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Nation
Volk; Bevölkerung; Land; Nationalstaat; Staat

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Na|ti|on [na'ts̮i̯o:n], die; -, -en:
größere Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Geschichte, Sprache, Kultur und dem Bewusstsein politisch-kultureller Zusammengehörigkeit, die ein politisches Staatswesen bilden:
die europäischen Nationen; eine geteilte Nation; Buhmänner, Prügelknaben der Nation sein.
Syn.: Bevölkerung, Land, Staat, Volk.
Zus.: Handelsnation, Industrienation, Seefahrernation.

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Na|ti|on 〈f. 20nach Abstammung, Sprache, Sitte, kultureller u. polit. Entwicklung zusammengehörige, innerhalb der gleichen Staatsgrenzen lebende, bewusst u. gewollt geformte politische Gemeinschaft; →a. Volk [<lat. natio, Gen. nationis, „das Geborenwerden; das Geschlecht, der Volksstamm, das Volk“; zu nasci „geboren werden“ bzw. natus „geboren“]

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Na|ti|on , die; -, -en [frz. nation < lat. natio = das Geborenwerden; Geschlecht; Volk(sstamm), zu: natum, Natur]:
a) große, meist geschlossen siedelnde Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Geschichte, Sprache, Kultur, die ein politisches Staatswesen bilden:
die deutsche N.;
eine geteilte N.;
b) Staat, Staatswesen:
die Vereinten -en (Organisation, in der sich viele Staaten zur Erhaltung des Weltfriedens zusammengeschlossen haben) (Abk.: VN);
c) (ugs.) Menschen, die zu einer Nation gehören; Volk:
er ist der Liebling der N.

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Nation
 
[französisch, von lateinisch natio, nationis »das Geborenwerden«, »Geschlecht«, »Volk(sstamm)«] die, -/-en, Begriff, der international im historischen und politischen, aber auch im kulturphilosophischen und staatsrechtlichen Denken des 19. und 20. Jahrhunderts den Rahmen bezeichnet, innerhalb dessen sich Menschen neben kultureller Eigenständigkeit v. a. politische Selbstständigkeit (Souveränität) unter Verweis auf eine als gemeinsam angenommene Geschichte, Tradition, Kultur, Sprache zumessen. Die politische Zielsetzung drückt sich dabei v. a. in der Tendenz aus, Nation und (National-)Staat zur Deckung zu bringen. Der seit der Französischen Revolution (1789) und den antinapoleonischen Befreiungsbewegungen in Europa in den Vordergrund getretene Nationsbegriff zielt v. a. auf die politische Handlungsfähigkeit des Nationalstaates, sowohl im Hinblick auf die politische Souveränität im internationalen Zusammenhang als auch auf die Garantie von Menschen- und Bürgerrechten im Rahmen eines Verfassungsstaats oder hinsichtlich innenpolitischer autonomer Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten. Nation bildet insoweit den Rahmen für ein politisches Handlungsprogramm, das mit dem Blick auf eine gemeinsame Zukunft entworfen und im Rückgriff auf angenommene gemeinsame Merkmale (Sprache, Geschichte, Kultur) legitimiert wird. Die Zuordnung einzelner Bevölkerungsteile kann dabei zwischen verschiedenen Nationen strittig sein; sie verläuft teilweise in Konkurrenz, teilweise in Überschneidung zu anderen Zuordnungsmöglichkeiten. Die Nation beansprucht seit dem 19. Jahrhundert für sich allgemein die höchste Loyalität.
 
Bis heute sind Versuche, Nationen anhand objektiver, allgemein gültiger Merkmale zu definieren, umstritten. Nation als Prinzip staatlicher Ordnung ist insofern eine genuin historisch und kulturell bestimmte Betrachtungs-, Interpretations- und Zurechnungskategorie, als die Herausbildung der Nation - die in jedem Einzelfall durchaus auch hätte anders verlaufen können - in unterschiedlichen historisch-politischen Zusammenhängen begründet ist; diese wiederum lassen einen widersprüchlichen Facettenreichtum aufscheinen, der sich eindeutigen Definitionen entzieht.
 
