die Philosophie des französischen Sprachraums, insbesondere Frankreichs, der französisch-sprachigen Schweiz und Belgiens, deren Träger im Mittelalter wegen der zentralen europäischen Bedeutung der Universität Paris zu einem Teil Nichtfranzosen waren.
Kennzeichnend für das französische Denken ist eine durchgängige Spannung zwischen methodischer Klarheit und essayistischen Experimentierfreude, zwischen kritischer Wissenschaftlichkeit und tief greifender Spiritualität. Der institutionell geförderte Sinn für stilistische Eleganz und rethorischem Effekt verhalf der Philosophie über Jahrhunderte hinweg bis heute zu einer öffentlichen Wirksamkeit, die weit über das Akademische hinausreicht, die die Grenzen zu Wissenschaft, Literatur, Kunst und Politik offenhält und auch die kritische Auseinandersetzung mit Tagesereignissen nicht scheut.
Der Beginn der französischen Philosophie lässt sich mit der Gründung der Schule von Chartres Ende des 10. Jahrhunderts ansetzen. Der Zeitabschnitt vom 10. bis 12. Jahrhundert, die Frühscholastik, ist gekennzeichnet durch einen frühen Humanismus, eine Art mittelalterlichen subjektiven Rationalismus und eine mystische Grundströmung. Im 12. Jahrhundert, im Anschluss an die karolingische Renaissance, wurde Frankreich durch die Dom- und Klosterschulen von Chartres, Laon, Poitiers, Tours und Paris Mittelpunkt einer der Renaissance des 15. Jahrhunderts vergleichbaren Blüte der Wissenschaften, so auch der Philosophie. - Die Schule von Chartres, gegründet von Fulbert, einem Schüler des universal gebildeten, naturwissenschaftlich-mathematisch orientierten Gerbert von Aurillac (des späteren Papstes Silvester II.), war durch einen um klassische und besonders auch arabische Texte (u. a. in der lateinischen Übersetzung des Constantinus Africanus und des Adelard von Bath) und ihre Kommentierung bemühten Humanismus bestimmt. Philosophisch wirksam wurde der Platonismus, v. a. vermittelt durch Platons Dialog »Timaios«; ferner wurden Elemente der bis dahin unbekannten »Logica nova« (aus dem Aristotelischen »Organon«) rezipiert und verarbeitet. Insgesamt war die Schule stark auf naturphilosophische, naturwissenschaftliche und mathematische Problemstellungen ausgerichtet, die, neben den arabischen Überlieferungen, auch durch erste Kenntnisse der physikalischen Schriften des Aristoteles gefördert wurden. Sie erlebte ihren Höhepunkt im 12. Jahrhundert. Zu ihren Vertretern zählten v. a. Bernhard von Chartres, Gilbert de la Porrée, Wilhelm von Conches, Thierry von Chartres, Clarembald von Arras.
In die Auseinandersetzung um Funktion und Stellenwert der Dialektik im Aufbau der Wissenschaften und die Abgrenzung von Vernunft und Glauben griff im 11. Jahrhundert der Mönch Berengar von Tours aufseiten der Dialektiker gegen die so genannten Antidialektiker ein. Während diese die Philosophie der Theologie streng untergeordnet sahen, war Berengar, v. a. im Abendmahlsstreit gegen Lanfranc, dem Vorwurf ausgesetzt, Logik und Vernunft über den Glauben und die Glaubensautoritäten, die Philosopie vor die Theologie zu stellen. - Von noch größerer Reichweite war die Neuformulierung des bereits in der griechischen Philosophie im Anschluss an Platon und Aristoteles thematisierten Problems der Universalien (Universalienstreit), aufgeworfen durch die Frage, ob das Allgemeine (die Universalien) jeweils in Einzeldingen existiere (Realismus) oder bloß in Form von Allgemeinbezeichnungen in Gedanken bestehe (Nominalismus). Eine vermittelnde Position entwickelte dabei P. Abaelardus, indem er dem Nominalismus seines Lehrers Roscelin von Compiègne und dem