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mathematische Logik
mathematische Logik,
 
im weiteren Sinn die formale Logik, wobei unterstellt wird, dass formales Operieren immer mathematischer Natur sei; im engeren Sinn diejenigen Teilgebiete der formalen Logik, die sich mit für die Mathematik methodologisch wichtigen Fragen, insbesondere mit dem Beweisbegriff, beschäftigen. Hierzu zählen die Beweistheorie (die auch Metamathematik genannt wird), die Mengenlehre, die Modelltheorie sowie die Rekursionstheorie. Die mathematische Logik baut auf der Aussagen- und der Prädikatenlogik erster Stufe auf, erweitert aber den Bereich der Letzteren durch Zulassung von Quantifizierungen über Prädikate oder, dazu gleichwertig, über Mengen. Dies ist für die Mathematik unbedingt grundlegend, wie man schon am Induktionsaxiom für die natürlichen Zahlen erkennt:
 
Dabei kann P als Prädikat über natürliche Zahlen oder aber als Teilmenge derselben gelesen werden. In letzterer Lesart besagt das Axiom: Für alle Teilmengen P von ℕ gilt: Ist 1 ∈ P und ist mit jedem nP auch n + 1 ∈ P, so ist P gleich ℕ. Die Frage, welchen Status und welche Berechtigung dem Induktionsaxiom zukommen, insbesondere wie weit man sich mit ihm von dem sicheren Boden der reinen Logik entfernt, ist ein wichtiges Thema der Philosophie der Mathematik.
 
Die Beweistheorie untersucht mathematische Beweise auf ihre Gültigkeit hin. Hierzu überführt sie diese in einen Kalkül (»Kalkülisierung«). Die Modelltheorie führt, gestützt auf die Konstruktion von Modellen, z. B. relative Widerspruchsfreiheitsbeweise. Beweis- und Modelltheorie erlauben es, Fragen nach der Vollständigkeit (Lässt sich jede wahre Aussage im Kalkül beweisen ?) und nach der Unabhängigkeit (Lässt sich ein Axiom aus den restlichen ableiten ?) zu beantworten. Die moderne Mengenlehre untersucht in erster Linie Axiomensysteme, die das Bilden von und das Operieren mit Mengen beschreiben können. Die Rekursionstheorie schließlich beschäftigt sich mit Fragen der Berechenbarkeit.
 
 Geschichte
 
Das erste umfassende System der Logik schuf Aristoteles. In seinen Schriften zur Logik, dem »Organon«, finden sich eine ausführliche Behandlung des Syllogismus, die bis zur Neuzeit Inbegriff der Logik blieb, zahlreiche Untersuchungen zur Modallogik sowie zur Definitionslehre und verwandten Problemen. Aussagenlogische Schlüsse, insbesondere die Implikationsbeziehung, wurden in der Stoa (z. B. Philon von Megara) untersucht. Für die Tradierung der antiken Logik, die in den sieben freien Künsten ihren festen Platz fand, spielte das Werk von Boethius eine wichtige Rolle. Die logische Forschung des Mittelalters konzentrierte sich hauptsächlich darauf, die Syllogistik als Argumentationslehre und zu Zwecken der Sprachanalyse auszubauen.
 
In der Neuzeit erlebte die Logik durch die Idee der Mechanisierung menschlichen Denkens (R. Lullus, G. W. Leibniz) neue Anregungen. Insbesondere unternahm Leibniz erste Versuche, die Logik zu kalkülisieren. L. Euler - später in ähnlicher Weise J. Venn - und J. H. Lambert entwickelten Methoden zur Veranschaulichung des abstrakten syllogistischen Denkens. Im 19. Jahrhundert entstand, ausgehend von mathematischen Fragestellungen, die Algebra der Logik. Zu ihr leisteten Mitte des Jahrhunderts G. Boole und A. De Morgan wichtige Beiträge; gegen Ende des Jahrhunderts sind u. a. L. Couturat, C. S. Peirce, E. Schröder und A. N. Whitehead zu nennen. Der wohl wichtigste Beitrag des 19. Jahrhunderts war die Entwicklung der Prädikatenlogik durch G. Frege und deren Anwendung auf mathematische Fragestellungen. Die Ansätze Freges wurden von B. Russell und Whitehead in ihren »Principia Mathematica« (1910-13, 3 Bände) weitergeführt, in denen eine Reduktion der Mathematik auf die Logik versucht wurde (Logizismus). Die von Russell entdeckte Antinomie im System Freges löste eine Reihe von Versuchen aus, diese auszuschalten. Neben der von Russell und Whitehead entwickelten Typentheorie sind hier auch das Hilbert-Programm und die Bemühungen um eine Axiomatik für die Mengenlehre (E. Zermelo, A. Fraenkel, J. von Neumann) zu nennen. Eine radikale Gegenposition zu den genannten Richtungen bezog der Intuitionismus (L. E. J. Brouwer, A. Heyting), der ein eigenes Logiksystem (die effektive oder intuitionistische Logik) entwickelte. Herausragende Ereignisse in der mathematischen Logik waren K. Gödels Beweise des Vollständigkeits- und des Unvollständigkeitssatzes (1930-31), die negative Antwort von A. Church auf das Entscheidungsproblem (1936), A. Turings Arbeiten zum Halteproblem (1938), die erstmals Maschinen in die logische Modellbildung einführten, A. Tarskis Untersuchungen über den Wahrheitsbegriff in formalisierten Sprachen (1938) und der oft als Paradoxie bezeichnete Löwenheim-Skolem-Satz. 1963/64 erfolgte die vollständige Klärung der Kontinuumshypothese durch P. Cohen nach Vorarbeiten von Gödel. Neue Aktualität gewann die mathematische Logik durch die Weiterentwicklung der Computertechnik, die es zunehmend erlaubt, Denken, v. a. logisches Denken, elektronisch zu simulieren. Moderne Ansätze versuchen z. B., die klassischen Überlegungen der mathematischen Logik (etwa den gödelschen Unvollständigkeitssatz) informationstheoretisch zu interpretieren (J. Bennet, G. Chaitin) und so zu neuen Einsichten über die Möglichkeiten des Denkens, aufgefasst als Prozess der Informationsverarbeitung, zu gelangen.
 
Literatur:
 
From Frege to Gödel. A source book in mathematical logic, hg. v. J. van Heijenoort u. a. (Neuausg. Cambridge, Mass., 1977);
 W. Felscher: Naive Mengen u. abstrakte Zahlen, 3 Bde. (1978-79);
 H. Hermes: Aufzählbarkeit, Entscheidbarkeit, Berechenbarkeit (31978);
 J. M. Bocheński: Formale Logik (51996);
 H.-D. Ebbinghaus u. a.: Einf. in die m. L. (41996).

Universal-Lexikon. 2012.