 Geschichte
 
Bereits die Begriffsgeschichte zeigt sowohl den engen Zusammenhang eines mit dem Anspruch universaler Geltung auftretenden Nationsbegriffs mit der neuzeitlichen europäischen Geschichte als auch die kulturell geschaffene Substanz des Begriffs Nation, der seine historische Bedeutung erst von den Wertungen und Einstellungen her bezieht, die Menschen ihm gegenüber entwickeln. Nation erscheint dann als Integrationsrahmen für »große, als Träger staatlicher Souveränität in Betracht kommende Gruppen« (E. Lemberg) unter den spezifisch politischen Bedingungen der Moderne. Demgegenüber bezeichnete lateinisch »natio« in der Antike und noch lange im Mittelalter die Abstammung oder den Herkunftsort einer Person, v. a. in Bezug auf politisch nicht organisierte Bevölkerungen. Im Rahmen der seit dem Hochmittelalter entstandenen Universität wurde Nation als Herkunftsbezeichnung im Sinne der Zurechnung zu einer Region oder Landschaft benutzt. Die Konzilien des Spätmittelalters brachten einen weiteren, bereits auf den modernen Gebrauch vorausweisenden Bedeutungszusammenhang, der das Prinzip der Repräsentation aufnahm, indem der Begriff Nation verwendet wurde, um abstimmungsberechtigte Untergruppen zu bezeichnen. Hiermit gewann der Begriff seine Qualität als Rahmenkategorie, zugleich trat aber das Dilemma der Abgrenzung und der Verbindlichkeit der jeweils als Nation angesprochenen Menschengruppe auf.
 
Bis ins 18. Jahrhundert standen regionale und soziale Bezeichnungen gleichberechtigt neben anderen Definitionen, in denen zunehmend der Aspekt politischer Souveränität hervortrat, wie er in den frühneuzeitlichen Territorialstaaten und im Zuge der Ausbildung absolutistischer Herrschaft entwickelt worden war. Während Montesquieu noch auf die Gruppenordnung der ständischen Gesellschaft Bezug nahm und bei Goethe noch ein vorpolitischer sozialer Zusammenhang nachweisbar ist, gewann der moderne Nationsbegriff seine auf Staatsnation und Staatsvolk abzielende, explizit politische Bedeutung zunächst in den Auseinandersetzungen um die politische Herrschaft in der Zeit der Französischen Revolution anlässlich der Frage, wer der legitime Repräsentant der Gesellschaft sei. So lautet die Antwort auf die selbst gestellte Frage »Qu'est-ce que le tiers état?« (»Was ist der dritte Stand?«) bei Abbé Sieyès: »Eine vollständige Nation ist der dritte Stand.« Beim Nationsbegriff der Französischen Revolution handelte es sich zuerst um eine innergesellschaftliche Abgrenzung und nicht um eine gegen fremde ethnische Gruppen oder Völker gerichtete. Eine weitere Stufe der Ausformulierung des Begriffs in einem modernen Sinn stellten die Reaktionen liberaler, auf Unabhängigkeit und politische Selbstbestimmung zielender antinapoleonischer Bewegungen in den okkupierten Ländern dar, aber auch die Erhebungen gegen die spanische Kolonialherrschaft in Lateinamerika. In Europa entwickelten sich weitere nationale Bewegungen in Reaktion auf die durch den Wiener Kongress von 1814/15 bewirkte Restauration und prägten in der Zeit des Vormärz in vielfältiger Weise die Politik (u. a. Befreiungskampf der Griechen gegen das Osmanische Reich, polnische Aufstände gegen die russische Herrschaft).
 
Auf die Klassifizierung der Nationsvorstellung des 19. Jahrhunderts übte die ältere, an der Gegenüberstellung Deutschlands und Frankreichs gewonnene Unterscheidung von mitteleuropäischer Kultur- und westeuropäischer Staatsnation (F. Meinecke) nachhaltigen Einfluss aus. Weniger mit nationalen Stereotypen belastet ist dagegen die Unterscheidung, ob die Entwicklung zu politischer Souveränität und staatsbürgerlicher Gleichheit in einem bereits existierenden Staat (Frankreich, Großbritannien) stattfindet, ob sie auf die Herstellung eines solchen aus Einzelstaaten zielt (Deutschland, Italien) oder ob sie sich schließlich gegen einen bereits existierenden multinationalen Staat (z. B. gegen das russische, habsburgische oder Osmanische Reich) richtet (T. Schieder).
 