extremen Begriffsrealismus seines Lehrers Wilhelm von Champeaux einen »Konzeptualismus« entgegenhielt. In Abgrenzung gegen den Realismus betonte er einerseits, dass Allgemeinbegriffe, z. B. »Mensch«, von Menschen erfundene Wörter seien; gegen den (extremen) Nominalismus wandte er ein, dass die menschliche Rede nicht willkürlich (bloß ein »flatus vocis«, ein »Hauch der Stimme«) sei, sondern in der »Natur der Dinge« ihre Norm habe. Dabei dachte er die Allgemeinbegriffe, an Boethius orientiert, als durch einen Prozess der Abstraktion gewonnen, ihre Existenz aber führte er auf ihre Existenz als Begriffe (»conceptus mentis«) im göttlichen Geist zurück. Als Basis der Wissenschaften und insbesondere zur Erneuerung der philosophischen Grundlagen der Theologie führte er den methodischen Zweifel (Widerspruch, Aporie) ein und entwickelte in »Sic et non« (»Ja und Nein«) die für die Scholastik richtungweisende Autoritätenmethode: Durch die rationale Diskussion einander widersprechender Thesen wird die Auflösung eines Problems erzielt. In der Ethik war für ihn die Intention (»animi intentio«) das zentrale, über »gut« und »böse«, »richtig« und »falsch« entscheidende Moment einer Handlung; die Beurteilung ist dem Gewissen zugewendet (Gesinnungsethik), dessen Richtmaß allerdings der Wille Gottes ist. Damit setzte Abaelardus richtungweisend neue Akzente in der Ethik.
Im Gegensatz zum Rationalismus des Abaelardus stand der Zisterzienser Bernhard von Clairvaux als mystisch begabter Vertreter einer neuen monastischen Kultur. Seine auf den Glauben gestützte Erkenntnislehre und Psychologie beeinflussten die Schule von Sankt Viktor (v. a. Hugo und Richard von Sankt Viktor), die eine Verbindung von Mystik und Philosophie versuchte. In der weiteren Entwicklung gewann die durch »Sic et non« angeregte Gattung der Sentenzenliteratur mit ihrer rationalen Argumentationsweise Einfluss auf die Methodik der Philosophie, so etwa durch Simon von Tournai. Das einflussreichste, vielfach kommentierte Sentenzenwerk des Mittelalters verfasste mit seinen »Libri IV sententiarum« Petrus Lombardus, einst Schüler von Sankt Viktor, seit 1140 Magister an der Domschule, seit 1159 Bischof von Paris. Es behandelt v. a. theologische Probleme, jedoch auch philosophische Fragen wie die nach der Existenz Gottes, der Unsterblichkeit der Seele und nach der Schöpfung. - Wilhelm von Auvergne, bedeutendster Philosoph seiner Zeit, v. a. erkenntnistheoretisch an Platon und Augustinus orientiert, entwickelte einen theologischen Apriorismus, nach dem Denken und Handeln in göttlichen Urbildern ihren Grund haben. Von Avicenna übernahm er die für die Scholastik wichtige Unterscheidung von Wesenheit und Dasein im Sinne einer Realdistinktion. Seine rationale, nicht theologisch orientierte Kosmologie trug zur Aristotelesrezeption bei.
In der Epoche der Hochscholastik (13. Jahrhundert) erlangte die Universität Paris, deren Schwerpunkt die Wissenschaft der Logik bildete, zentralen europäischen Rang. Sie wurde Forum für die Auseinandersetzungen der augustinisch-platonischen Philosophie und Theologie (Augustinismus, Platonismus), der Richtung des christlichen Aristotelismus und der Richtung einer heterodoxen, durch den arabischen Philosophen Averroes beeinflussten Aristotelesauslegung (Averroismus), wie sie von Siger von Brabant, Boetius von Dacien und im 14. Jahrhundert von Johannes von Jandun vertreten wurde. Die herausragenden Vertreter und Lehrer dieser verschiedenen Richtungen waren meistens Nichtfranzosen: v. a. Albertus Magnus, Thomas von Aquino, Duns Scotus, Meister Eckhart, Wilhelm von Ockham.
