|vọ̈l|ke|rungs|ent|wick|lung, die:
Entwicklung einer Bevölkerung.

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Bevölkerungsentwicklung,
 
die Veränderung der Bevölkerungszahl eines bestimmten Gebietes, die v. a. von den Faktoren Geburtenhäufigkeit, Lebenserwartung, Sterblichkeit und Altersstruktur abhängig ist. Da sich die globale Bevölkerungsentwicklung bislang immer nur durch einen Anstieg der Weltbevölkerungszahl auszeichnete, wurde die Bezeichnung Bevölkerungswachstum in einem nahezu synonymen Sinn verwendet. Die mit einer hohen Zuwachsrate verbundene, immer größere absolute Zunahme der Bevölkerungszahl bewirkte, dass im Zusammenhang mit der Bevölkerungsentwicklung seit den 1970er-Jahren häufig von einer »Bevölkerungsexplosion« gesprochen wird. Ein wichtiges Maß, um die Bevölkerungsentwicklung messen und quantifizieren zu können, ist die Wachstumsrate der Bevölkerung, die definiert ist als die jährliche Zu- oder Abnahme der Bevölkerungszahl, dividiert durch die Bevölkerungszahl am Anfang des Jahres, ausgedrückt in Prozent.
 
 Geschichtliche Entwicklung
 
Die Weltbevölkerung entwickelte sich in den Jahrhunderten vor Christi Geburt wie auch danach zahlenmäßig nur sehr langsam (Tabelle 1). Bei einer Wachstumsrate von nahezu null bedurfte es mehrerer Jahrtausende, bis sich die Weltbevölkerung verdoppelt hatte. Im 18. Jahrhundert zeichnete sich ein Wandel ab; die Bevölkerungszahl stieg allmählich an, allerdings mit einer Wachstumsrate von nur 0,5 %. Gründe für diese bis Mitte des 20. Jahrhunderts währende Entwicklung waren verbesserte Lebensbedingungen, insbesondere Verbesserung der Ernährung sowie hygienische und medizinische Fortschritte, die die Sterblichkeitsrate zurückgehen ließen, und ein wachsender (relativer) Wohlstand als Folge der Industrialisierung. Die Wachstumsrate stieg bis 1950 auf rd. 1 % und bis 1970 auf rd. 2 %. Dieser Anstieg bewirkte, dass die Weltbevölkerung sich von 1950 bis 1985 nahezu verdoppelt hat. Um 1950 ist ein Einschnitt gegenüber den vorigen Jahrhunderten zu beobachten: eine zunehmende Entkoppelung von Bevölkerungswachstum und Wohlstand. Die trotz geringem Lebensstandard in den Entwicklungsländern beträchtlich reduzierte Sterblichkeit bei gleichzeitig hoher Geburtenrate führte hier zu einem besonders raschen Bevölkerungswachstum. Während die Wachstumsrate in den Industrieländern etwa bei einem Prozent lag, war sie in den Ländern mit mittlerem und geringem Einkommen auf 2 % bis 4 % gestiegen. Nachdem die Wachstumsrate für alle Entwicklungsländer 1965-70 mit 2,5 %/Jahr ihren höchsten Wert erreicht hatte, ist sie in den 80er-Jahren auf etwa 2 % und in den 90er-Jahren auf 1,5 % zurückgegangen. Diese zahlenmäßig geringen Wachstumsraten bewirken jedoch bei genügend langen Zeiträumen beträchtliche Vervielfachungen der Ausgangswerte. Eine Wachstumsrate von 1 % bedeutet, daß die Verdoppelungszeit 70 Jahre, also etwa ein Menschenalter beträgt. Eine um jährlich 3 % zunehmende Bevölkerungszahl hat sich dann bereits verachtfacht.
 
Überlegungen zur Bevölkerungsentwicklung müssen deren Eigendynamik (auch als Trägheit der demographischen Veränderung bezeichnet) berücksichtigen: Wegen der großen Zahl junger Menschen (34 % der Bevölkerung der Entwicklungsländer sind heute höchstens 15 Jahre alt), die ins zeugungsfähige Alter nachwachsen, wird die absolute jährliche Bevölkerungszunahme noch lange Zeit hoch bleiben. Konkret bedeutet das, dass eine Bevölkerung über mehrere Jahrzehnte mit hohen Raten wächst, selbst wenn die durchschnittliche Kinderzahl je Ehepaar sinkt.
 