Während sich in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts v. a. in den Strömungen gegen bestehende Herrschaftsordnungen egalitäre, demokratische und auf politische Souveränität zielende Vorstellungen verbanden, setzte sich in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts der auf politische Unabhängigkeit, dann aber auch auf Hegemonie, Suprematie und Dominanz (»Chauvinismus«) zielende Aspekt durch. Dabei wurde der Mangel demokratischer Teilhabe am Staat durch politisch instrumentalisierte Feindbestimmungen und den Hinweis auf (angeblich) wachsende äußere Bedrohungen der Staatsnation (imperialistische Rivalität, »Erbfeindschaft« und Ähnliches) kompensiert. Durch die Berufung auf äußeren Druck konnte so im Namen der Nation innere Homogenität erzwungen werden (z. B. »Burgfriede« der Fraktionen des Deutschen Reichstages von 1914). Kriege, Rassismus und Völkermorde belegen bis in die Gegenwart hinein die aggressive Komponente der seit dem 19. Jahrhundert bestehenden Nationsvorstellung auf der Basis von erhoffter Homogenität durch Abgrenzung, Ausgrenzung und Feindbestimmung. Demgegenüber hat gerade die Erfahrung der nationalen Hybris als Ursache der beiden Weltkriege in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts verstärkt zur kritischen Infragestellung der Nation als Rahmenvorstellung politischen Handelns geführt. Wachsende internationale Verflechtungen und Abhängigkeiten (aber auch abermals nun verschiedenen Nationen gemeinsame Feindbilder) und nicht zuletzt der Eindruck einer verbindenden Verantwortung gegenüber der nuklearen Bedrohung führten zur Entwicklung vielfältiger Formen übernationaler Zusammenarbeit wie UNO u. a. Zugleich wurden die Vorstellungen wieder stärker betont, die Nation mit der Realisierung innerstaatlicher Gleichheit, mit den Möglichkeiten eines geregelten inner- und zwischenstaatlichen Zusammenlebens sowie mit politischer Partizipation und der Gewährung von Menschenrechten verbanden. In der Tradition des westlichen »Verfassungspatriotismus« (D. Sternberger) führte dies dazu, nunmehr den Staat gegenüber der Nation zu betonen.
 
 Funktionen
 
Die Funktion der Nation kann unter jeweiligen Zielsetzungen wechseln und für vielfältige und konträre Zwecke in Anspruch genommen werden. Vorstellungen von Nation und die Berufung auf sie haben neben außenpolitischen auch innenpolitische und sozialpsychologische Funktionen zu erfüllen; die Aktivierung nationaler Einstellungen erfolgt im Wechselspiel mit raschem sozialem Wandel und damit verbundenen Traditionsverlusten, wobei sich das gesellschaftliche Bewusstsein langsamer verändert als die sozialen Rahmenbedingungen. »Die drohende oder tatsächliche Auflösung bislang dominierender gesellschaftlicher Normensysteme scheint dann mit einem Rückgriff auf latent bereitliegende Identitätsquellen beantwortet zu werden« (H. Mommsen). Für die Bedeutung, die der Begriff der Nation dabei im europäischen Rahmen seit dem 18. Jahrhundert gewonnen hat, mögen folgende vier Tendenzen ausschlaggebend sein:
 
1) Mit der Auflösung der universalen, religiös und heilsgeschichtlich bestimmten Sinn- und Weltordnung in der Neuzeit setzt eine innerweltliche historische Betrachtung (W. Conze) des menschlichen Zusammenlebens und damit auch der politischen und historischen Handlungskonzepte ein. Die Ausbildung der modernen Idee der Nation reagiert dabei auf die mit der Säkularisierung einsetzende Sinnkrise durch Vorgabe der Nation als innerweltlicher Bestimmungsrahmen, durch den die Interpretation von Geschichte und individueller politischer Erfahrung im Hinblick auf einen kollektiven Zusammenhang ermöglicht wird.
 
2) In entsprechender Weise füllt der Begriff der Nation die Stelle des politischen Souveräns aus, eine Position, die durch den »sterblichen Gott« (T. Hobbes) des absolutistischen Territorialstaats vorbereitet worden war und die nach der Ablösung der absoluten Monarchien durch repräsentative Staatsorgane die Grundlage für Repräsentation und Identifikation der Bevölkerung darstellen kann.
 
3) Daneben dient der Begriff der Nation als »Legitimationsidee« (H. O. Ziegler), indem er gegenüber der wachsenden Zahl der am sozialen Leben einer Gesellschaft beteiligten Bevölkerungsteile als den Lebenszusammenhang sichernde und begrenzende Bezugsgröße fungiert.
 