Kennzeichnend für die Spätscholastik (14. und 15. Jahrhundert) war zum einen die Fortentwicklung der vorhandenen philosophischen Ansätze, zum anderen die Ausbreitung der durch Duns Scotus geprägten Philosophie und Theologie (Scotismus) mit ihrer Betonung des das Einzelne erfassenden Erkennens. Die Erkenntnistheorie des Antithomisten Durandus de Sancto Porciano lässt platonisch-augustinische Elemente erkennen. - Petrus Aureoli, kritisch gegen Duns Scotus eingestellt, vertrat einen konzeptualistischen Nominalismus und Empirismus, er betonte die Subjektivität der Zeit und die Abhängigkeit der Gotteserkenntnis von psychologischen Voraussetzungen. - Nikolaus von Autrecourt, radikaler Nominalist, erkannte den logischen Satz vom Widerspruch nicht an; ferner hielt er das Kausalitätsprinzip für nicht evident und vertrat einen Atomismus. Zum naturwissenschaftlichen orientierten Nominalismus zählte J. Buridan; er stellte die aristotelische Physik in Frage, u. a. indem er Bewegung statt auf das Streben eines Körpers nach seinem natürlichen Ort nun auf einen »Impetus« zurückführte, und machte so den Weg frei für die Entwicklung einer quantitativ messenden Naturwissenschaft. Nikolaus von Oresme, ein herausragender Naturphilosoph des 14. Jahrhunderts, Antiaristoteliker und in erkenntnistheoretischen Grundfragen ähnlich skeptisch wie Nikolaus von Autrecourt, nähert sich in der Darstellung der verschiedenen Bewegungen mithilfe von geometrischen Diagrammen bereits der analytischen Geometrie R. Descartes'. Petrus Tartaretus gilt als der erste bedeutende Kommentator des Duns Scotus.
Die Situation der akademischen französischen Philosophie zu Beginn der Neuzeit (16. Jahrhundert) war geprägt durch das Fortbestehen spätscholastischer Traditionen, die Auseinandersetzungen zwischen »Via antiqua« und »Via moderna«, ontologische Metaphysik und Nominalismus (Terminismus) ockhamscher Prägung. Der Humanismus gewann zur Zeit der italienischen Kriege zunehmend Einfluss und fand z. B. in J. Faber, der Werke des Aristoteles edierte und kommentierte, einen bedeutenden Vertreter. Während Faber allerdings noch eine nominalistisch-terministische Logik vertrat, setzte P. Ramus der aristotelischen Logik seine an der Mathematik orientierte, auf sachlich-materialen Begründungen basierende Dialektik entgegen; er hatte großen Einfluss auf die Methodologie der empirischen Wissenschaften (wissenschaftlicher Pragmatismus; Einfluss des Ramismus v. a. im angelsächsischen Bereich). Vor dem Hintergrund der politischen Auseinandersetzungen zwischen Königtum und Kirche sowie zwischen Königtum und Ständen begründete J. Bodin die moderne Staatsrechtstheorie, insbesondere mit seiner Lehre von der höchsten Staatsgewalt, der Souveränität. - M. E. de Montaigne, der als glänzender Schriftsteller in seinen »Essais« den Menschen zeichnet, bahnte den Rationalismus an durch Beschränkung der Philosophie auf die reflektierende Erörterung der Vernunft, wobei der Zweifel an dogmatischen Verstandeswissen eine beherrschende Funktion gewinnt; seine vom Skeptizismus geprägte Grundhaltung beeinflusste v. a. die französischen Moralisten und die Aufklärung. Skeptizismus bestimmte auch die Moralphilosophie P. Charrons.