 Gegenwärtige Weltbevölkerung und künftige Bevölkerungsentwicklung
 
Daten über Familienplanung, Kinderzahl und -wünsche werden von der UNO sowie der Weltbank regelmäßig erfasst und hochgerechnet. Während Volkszählungen relativ verlässliche Angaben über Größe und Altersgliederung einer Bevölkerung liefern, sind die Informationen über Sterblichkeitstrends sowie Zu- und Abwanderungen ungenauer. Annahmen über Veränderungen der Lebenserwartung beruhen auf Modellsterbetafeln.
 
Seit den 1960er-Jahren, in denen in Bevölkerungsprojektionen die höchsten Wachstumsraten vorausgesagt wurden, sind die Vorausschätzungen von Mal zu Mal nach unten korrigiert worden. Wurde damals noch angenommen, die Bevölkerung wachse bis Mitte des nächsten Jahrhunderts auf 12-15 Mrd. Menschen, werden heute rd. 9 Mrd. für realistischer gehalten. Die UNO schätzt die Bevölkerungszahl der Entwicklungsländer für das Jahr 2050 auf 8,1 Mrd. gegenüber 4,1 Mrd. (1990) und die der Industrieländer auf 1,2 Mrd. gegenüber (1990) 1,1 Mrd.
 
Differenziertere Betrachtungen ergeben regional stark abweichende Bevölkerungsentwicklungen (Tabelle 2). Während Europa, Japan und Nordamerika die geringsten Zuwachsraten aufweisen, sind diese in Westasien und Afrika nahe bei 2,5 %. In den Industrieländern ist das Bevölkerungswachstum ständig zurückgegangen, sodass in einigen Staaten die Bevölkerungszahl bereits abgenommen hat beziehungsweise ohne ständige, immer höher werdende Einwanderungen dauernd sinkt (z. B. in Deutschland, Italien sowie ganz Osteuropa einschließlich Russland). Zu den Entwicklungsländern mit geringeren Wachstumsraten gehören u. a. die Schwellenländer Argentinien, Südkorea, Singapur sowie neben diesen die Volksrepublik China, die ein Fünftel der Weltbevölkerung beherbergt. Während Ehepaare in Entwicklungsländern durchschnittlich etwas mehr als drei Kinder (in Afrika sowie vielen ländlichen Gebieten fünf oder mehr) haben, sind es in Europa bereits weniger als 1,5.
 
 Bevölkerungsentwicklung als Entwicklungsproblem
 
Mehrheitlich sind sich die Experten einig, dass hohes Bevölkerungswachstum die Wirtschaftsentwicklung eines Landes v. a. aus folgenden Gründen behindert: 1) Der Spielraum für Investitionen in die künftige Entwicklung (v. a. für Bildung und Ausbildung) wird immer enger, da mit wachsender Bevölkerungszahl ständig mehr Anteile des Sozialprodukts für den Gegenwartskonsum verwendet werden müssen. Das ist insofern problematisch, als das Ausbildungsniveau der Bevölkerung ein entscheidender wirtschaftlicher Wachstumsfaktor ist. 2) Gerade in den stark von der Landwirtschaft abhängigen Ländern ist mit wachsender Bevölkerung das ökologische Gleichgewicht zunehmend gefährdet. Natureingriffe durch die traditionelle Landwirtschaft und Wirtschaftsformen wie z. B. Überweidung und Waldrodung zur Brennholzgewinnung entwickeln sich bei zwangsläufig intensiverer Nutzung zu nahezu unbehebbaren Schäden (Versteppung, Bodenerosion). 3) Die nötigen wirtschaftlichen und sozialen Änderungen sind bei zunehmender Bevölkerungsentwicklung schwerer durchführbar, wobei insbesondere das rasche Anwachsen städtischer Agglomerationen Probleme aufwirft.
 
