Geschlechterforschung,
englisch Gender Studies ['dʒendə 'stʌdɪz], interdisziplinäre Forschungsrichtung, die das Verhältnis zwischen Männern und Frauen als soziale, geschlechtsspezifische Beziehung untersucht, wie es sich historisch herausgebildet hat und als Geschlechterverhältnis in den verschiedenen gesellschaftlichen und sozialen Ordnungen (Kulturen) darstellt; wissenschaftlicher Forschungsansatz (»Konzept der sozialen Konstruktion von Geschlecht«), der die wahrgenommene Ungleichheit in den Geschlechterbeziehungen zu seinem Forschungsgegenstand erhoben hat. Zentrale Bedeutung in der Geschlechterforschung hat die - nicht unumstrittene - Auffassung erlangt, dass Rolle, Status und soziale Beziehungen des Menschen in der Gesellschaft wesentlich durch die Geschlechtszugehörigkeit (Geschlechtsidentität) definiert sind und geschichtlich in den Formen fest gefügter Männer- und Frauenbilder sowie mit ihnen verbundener gesellschaftlich-geschlechtsspezifischer Spaltungsmechanismen tradiert werden. Die so genannte Differenztheorie geht dabei von einem angenommenen Doppelcharakter von Geschlecht aus und beschreibt die Geschlechtsidentität sowohl als gesellschaftlich bedingten sozialen Sachverhalt (englisch Gender) wie auch als natürlich gegebenes biologisches Faktum (englisch »Sex«). Andere Geschlechtertheorien gehen von einem monokausalen Denkansatz aus, der die Unterschiede hinsichtlich Rolle, Status und Selbstverständnis von Männern und Frauen als grundsätzlich gesellschaftlich bedingt und historisch geworden beschreibt und die Annahme quasi natürlich vorgegebener männlicher und weiblicher Geschlechtsidentitäten als nicht haltbar zurückweist. - Die Geschlechterforschung ist aus der Frauenforschung hervorgegangen. Sie weitete deren wissenschaftliches Konzept aus beziehungsweise löste es durch die Erweiterung um Mädchen-, Männer- und Knabenforschung ab. Seit den 1990er-Jahren - nach Ansätzen schon nach 1975 und Etablierung in den USA in den 1980er-Jahren - nimmt sie als inter- beziehungsweise transdisziplinär angelegte Wissenschaftsdisziplin Forschungsergebnisse verschiedener Lehr- und Forschungsgebiete auf (Geschichtswissenschaft, Historische Anthropologie, Kulturwissenschaften, Ethnologie, Philosophie, Psychologie, Religionswissenschaft, Soziologie u. a., aber auch Agrarwissenschaft, Politikwissenschaft oder Mathematik). In Deutschland und im deutschsprachigen Raum bestehen Studiengänge an verschiedenen Universitäten und Hochschulen, u. a. in Berlin (Humboldt- und Technische Universität, Hochschule der Künste).
Differenzen in der Geschlechterdifferenz. Aktuelle Perspektiven der G., hg. v. Kati Röttger u. Heike Paul (1999);
Andrea Bührmann: Arbeit, Sozialisation, Sexualität. Zentrale Felder der Frauen- und G. (2000);
Gender studies in den Sozial- und Kulturwissenschaften. Einf. und neuere Erkenntnisse aus Forschung und Praxis, hg. v. Sabine Wesely (2000);
Geschlechter-Räume. Konstruktionen von »gender« in Gesch., Literatur und Alltag, hg. v. Margarethe Hubrath (2001);
Gender, Genre, Geschlecht. Sprach- und literaturwiss. Beitrr. zur Gender-Forschung, hg. v. Ingrid Neumann-Holzschuh (2001).
Universal-Lexikon. 2012.