Im Unterschied zu der hauptsächlich auf Einzelprobleme gerichteten Renaissance tendierte im 17. Jahrhundert auch die französische Philosophie zur Systembildung; die Systembildung des französischen Rationalismus stand jedoch noch stark in der Tradition mittelalterlichen Systematisierungen. Den folgenreichsten Neubeginn markierte dabei Descartes mit seiner Philosophie des »Cogito«. Auf dem Wege des methodischen Zweifelns suchte er das unerschütterliche Wissensfundament. Er fand es im »Ich denke, also bin ich« (»Cogito, ergo sum«), worin das denkende Subjekt sich, abgetrennt von aller Körperlichkeit, als seiner selbst gewiss erfährt. Am Muster der analytischen Geometrie entwickelte Descartes eine prinzipiengeleitete Erkenntnismethode, die Rationalität zum Maßstab für Wahrheit und Gewissheit (Evidenz) des Erkennens erhebt; dem zu erkennenden Objekt sind seine Gesetze somit vorgeschrieben, was dem Menschen die Herrschaft über die Natur ermöglicht. Die Synthese von Subjektivität und Rationalität in Intuition und Evidenz trat an die Stelle des bisher geltenden Grundsatzes, der Wahrheit in der Übereinstimmung des urteilenden Denkens und des Gegenstandes (»adaequatio intellectus et rei«) gegründet sah. Sie bildete die Grundlage für die cartesianische Metaphysik als philosophisches System. Mit dem darin begründeten Dualismus von denkender Substanz (»res cogitans«) und ausgedehnter Substanz (»res extensa«), Bewusstsein und Außenwelt, Subjekt und Objekt sowie mit seiner rationalen Erkenntnismethode (Cartesianismus) wirkte Descartes prägend auf das neuzeitliche Denken. J. B. Bossuet und F. de Fénelon tendierten zu Descartes; ebenso bewegte sich die Logik des Jansenismus etwa A. Arnaulds oder P. Nicoles unter Berücksichtigung pascalscher Elemente im Umkreis seiner Philosophie; die Vertreter des Okkasionalismus - G. de Cordemoy, A. Geulincx, N. Malebranche, der platonisch-augustinische Elemente rezipierte - setzten sich, anknüpfend an Descartes, mit dem Problem des Gegensatzes zwischen Körper und Seele (Substanzendualismus) auseinander. P. D. Huet und P. Gassendi dagegen standen der Philosophie, v. a. der Erkenntnistheorie Descartes' ablehnend gegenüber. Auch gegen den Aristotelismus eingestellt, nahm Gassendi erkenntnistheoretisch eine dem Empirismus der modernen analytischen Wissenschaftstheorie ähnliche Position ein, erneuerte den auf Demokrit zurückgehenden Atomismus und vertrat eine quantitativ-mechanische Naturanschauung. B. Pascal, Philosoph und Mathematiker, (mit P. de Fermat) Begründer der Wahrscheinlichkeitsrechnung, schloss sich dem Jansenismus an. Pascal betonte - in Auseinandersetzung mit Descartes - die Grenzen der Vernunft und des mathematischen Wissenschaftsideals. Die konkrete tägliche Erfahrung und die Natur machte er zur Grundlage für das mathematische Denken. Die »Logik der Vernunft« (»logique de la raison«) ergänzte er durch die »Logik des Herzens« (»logique du cœur«), die sowohl die obersten Prinzipien (Realität, Raum, Zeit, Bewegung, Zahl) als auch die Erfahrung Gottes zum Gegenstand habe. Das Ich in seiner denkenden, fühlenden, wollenden Totalität wird in seinem existenziellen Bezug zur Welt erfasst. Nur durch den Glauben sei dem von Gott abgefallenen Menschen die Rückkehr zu Gott möglich.