Die Wachstumsraten in den Entwicklungsländern sind gegenwärtig wesentlich höher als in Europa und Japan im 19. Jahrhundert, wo diese selten 1 % überstiegen. Durch die hohe Zahl von Auswanderungen wurde damals die Bevölkerungszunahme in einem Maße gemildert, wie es für die Entwicklungsländer nicht möglich ist; z. B. betrug die Emigration in Großbritannien zwischen 1846 und 1932 fast die Hälfte des Zuwachsbetrags der Bevölkerung, verglichen mit 0,5 % des Zuwachsbetrags für Asien zwischen 1970 und 1980. Sowohl die Einkommen wie auch das Human- und Sachkapital befinden sich auf niedrigerem Niveau als im damaligen Europa und Nordamerika. Dasselbe gilt auch für den Entwicklungsgrad der politischen und sozialen Institutionen. In der Regel können die Entwicklungsländer heute nicht mehr wie Industrieländer früher auf ungenutzte Landreserven zurückgreifen.
 
Ursachen der schnellen Bevölkerungsentwicklung: Unübersehbar ist die Tatsache, dass dort, wo große Armut herrscht, auch die Geburtenrate hoch ist. Auch wenn zu starke Bevölkerungsentwicklung die wirtschaftliche Entwicklung hemmt und dadurch gerade die Armen besonders betroffen sind, kann es aufgrund ihrer Situation notwendig sein, viele Kinder zu haben. Denn als künftige Ernährer und spätere Altersversorger sind Kinder für die Mehrheit der Armen die einzige Möglichkeit, ihrem Dasein eine gewisse Sicherheit zu geben. Das traditionell und religiös bedingte primäre Interesse an männlichen Nachkommen erhöht die Geburtenhäufigkeit. Oft ist die Geburt vieler Söhne für Frauen die einzige Möglichkeit, ihren sozialen Status zu verbessern. Unzureichende Informationen über sichere Empfängnisverhütungsmittel sowie deren Fehlen sind ein weiterer wichtiger Grund hoher Geburtenraten.
 
Hieraus ergeben sich Ansatzpunkte einer v. a. auf die breite Förderung der Unterschichten gerichteten Bevölkerungspolitik, die den Ausbau und die Öffnung eines alle erreichenden Gesundheitssystems ebenso umfassen wie die Verbesserung der Bildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten, v. a. unter Berücksichtigung der besonderen Situation der Frauen. Einrichtungen der sozialen Sicherung und der Alterssicherung sind für den angestrebten Geburtenrückgang ebenso wichtig, wie schließlich auch Institutionen der Familienplanung, die Empfängnisverhütungsmittel allgemein verfügbar machen. Wie entsprechende Untersuchungen belegen, besteht bei vielen Familien hierfür ein ausdrücklicher Bedarf. Dabei können relativ geringe Ausgaben große Wirkung erzielen, was unter dem Aspekt der Entwicklungshilfe bedeutsam ist. Wesentliche Erfolgsbedingung von bevölkerungspolitischen Maßnahmen ist die Berücksichtigung der jeweiligen nationalen und kulturellen Besonderheiten.
 
Über die Reihenfolge der nötigen Entwicklungsschritte, die zu einem Rückgang des Bevölkerungswachstums führen sollen, gibt es zwei konkurrierende Vorstellungen. Der eine Ansatz erachtet die Phasen Urbanisierung, Industrialisierung, Einkommenswachstum als zu verwirklichende Voraussetzungen, der andere jedoch Bildung, Gesundheit, Armutsbekämpfung, Familienplanung. Wissenschaftler der Weltbank vertreten den zweiten Ansatz und verweisen darauf, dass die seit 1965 zu beobachtende abnehmende Geburtenhäufigkeit viel stärker bedingt sei durch erhöhte Erwachsenenbildung und Lebenserwartung als durch die Steigerung des Bruttosozialprodukts pro Kopf. Der Geburtenrückgang in den Schwellenländern Südkorea, Singapur, Hongkong in den 1960er-Jahren scheint dagegen den ersten Ansatz zu bestätigen. Allerdings haben Länder, die vorrangig eine Familienplanung betreiben, z. B. Ägypten, Volksrepublik China, Indien, Indonesien, Kolumbien, Sri Lanka, eine niedrigere Geburtenrate, als nach ihrem Wirtschaftsniveau zu erwarten wäre oder im Vergleich zu Ländern, in denen Familienplanung nicht im Vordergrund steht.
 