4) Schließlich dient der Begriff der Nation dazu, den Individuen, trotz zunehmender Verflechtung, Anonymität und Komplexität ihrer Umwelt, einen den Einzelnen vorstellbaren Horizont für die Ausbildung eines Wirgefühls zu vermitteln. Tatsächlich wurde der Begriff der Nation, entgegen nationaler Legenden, nicht vom »Volk«, sondern von Bildungs- oder Machteliten unter Berufung auf das jeweilige »Volk« geprägt (u. a. als Kampfbegriff des Bürgertums gegen Adel und Proletariat) und griff erst zeitversetzt auf »national unzuverlässigere Schichten« der Bevölkerung über. Die Ausbreitung der Nationsvorstellung ist damit ein Teil der mit der Neuzeit einsetzenden »Fundamentalpolitisierung«: Politik wurde zu etwas, »was nun alle Menschen in beinahe allen Lebenslagen angeht« (C. Graf von Krockow).
 
Die Nation stellt möglicherweise die wirkungsvollste politische Organisationsform dar, wobei Erfolge in der Ausbildung der Nationalstaaten als Verfassungs- und Rechtsstaaten, aber auch Terror und Gewalt im Namen der Nation nebeneinander stehen. Dabei zeigt sich die Instabilität der bestehenden Weltstrukturen in entsprechenden Schwierigkeiten bei der Balance der in der Vorstellung der Nation gefassten unterschiedlichen Erwartungen und Gewaltpotenziale. Hinzu kommt, dass die Berufung auf den Wert der Nation nicht universal, sondern vielfach (u. a. kulturell und schichtenspezifisch) gebrochen auftritt. Meist bedienen sich solche sozialen Gruppen des Nationsbegriffs, die sich angesichts eines im Zuge weltweiter Industrialisierung und Verwestlichung stattfindenden Wandels als bedroht empfinden. Für sie bietet Nation dann einen Raum der Kompensation oder einen Ordnungsrahmen mittlerer Größe, der Gruppeninteressen konservieren und begrenzten Wandel initiieren kann. In Europa (und in den europäisierten Schichten außerhalb Europas) haben v. a. die Bildungseliten - in außereuropäischen Ländern zum Teil in Abwehr, zum Teil in Übernahme europäischer Nationsvorstellungen (B. Tibi) - am Prozess der Herstellung der Nationen teilgenommen. Dabei spielten und spielen der Aufbau von Bildungssystemen, von Massenmedien und die Alphabetisierung eine hervorragende Rolle bei der Bildung eines die Kleingruppenzugehörigkeiten dominierenden Nationalbewusstseins für eine Großgruppe, die nicht (nur) auf der Basis kultureller oder sprachlicher Gemeinsamkeiten, sondern häufig allein durch die Zufälligkeit kolonialer oder durch Eroberung geschaffener Grenzziehungen vorgegeben wurde.
 