Die französische Aufklärung entwickelte sich in ihrer Kritik der Metaphysik und der Autoritäten und in ihrem Autonomiestreben radikaler als die englische Aufklärung, von der sie ausging, und zwar vom Empirismus und Deismus zum Sensualismus, zu Extrempositionen des radikalen Materialismus und Atheismus. P. Bayle gab mit seinem »Dictionnaire historique et critique« und seiner kritisch-wissenschaftlichen Methode einen wichtigen Impuls. Voltaire, neben D. Diderot hervorragender Philosoph und Schriftsteller der Aufklärung, war erkenntnistheoretisch an J. Locke und I. Newton, religionskritisch mit einer deistischen Naturreligion am englischen Deismus orientiert, den er dem theologischen Dogmatismus von Christentum und Kirche entgegensetzte; er vermittelte mit seiner historisch-kritischen Philosophie die Gedanken der Freiheit und Toleranz. Er prägte die Bezeichnung Geschichtsphilosophie (»philosophie de l'histoire«). C. de Montesquieu, der ebenfalls die englischen Verhältnisse vor Augen hatte, suchte in seiner als umfassende Kulturphilosophie konzipierten Staatstheorie die politischen Gegebenheiten in Abhängigkeit von den örtlichen klimatischen, sozialen u. a. Bedingtheiten eines Volkes zu verstehen; er forderte die Ersetzung des Absolutismus durch eine konstitutionelle Monarchie; er entwickelte richtungweisend zur Sicherung der Freiheit die Lehre von der Gewaltenteilung. Unter den Enzyklopädisten intendierte J. Le Rond d'Alembert, der besonders als Mathematiker und Physiker hervortrat, erkenntnistheoretisch eine Verbindung von Empirismus und Rationalismus. E. B. de Condillac war wie Diderot an der Durchsetzung der empiristischen Erkenntnistheorie gegen Descartes und den Rationalismus beteiligt, wobei Sprache bei der Wahrnehmung die Transformation der Sinnesdaten leiste. Diderot, der erkenntnistheoretisch zunächst von der angelsächsischen Assoziationspsychologie (Shaftesbury, Locke; Assoziation) ausging, vollzog unter dem Einfluss Bayles die Hinwendung zu einem kritischen Skeptizismus und schließlich zum Materialismus. Sie war begleitet von der Ablösung deistischer durch atheistische Denkpositionen. Einen Materialismus vertraten v. a. J. O. de La Mettrie, C. A. Helvétius und Baron Holbach. J.-J. Rousseau, der Aufklärung zwar nahestehend, sie jedoch zugleich durch einen radikalen Subjektivismus überwindend, wollte - gegen den rationalistischen Idealismus und den Materialismus - Fortschritt, Freiheit und Glück auf Gefühl (»sentiment«) als ursprüngliche Natürlichkeit gründen. »Natur«, den ursprünglichen sozialen und kulturellen Zustand der Menschen bezeichnend, wurde zum Zentralbegriff seiner Sozialphilosophie: An diesem Begriff kann der Grad der durch Kultur und Zivilisation erreichten Entartungserscheinungen der Menschheit gemessen werden. Mit der Lehre vom »Contrat social« (Gesellschaftsvertrag), die auf eine radikale Demokratie hinausläuft, arbeitete Rousseau der Französischen Revolution vor (ferner Einfluss auf den Sturm und Drang, die Geschichtsphilosophie J. G. Herders und J. G. Fichtes, die Pädagogik z. B. J. H. Pestalozzis). M. J. A. de Condorcet legte seiner Geschichtsphilosophie, aus dem Glauben an eine unbegrenzte Vervollkommnungsfähigkeit des Menschen, den Begriff eines naturgesetzlichen prozesshaften Fortschritts zugrunde.
Die Gruppe der Ideologen, die zugleich der Philosophie und der Politik zugewendet waren, versuchte in zunehmender Radikalisierung des Sensualismus der Aufklärung eine metaphysikfreie Analyse des menschlichen Geistes beziehungsweise Bewusstseins und eine Erklärung des subjektiven Ursprungs der Ideen aus physiologisch-materialistischen Prozessen; sie wollte damit die Philosophie als »Wissenschaft von den Ideen« konstituieren. Sie gewann gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts bedeutenden Einfluss. Ihre Hauptvertreter waren u. a. A. L. C. Destutt de Tracy, der an den Sensualismus Condillacs anknüpfte, und G. Cabanis, mit seiner Einordnung von Psychologie und Ethik unter die Naturgeschichte Vertreter eines radikalen Materialismus und Vorläufer der Psychophysik sowie des modernen Monismus. P. P. Royer-Collard war Anhänger des Jansenismus; er versuchte gegen den Sensualismus die Philosophie des »Commonsense« (des allgemeinen »gesunden Menschenverstandes«) der Schott. Schule in Frankreich einzuführen (Einfluss auf G. Guizot und die eklektizistische Philosophie V. Cousins).