 Bevölkerungsprobleme in den Industrieländern
 
Im Gegensatz zu den Problemen der Entwicklungsländer scheinen die demographischen Trends in den Industrieländern nicht wegen des Bevölkerungswachstums, sondern wegen der bereits eingetretenen oder bevorstehenden Bevölkerungsschrumpfung schwerwiegend. In fast allen Industrieländern stellte sich Mitte der 1960er-Jahre ein Geburtenrückgang ein. Zu Beginn der 80er-Jahre haben nur noch wenige Industrieländer ein Geburtenniveau von mindestens 2,1 Kindern je Frau, das eine Bestandserhaltung der Bevölkerung, ein langfristiges »Nullwachstum« gewährleistet. Wachstumsraten über null resultieren aus der zeitweise noch günstigen Altersstruktur beziehungsweise aus der Zuwanderung von Ausländern. Die niedrigsten durchschnittlichen Kinderzahlen werden neuerdings in Osteuropa und einzelnen asiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion registriert; aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, in Japan sowie einzelnen Schwellenländern (Süd-Korea, Taiwan, Singapur) wird der Durchschnitt von 1,5 Kindern/Frau nicht mehr überschritten (Deutschland, Bevölkerung). Bildung, Frauenerwerbstätigkeit, Konsum- und Freizeitstreben, Selbstverwirklichung und Individualisierung sowie die Zurückdrängung traditioneller Werte sind die irreversiblen Bestimmungsgründe eines geringen Wunsches nach Kindern. Hinter diesen Gründen steht das in den modernen Wirtschaftsgesellschaften allgemein wachsende Risiko von langfristigen Festlegungen im Lebenslauf wie Partnerbindungen oder Kindgeburten (biographische Theorie der Fertilität). Effiziente Methoden der Empfängnisverhütung sowie die Liberalisierung der Abtreibung haben den Kinderwunsch planbar gemacht. Zwar schaffen bevölkerungs- und familienpolitische Maßnahmen bessere materielle Lebensbedingungen für junge Familien und können es den Eltern erleichtern, Berufs- und Familienarbeit besser miteinander zu verbinden, sie können jedoch den Wunsch nach mehr als zwei Kindern nicht wecken. Um einen Rückgang der Bevölkerungszahl aufzufangen, müßten aber 40 % der Paare drei und mehr Kinder haben, was durch bevölkerungs- oder familienpolitische Maßnahmen kaum herbeigeführt werden kann.
 
Langsam wachsende, stagnierende und v. a. schrumpfende Bevölkerungen sind durch einen hohen Anteil älterer Menschen gekennzeichnet. Dies hat insbesondere Konsequenzen für die soziale Sicherung im Alter, den Gesundheitssektor und die institutionelle und familiäre Betreuung von Senioren.
 