 Entwicklungstendenzen
 
Auch wenn nach dem Zweiten Weltkrieg, v. a. aufgrund der propagandistischen Ausnutzung des Nationalen durch den Nationalsozialismus, der Begriff der Nation in Deutschland zunächst eher skeptisch und zögernd verwendet wurde, blieb die Kategorie der Nation erhalten und im weltpolitischen Maßstab - sei es bei der Gründung der »Vereinten Nationen«, sei es bei den »nationalen Befreiungskämpfen« ehemaliger Kolonien - auch politisch wirksam. V. a. im Rahmen der in den 1950er- und 1960er-Jahren von den USA ausgehenden Modernisierungstheorie erschien die Nation als zentrale und notwendige Stufe bei der Integration politischer und sozialer Kräfte (K. W. Deutsch). Entsprechend wurde der Prozess des »nation-building« als eine wichtige Phase auf dem Weg zu ökonomischer Entwicklung und zur Ausbildung demokratischer Strukturen angesehen. Eine Reihe desillusionierender Erfahrungen (z. B. Biafrakrieg 1967-70; v. a. aber die nationalistische Propaganda vieler Diktatoren und Terrorregime) hat inzwischen eine solche teleologische Betrachtung der Nation in Zweifel gezogen. Damit rückten auch entsprechende, auf Regionalisierung oder Föderalisierung zielende Prozesse in Europa (Autonomiebestrebungen der Korsen in Frankreich; der Waliser, Iren, Schotten in Großbritannien; der Basken, Katalanen u. a. in Spanien) in ein anderes Licht und verloren den Makel der Unmodernität. Neuere Konzepte betonen gerade die Sinnhaftigkeit eines unterhalb der Ebene der Nation liegenden Regionalbewusstseins (Heimat, Regionalismus) für die Identitätsfindung der Individuen bei gleichzeitiger Abgabe von Souveränitätsrechten durch die Nationen an supra- oder transnationale Institutionen (»Europa der Regionen«). Andererseits führen in den weiterentwickelten Industrieländern Individualisierung der Lebensstile und die Auflösung der Homogenitätsräume wie Arbeitswelt, Religion und soziale Schichtung in eine individuell verschiedene Anordnung von »Lebenslagen« und damit auch zur Reduzierung des Merkmals Nation auf eine Zugehörigkeit unter anderen. Am Erfolg solcher Konzeptionen kann sich zeigen, ob die These, die menschliche Identitätsfindung sei letztlich nur im Rahmen einer Nation möglich, neuen Zuspruch findet, wobei grundsätzlich die Möglichkeit besteht, dass sich heutige Nationen zu größeren Gebilden zusammenschließen, die sich ihrerseits wieder als Nation definieren (z. B. europäische Nation). Die Erwartung des »Absterbens der Nation« zugunsten supranationaler und internationaler Organisationen (z. B. EU) hat sich bis jetzt jedenfalls nicht bewahrheitet.
 
Die Auflösung des Ostblocks und der Zerfall der UdSSR am Beginn der 1990er-Jahre spiegeln neben dem Verlangen nach Menschen- und Bürgerrechten sowie dem Wunsch nach ökonomischem Fortschritt v. a. auch eine Renaissance des Nationsdenkens wider. Dieser Wunsch, eine politische Einheit auf der Basis einer als Nation vorgestellten Gemeinschaft zu schaffen, führt aber nicht nur zu Konflikten mit jeweils dominierenden (nationalen) Gruppen und Herrschaftseliten, sondern auch zu erneuten Zurechnungs- und Abgrenzungsproblemen ([Bürger-]Kriege und »ethnische Säuberungen« im ehemaligen Jugoslawien, Nationalitätenkonflikte in den Nachfolgestaaten der UdSSR und der Tschechoslowakei, in Rumänien u. a., aber auch neu auflebender Antisemitismus). Es zeigt sich dabei, dass etliche der im 20. Jahrhundert als Zwangsnationen entstandenen Gebilde nicht zur Willensnation geworden sind und nun bei nachlassendem Zwang in kleinere (alte) Willensnationen auseinander gebrochen sind, da die von den Herrschaftseliten postulierte neue nationale Identität der Bevölkerung (z. B. Sowjetpatriotismus) nicht die älteren Identitäten beziehungsweise Loyalitäten verdrängen konnte. Wie wichtig die Selbstdefinition der Bevölkerung eines Staates als Nation beziehungsweise Teil einer Nation für die Stabilität desselben sein kann, zeigt sich auch am Beispiel der DDR, deren Führung es nicht gelang, die traditionelle Vorstellung von einer deutschen Nation durch das Postulat einer »sozialistischen Nation« zu überwinden. Dies trug letztlich 1990 zur Wiederherstellung eines deutschen Nationalstaates unter nunmehr weitgehender Ineinssetzung von Nation und Staat bei. Die mit dem Vereinigungs- und Transformationsprozess verbundenen Schwierigkeiten (deutsche Einheit), durch die starke Migration bedingte Integrationsprobleme wie auch Fragen der internationalen Einbindung Deutschlands (der europäischen Integration, der steigenden Anforderungen im Rahmen von UNO und NATO u. a.) mögen Indizien dafür sein, dass am Ende des 20. Jahrhunderts das Thema der nationalen Identität in Deutschland erneut an Aktualität gewinnt. Zeitgleich mit diesen Entwicklungstendenzen vollzieht sich in weiten Teilen der Dritten Welt eine Hinwendung zu anderen Integrationsideen beziehungsweise Bezugsgrößen (z. B. Religion, Ethnie), die ihrerseits Ansatzpunkte für eine Nationenbildung sein können (z. B. Kaschmir, Kurden) und sich zum Teil (wieder) auf eine überstaatliche Idee (z. B. Panarabismus, Islam) stützen.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
ethnische Konflike · Minderheit · Nationalbewusstsein · Nationalismus · Nationalitätenfrage · Selbstbestimmungsrecht
 