19. Jahrhundert
Das 19. Jahrhundert war auch in Frankreich von stark divergierenden Strömungen gekennzeichnet. In Reaktion gegen die Philosophie der Aufklärung und die Französische Revolution entwickelte sich die Staatsphilosophie der Restauration. Als Voraussetzung für die Wiederherstellung der alten Ordnung in einer durch Aufstände und soziale Unruhen geprägten Gesellschaft erschien die enge Rückbindung der Philosophie an Staatsautorität und Kirche. Eine solche Ausrichtung bestimmte v. a. die Universitätsphilosophie des 19. Jahrhunderts. L. G. A. Bonald vertrat einen gegen Individualismus und kritischen Rationalismus gerichteten Traditionalismus und Fideismus, ebenso F. R. de Lamennais, der eine Trennung von Staat und Kirche forderte. Neben Bonald war J. M. de Maistre ein Hauptvertreter des katholischen Konservatismus und ein Verfechter der monarch. Souveränität. - F. P. Maine de Biran, zunächst unter Einfluss des Sensualismus, entwickelte einen von Fichte und Descartes beeinflussten Voluntarismus und verband mit ihm einen für die französische Philosophiegeschichte einflussreichen Spiritualismus.
Der restaurativen Philosophie stand der frühe französische Sozialismus gegenüber. C. H. Saint-Simon, der Begründer des modernen Sozialismus in seiner »utopischen« Variante, versuchte in seiner ökonomisch bestimmten Geschichtsphilosophie die historischen Fortschritte aus Veränderungen der herrschenden Wirtschaftsprinzipien abzuleiten, eine Theorie, die B. Bazard durch wirtschaftswissenschaftliche Analysen zu fundieren strebte (Saint-Simonismus). Die Theorie C. Fouriers über die Vollendung des Menschen und die Umwandlung der Arbeit in Genuss wurde zu einem Vorläufer der marxschen Theorie von der Entfremdung und ihrer Aufhebung. P. J. Proudhon gewann mit seiner Betonung der Freiheit Einfluss auf den Anarchismus. - A. Comte legte - nach Vorläufern unter den Enzyklopädisten - mit seinem Dreistadiengesetz, mit dem er die historisch fortschreitende Entwicklung der Menschheit in ein theologisches, ein metaphysisches und ein »positives« Zeitalter gliederte, das Fundament für den Positivismus. Diese Position erklärt das erfahrbare Gegebene und dessen gesetzmäßige Zusammenhänge zur alleinigen Erkenntnisquelle. Sie beeinflusste ebenso sehr die Entwürfe der Frühsozialisten, wie sie sich in der Geschichtsphilosophie (H. Taine), der Religionswissenschaft (E. Renan) und der Psychologie (T. Ribot, A. Binet, P. Janet) niederschlug. Im Rahmen der philosophischen Bemühungen um die Wissenschaften (A. Cournot, É. Boutroux) versuchten dagegen M. Poincaré, L. P. M. Duhem und É. Meyerson den konventionellen Charakter der wissenschaftlichen Grundprinzipien zu erweisen. L. Couturat trat als Leibniz-Herausgeber und logizistisch orientierter Philosoph der Mathematik hervor. Der Wissenschaftsgeschichte wendeten sich v. a. Boutroux und Duhem zu. Im Gegensatz zum Positivismus standen auch die Lebensphilosophie (H. F. Amiel, A. Fouillée, J.-M. Guyau), der neukantische Idealismus (C. Renouvier, der einen ethischen Personalismus vertrat, und O. Hamelin) sowie der Spiritualismus (F. Ravaisson-Mollien, J. Lachelier). Alle diese Richtungen betonten die menschliche Freiheit und die Spielräume des Naturgeschehens gegenüber einer starren Naturgesetzlichkeit. Exponent dieser Richtung war H. Bergson, der auf der Analyse der Begriffe der Zeit, der Freiheit, des Lebens und der Ethik eine Philosophie von großer Wirkungsbreite entwickelte (von Einfluss u. a. auch auf Literatur, Soziologie, Psychologie). Den Konstruktionen eines positivistisch verkürzten Wissenschaftsdenkens und den Verengungen einer pragmatischen Intelligenz setzte Bergson den unteilbaren Lebensstrom (»élan vital«) entgegen, dessen schöpfer. Drang vom Vitalen zum Moralischen und Religiösen emporführe und der nur einer Intuition zugänglich sei, die von der Sympathie mit dem Lebensganzen zehre.