 Bevölkerungsentwicklung in Deutschland
 
Wie andere europäische Länder erlebte Deutschland in den zurückliegenden 100 Jahren eine zweifache demographische Transformation. Die erste setzte in den 1879er-Jahren ein und kam in den 1920er-Jahren zum Abschluss. Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass die Sterblichkeit bei zunächst noch hohen Kinderzahlen stark zurückging, was eine Beschleunigung des Bevölkerungswachstums auf circa 1,5 % / Jahr um 1900 nach sich zog. Die Lebenserwartung betrug 1871/81 nur etwa 37 Jahre; sie hat sich bis 1970/72 annäherend auf über 70 Jahre verdoppelt. Die durchschnittlichen Kinderzahlen blieben bis zur Jahrhundertwende hoch (im Mittel ungefähr 5) und sanken danach bis in die 1920er-Jahre auf circa 2 ab. Damit war der erste Geburtenrückgang abgeschlossen, und es hatte sich das Verhaltensmuster »kleine Familie« etabliert. Die anschließenden Schwankungen der Geburtenzahlen erklären sich aus Sondereinflüssen, insbesondere aus aufgeschobenen und später nachgeholten Geburten als Folge von Erstem und Zweitem Weltkrieg, Weltwirtschaftskrise sowie Auswirkungen der pronatalistischen Bevölkerungspolitik während des Dritten Reiches. Eine Trendwende, die als zweite demographische Transformation bezeichnet wird, setzte Ende der 1960er-Jahre ein. Von einem ohnehin niedrigem Niveau ausgehend, begannen die Geburtenzahlen erneut zu sinken, und 1972 starben in den alten Bundesländern erstmals mehr Menschen als Kinder geboren wurden. In der ehemaligen DDR war die Entwicklung zunächst ähnlich, wurde jedoch Mitte der 1970er-Jahre von einem (vorübergehenden) Anstieg der Kinderzahlen aufgrund einer geburtenfördernden Politik abgelöst. Seit Mitte der 1970er-Jahre ist das sehr niedrige, deutlich unter der Bestandserhaltung liegende Geburtenniveau von weniger als 1,5 Kinder/Frau mehr oder weniger stabil geblieben. Nur in den neuen Ländern kam es als Folge des gesellschaftlichen Umbruchs nach der Wiedervereinigung zu einem noch weiteren Absinken der durchschnittlichen Kinderzahlen auf 1993/94 weniger als 0,8 Kinder/Frau. Tendenziell gleichen sich die Verhältnisse seitdem wieder an, wenn auch das Geburtenniveau in den neuen Ländern noch immer niedriger als in den alten ist. Zur Erklärung dieses zweiten Geburtenrückgangs werden eine Vielzahl von Faktoren herangezogen (wirtschaftliche Beweggründe, neue Familienformen, Frauenerwerbstätigkeit, Fehlen einer kindgerechten Umwelt, Fortgang des Säkularisierungsprozesses u. a.). Die verbesserten Möglichkeiten der Empfängnisverhütung (These vom »Pillenknick«) sind nicht Ursache des Geburtendefizites, sondern haben lediglich die Geburtenkontrolle erleichtert und damit den Rückgang der Kinderzahlen ebenso beschleunigt wie die Lockerungen der gesetzlichen Bestimmungen hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs.
 
Trotz einer seit 30 Jahren negativen Geburtenbilanz ist die Einwohnerzahl Deutschlands (wie zuvor diejenige der alten Bundesländer) deutlich und mehr oder weniger kontinuierlich angestiegen, zwischen 1990 und 2000 von knapp 80 Mio. auf gut 82 Mio. Grund dafür sind die hohen Bevölkerungsgewinne aus grenzüberschreitenden Wanderungen. Insgesamt hat Deutschland zwischen 1954 und 1999 circa 9 Mio. Menschen aus der grenzüberschreitenden Zuwanderung gewonnen. Davon entfallen circa 6,7 Mio. auf Ausländer (einschließlich Asylbewerber) und 2,3 Mio. auf Deutsche (einschließlich Aussiedler). Nicht mitgezählt sind die Wanderungen über die innerdeutsche Grenze bis zum Ende der DDR. Allein bis zum Bau der Mauer kamen circa 3,5 Mio. Personen aus der DDR in die alte Bundesrepublik (v. a. als Übersiedler), nochmals circa ½ Mio. nach Öffnung der DDR-Grenze bis zur Abschaffung des Notaufnahmeverfahrens im Juni 1990. Mit den politischen Veränderungen in Osteuropa stieg die Zahl der Aussiedler aus den deutschen Siedlungsgebieten in Osteuropa (v. a. Polen, Sowjetunion, Rumänien) sprunghaft auf 400 000 (1990) an. Aufgrund von Kontingentierung und Verfahrensänderungen hat sich die jährliche Aufnahme mittlerweile auf unter 100 000 (2000) vermindert. Die erste Welle der Ausländerzuwanderung setzte schon in den 1950er-Jahren ein; sie wird als »Gastarbeiterwanderung« bezeichnet. Der Abschluss der Anwerbevereinbarungen mit Italien (1955), Spanien und Griechenland (1960), der Türkei (1961) und weiteren Staaten bildete dafür die rechtliche Grundlage. Nach dem Anwerbestopp von November 1973 kam es zunächst zu einer verstärkten Rückwanderung, jedoch schon Ende der 1970er-Jahre wieder zu bedeutsamen Wanderungsüberschüssen aufgrund des Familiennachzugs. Verschiedene Programme zur Rückkehrförderung hatten nur kurzfristig Erfolge und ab Mitte der 1980er-Jahre stiegen die Zuzüge von Ausländern erneut steil an (allein 1992: 1,2 Mio.). Trotz ebenfalls ansteigender Fortzüge resultierten daraus beträchtliche Wanderungsgewinne (1992 fast 600 000 Personen). Dabei sind die Anteile der traditionellen Gastarbeiterländer sowie der EU-Mitgliedsstaaten rückläufig, deutlich zugenommen hat hingegen der Zustrom aus dem übrigen Europa und ebenso aus außereuropäischen Herkunftsgebieten. Zu einem großen Teil ist dafür die sprunghaft gewachsene Zahl der Asylantragsteller verantwortlich zu machen. Der Rekordstand wurde 1992 mit 438 000 Anträgen erreicht. Die Neuregelung des Asylrechts vom 07.07.1993 (u. a. Drittstaatenregelung) ließ die Zahl der Antragsteller deutlich auf nur noch 78 600 Personen (2000) sinken. 1997/98 war die Bilanz aus der Ausländerwanderung erstmals seit Mitte der 1980er-Jahre negativ (insbesodere aufgrund der Rückführung von Flüchtlingen aus dem ehemaligen Jugoslawien).
 