Literatur:
 
H. O. Ziegler: Die Moderne N. Ein Beitr. zur polit. Soziologie (1931);
 T. Schieder: Typologie u. Erscheinungsformen des Nationalstaats in Europa, in: Histor. Ztschr., Bd. 202 (1966), H. 1;
 F. Meinecke: Werke, hg. v. H. Herzfeld u. a., Bd. 5: Weltbürgertum u. Nationalstaat (21969);
 
Nation-building, hg. v. K. W. Deutsch u. a. (Neuausg. New York 1971);
 H. Seton-Watson: Nations and states. An enquiry into the origins and the politics of nationalism (Boulder, Colo., 1977);
 
Nationalismus in der Welt von heute, hg. v. H. A. Winkler (1982);
 H. Mommsen: N. u. Nationalismus in sozialgeschichtl. Perspektive, in: Sozialgesch. in Dtl., hg. v. W. Schieder u. a., Bd. 2: Handlungsräume des Menschen in der Gesch. (1986);
 W. J. Mommsen: N. u. Gesch. Über die Deutschen u. die dt. Frage (1990);
 K. Pomian: Europa u. seine N. (1990);
 B. Tibi: Vom Gottesreich zum Nationalstaat. Islam u. panarab. Nationalismus (21991);
 W. Conze: Gesellschaft - Staat - N. (1992);
 N. Elias: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe u. Habitusentwicklung im 19. u. 20. Jh. (Neuausg. 21994);
 H. Plessner: Die verspätete N. Über die polit. Verführbarkeit bürgerl. Geistes (Neuausg. 51994);
 E. J. Hobsbawm: Nationen u. Nationalismus. Mythos u. Realität seit 1780 (a. d. Engl., Neuausg. 1996);
 
Mythos u. N., hg. v. H. Berding (1996);
 
N., Ethnizität u. Staat in Mitteleuropa, hg. v. U. Altermatt (Wien 1996);
 E. Renan: Was ist eine N.? (a. d. Frz., 1996);
 
Volk - N. - Vaterland, hg. v. U. Herrmann (1996);
 B. Anderson: Die Erfindung der N. (a. d. Engl., Neuausg. 1998);
 
N. - Nationalismus - nat. Identität, hg. v. D. Weidinger (1998);
 
Nationalismus, Multikulturalismus u. Ethnizität. Beitrr. zur Deutung von sozialer u. polit. Einbindung u. Ausgrenzung, hg. v. H.-R. Wicker (Bern 1998);
 H. Schulze: Staat u. N. in der europ. Gesch. (Neuausg. 1999);
 D. Langewiesche: N., Nationalismus, Nationalstaat in Dtl. u. Europa (2000);
 
Regionale u. nat. Identitäten. Wechselwirkungen u. Spannungsfelder im Zeitalter moderner Staatlichkeit, hg. v. P. Haslinger (2000).
 
Weitere Literatur: Nationalismus.
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Nation: Das kollektive Leben
 
Ideologien des 19. Jahrhunderts: Liberalismus, Konservativismus, Nationalismus
 
Europa im Vormärz: Um Verfassung und Nation
 
Nation: Ein Deutungsansatz
 

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Na|ti|on, die; -, -en [frz. nation < lat. natio = das Geborenwerden; Geschlecht; Volk(sstamm), zu: natum, ↑Natur]: a) große, meist geschlossen siedelnde Gemeinschaft von Menschen mit gleicher Abstammung, Geschichte, Sprache, Kultur, die ein politisches Staatswesen bilden: die deutsche, französische, englische N.; eine geteilte N.; b) Staat, Staatswesen: Die Akademie der Künste hatte ... den Eingang mit den Fahnen vieler -en behängt (Reinig, Schiffe 93); Frankreich war unter den 48 -en, die im Dezember 1948 die allgemeinen Menschenrechte unterzeichneten (Dönhoff, Ära 117); die Vereinten -en (Organisation, in der sich viele Staaten zur Erhaltung des Weltfriedens zusammengeschlossen haben; Abk.: VN); c) (ugs.) Menschen, die zu einer Nation gehören; Volk: ob je zuvor eine N. am Bildschirm verfolgen konnte, wie ... (Dönhoff, Ära 76); er ist der Liebling der N.

Universal-Lexikon. 2012.