20. Jahrhundert
Die älteren Tendenzen aus dem 19. Jahrhundert dauern auch im 20. Jahrhundert fort. Der Descartes wie I. Kant verpflichtete kritizistische Rationalismus, der bei L. Brunschvicg in der Erkenntnistheorie, bei Alain (É. Chartier) in der Ethik seinen Schwerpunkt hatte, bestimmte die Universitätsphilosophie bis zum Zweiten Weltkrieg. Die spezifisch französische Form einer Epistemologie, die den historischen Forschungsgang der Wissenschaften kritisch durchleuchtet, reicht - unter Bezugnahme auf Poincaré, Duhem und Meyerson - von L. de Broglie, G. Bachelard, F. Gonseth, A. Koyré und J. Cavaillès bis in die Gegenwart zu G. Canguilhem, J. Vuillemin, M. Foucault und M. Serres. Der Spiritualismus des 19. Jahrhunderts und bergsonsche Impulse lebten fort in der zwischen 1930 und 1950 einflussreichen »Philosophie de l'esprit« (»Philosophie des Geistes«) von R. Le Senne und L. Lavelle, im Personalismus von E. Mounier, in der »Philosophie de l'action« (»Philosophie der Tat«) von M. Blondel; sie trugen auch bei zur Belebung des Neuthomismus bei R. Garrigou-Lagrange, J. Maritain und É. Gilson.
Doch einen entscheidenden Einbruch bewirkte erst die gegen Ende der 20er-Jahre einsetzende Rezeption von S. Kierkegaard sowie später von E. Husserl und M. Heidegger einerseits, von G. W. F. Hegel und K. Marx andererseits, die sich deutlich in den existenzialistisch gefärbten Hegel-Vorlesungen von A. Kojève und den Hegel-Interpretationen von J. Hyppolite manifestierte. Es kam zur Ausbildung eigener, vielfach miteinander verflochtener Spielarten des Existenzialismus, der Phänomenologie und des Marxismus. Der Existenzialismus (Existenzphilosophie), der die Frage nach der menschlichen Existenz in den Mittelpunkt rückt, erlebte seine Blüte in den Kriegs- und Widerstandserfahrungen der 40er-Jahre in Form einer weitgehend literarisch formulierten Philosophie der in der Absurdität des Daseins erfahrenen Freiheit (A. Camus und J.-P. Sartre) oder der christlichen Hoffnung (G. Marcel). Diesseits und jenseits dieser Ausrichtung konstituierte sich unter dem Einfluss Husserls die Phänomenologie, die in der Suche nach einem leiblich und sozial verankerten Sinn alle Grenzen der geläufigen Bewusstseinsphänomenologie sprengte. Nicht die bloße Gegebenheit der Erscheinungen als Bewusstseinsphänomene, sondern die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Bewusstseinsgegenstand und dem erfahrenden Subjekt, der menschlichen Existenz, wird bedeutsam. Die Radikalisierung der Phänomenologie führte bei ihren maßgeblichen Vertretern zu einer Theorie der gesellschaftlichen Praxis (Sartre), einer Ontologie des Sichtbaren und des sich darin bezeugenden unsichtbaren transzendenten Seins (M. Merleau-Ponty), einer ethischen Theorie des das Subjekt transzendierenden Anderen (É. Levinas) oder einer Hermeneutik von Symbolen und Texten (P. Ricœur). Der gleichzeitig einflussreiche Marxismus hat einen dem Existenzialismus benachbarten humanistischen (H. Lefebvre, R. Garaudy) und einen szientistischen Flügel, der später in der strukturalistischen Marx-Deutung der Schule von L. Althusser seinen radikalen Ausdruck fand. Die erst nach ihrem frühen Tod im Exil erschienenen Schriften von Simone Weil gaben der radikalen Zivilisationskritik neue Impulse.