Trotz der hohen Zahl der Zuzüge aus dem Ausland hat sich Deutschland nie als Einwanderungsland verstanden. Erst in allerjüngster Zeit setzte sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass eine gesetzlich geregelte Einwanderung aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen notwendig ist (s. Migration). Aber selbst bei weiterhin hoher grenzüberschreitender Zuwanderung wird sich ein Bevölkerungsrückgang auf nur noch circa 65-70 Mio. (2050) und ein Fortschreiten der Bevölkerungsalterung von heute 23 % über 60-jähriger auf 36 % (2050) nicht verhindern lassen.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Altersgliederung · Armut · Entwicklungspolitik · Familienplanung · Familienpolitik · Geburtenrückgang · Rentenversicherung · Säuglingssterblichkeit · Sterblichkeit · Verstädterung · Weltbevölkerungskonferenz · Welternährung
 
Literatur:
 
G. Mackenroth: Bev.-Lehre (1953);
 G. Feichtinger: Bev.-Statistik (1973);
 Josef Schmid: Bev. u. soziale Entwicklung (1984);
 Josef Schmid: Bev.-Veränderungen in der BRD (1984);
 A. E. Imhof: Einf. in die histor. Demographie (1977);
 
Schrumpfende Bev., wachsende Probleme? Ursachen, Folgen, Strategien, hg. v. W. Dettling (1978);
 M. Wingen: B. als polit. Problem (1980);
 K. M. Bolte u. a.: Bev. Statistik, Theorie, Gesch. u. Politik des Bev.-Prozesses (41980);
 
Bedingungen u. Möglichkeiten der Integrierung bevölkerungspolit. Programme in die nat. u. die internat. Entwicklungspolitik, hg. v. H. Wander (1980);
 I. Esenwein-Rothe: Einf. in die Demographie (1982);
 B. Felderer: Wirtschaftl. Entwicklung bei schrumpfender Bev. (1983);
 
Weltentwicklungsbericht 1984, hg. v. der Internat. Bank für Wiederaufbau u. Entwicklung/Weltbank (1984);
 
Internat. Bev.-Konferenz 1984, hg. vom Bundesinstitut für Bev.-Forschung (1985);
 
Sterben die Schweizer aus? Die Bev. der Schweiz. Probleme, Perspektiven, Politik, hg. v. der Kommission Bev.-Politik (Bern 1985);
 
Beitr. zur Bev.-Ökonomie, hg. v. B. Felderer (1986);
 H. Birg u. H. Koch: Der Bev.-Rückgang in der BRD (1987);
 H. Birg u. a.: Biograph. Theorie der demograph. Reproduktion (1991);
 H. Birg: World population projections for the 21st century (Frankfurt am Main 1995).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Bevölkerungsexplosion: Ursachen und Folgen
 
Wanderungen: Menschen auf der Flucht
 
Wanderungen von morgen
 

Universal-Lexikon. 2012.