Einen abermaligen Einschnitt bedeutete die um die Mitte der 60er-Jahre explosionsartig einsetzende Wende zum Strukturalismus, der maßgebend durch die moderne Linguistik (F. de Saussure, R. Jakobson), durch S. Freuds Psychoanalyse, durch die Verfahrensweise der Epistemologie (G. Bachelard) und durch die Mathematik (N. Bourbaki) geprägt wurde. Betätigungsfelder sind Kulturanthropologie (C. Lévi-Strauss), Psychoanalyse (J. Lacan), Textanalyse (R. Barthes), Geschichts- und Gesellschaftstheorie (Althusser, Foucault). Die Betonung von Eigengewicht und Eigenregelung gesellschaftlich-geschichtlicher Strukturen, die sich in jeweils konkreten Ereignissen, Zusammenhängen und Inhalten im Sinne von Modellen realisieren, führte zu einer Dezentrierung des Subjekts und einer Zerbrechung geschichtlicher Kontinuität. Dabei sind die Grenzen zwischen strukturaler Methode und strukturalistischer Doktrin vielfach fließend. In extremen Fällen kommt es zu einer funktionalen Einebnung der Subjektivität und einer Einfrierung der Geschichte; denn nur ein Absehen von linear-zeitlicher Bewegung ermögliche das Erfassen »historischer« Zeugnisse in ihren tatsächlichen Zusammenhängen und Bezügen.
Zurückgeblieben ist nach dem Abflauen der strukturalistischen Verallgemeinerungen ein ausgeprägter Sinn für Differenzen und Pluralitäten und eine Form der Vernunft- und Subjektkritik, die sich jeder Vereinheitlichung und Zentrierung beharrlich widersetzt. Im »Poststrukturalismus« sind unterschiedliche Einflüsse wirksam geworden: die geistige Reaktion auf die 1968er-Unruhen der Pariser Schüler und Studenten; die in den 1970er-Jahren daraus hervorgegangene Neue Philosophie (u. a. M. Clavel, J.-M. Benoist, J.-P. Dollé, C. Jambet, G. Lardreau, A. Glucksmann), die durch die Ablehnung jeglicher Ideologien, aller dogmatischen Herrschaftsformen und der traditionellen philosophischen Schulen gekennzeichnet ist. Gegen die traditionelle Philosophie richtet sich auch der von G. Deleuze und F. Guattari vertretene Denkansatz: Sie sehen im Schöpfertum des Unbewussten, in der Macht des Begehrens die entscheidenden Kräfte. Grundlegende Kulturkritik leistete auch J. Baudrillard mit seiner Analyse der Massenkultur, die wesentlich war für die Relativierung der Maßstäbe in der Postmoderne. Ihre philosophische Begründung lieferte J.-F. Lyotard in der Studie »La condition postmoderne« (1979), die als Programmschrift verstanden wurde und der französischen Philosophie internationale Aufmerksamkeit brachte, wie überhaupt in den 80er-Jahren sich die Intellektuellen gezielt der Medien bedienten, um ihre Positionen an die Öffentlichkeit zu bringen. V. a. B.-H. Lévy, der der Neuen Philosophie nahesteht, demonstriert immer wieder auf spektakuläre Weise die Einmischung der Philosophie in die Politik, während Lyotard ausdrücklich das Nebeneinander inkompatibler Diskursarten bejaht. Dieses Nebeneinander bestimmt auch die Positionen der französischen Philosophie der 90er-Jahre. Die Methoden Foucaults, Lacans und J. Derridas Dekonstruktion üben immer noch erheblichen Einfluss aus. Die kulturkritische Linie wird u. a. von P. F. Bourdieu fortgeführt.
D. Parodi: La philosophie contemporaine en France (Paris 31925);
I. Benrubi: Philosoph. Strömungen der Gegenwart in Frankreich (1928);
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L'activité philosophique contemporaine en France et aux États-Unis, hg. v. M. Farber, 2 Bde. (ebd. 1950);
E. Bréhier: Transformation de la philosophie francąise (ebd. 1950);
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J. Lacroix: Panorama de la philosophie française contemporaine (Paris 21968);
L. Sebag: Marxismus u. Strukturalismus (a. d. Frz., 5.-7. Tsd. 1970);
P. Trotignon: Les philosophes français d'aujourd'hui (Paris 31977);
V. Descombes: Das Selbe u. das Andere. 45 Jahre Philosophie in Frankreich. 1933-1978 (a. d. Frz., 1981);
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Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Montaigne und die Moralistik
Montesquieu: »Vom Geist der Gesetze«
Rousseau: Über das Kind und seine Erziehung
Voltaire: Fanatismus und Toleranz - Religionskritik in Frankreich
Universal-Lexikon. 2012.