Richelieu
[riʃə'ljø],
1) Armand-Jean du Plessis [dyplɛ'si], Herzog von, französischer Staatsmann und Kardinal (seit 1622), * Paris 9. 9. 1585, ✝ ebenda 4. 12. 1642, Großonkel von 2). Zunächst für eine militärische Laufbahn bestimmt, wurde er 1607/08 Bischof von Luçon in der Vendée (bis 1624). Als Vertreter des Klerus bei den Generalständen von 1614 unterstützte er die Politik der Regentin Maria von Medici, die ihn 1616 zum Staatssekretär ernannte. Nach dem Sturz von Marias Günstling, des Marquis d'Ancre, 1617 entlassen und zeitweise verbannt, wurde Richelieu durch den Herzog von Luynes, den Günstling Ludwigs XIII., an den Hof zurückberufen, um im Konflikt zwischen dem König und seiner Mutter zu vermitteln. Seit April 1624 bis zu seinem Tod war Richelieu Erster Minister im Staatsrat. Sein Wirken lässt sich an den drei Hauptzielen messen, die er im »Politischen Testament« formuliert hat: Beseitigung der militärischen und politischen Sonderstellung der Hugenotten, Entmachtung des Hochadels, Befreiung Frankreichs aus der Umklammerung durch den spanisch-habsburgischen Gegner. Das erste Ziel hat Richelieu früh erreicht. Nach dem Fall ihres Stützpunkts La Rochelle mussten die Hugenotten ihre politischen und militärischen Sonderrechte aufgeben, während ihnen religiöse Duldung und kirchliche Organisation erhalten blieben (Gnadenedikt von Alès, 1629). Um sein zweites Ziel zu erreichen, musste Richelieu der Verschwörungen seiner höfischen Gegner Herr werden und den politischen Einfluss der Königinmutter ausschalten (»Tag der Geprellten« 10. 11. 1630); Adelserhebungen wurden niedergeschlagen oder im Keim erstickt. Sein drittes, außenpolitisches Ziel verfolgte Richelieu im zunächst »verdeckten«, seit 1635 »offenen« Krieg gegen die spanisch-habsburgische Macht. Er unterstützte 1624-26 die Graubündner gegen die Habsburger im Kampf um das Veltlin und griff 1628-31 in den Mantuanischen Erbfolgekrieg ein. Er unterstützte die deutsche Fürstenopposition gegen den Kaiser und schloss ohne konfessionelle Bedenken ein Bündnis mit dem protestantischen Schwedenkönig Gustav II. Adolf (Vertrag von Bärwalde, 1631). Nach der Kriegserklärung an Spanien (1635) setzte er alle Machtmittel des Staates für den Kampf gegen Spanien und den Kaiser ein und verhinderte dadurch schließlich den Sieg der habsburgischen Front im Dreißigjährigen Krieg. Die Vorverhandlungen zum Westfälischen Frieden leitete er (1641) noch selbst ein. Der Rhein als natürliche Grenze gehörte, wie die neuere Forschung gezeigt hat, nicht zu seinen Zielen.
Unter dem Druck der finanziellen Belastung des Staates und zur Stärkung der monarchischen Zentralgewalt baute Richelieu das Amt des Intendanten zu einer dauerhaften Institution aus. Seine weit gespannten wirtschafts- und sozialpolitischen Reformpläne konnten angesichts der militärischen Belastungen nicht verwirklicht werden. Die dem Land auferlegten Abgaben führten zu zahlreichen Aufständen, so in Burgund (1629-30), der Gascogne (1636), der Normandie (1639) und dem Bourbonnais (1640). An der Ernennung Mazarins zu seinem Nachfolger hatte Richelieu selbst wesentlichen Anteil.
Richelieus Politik, bei aller machtpolitischer Orientierung christlich verstandenen Rechtsprinzipien verpflichtet, schuf die Voraussetzungen für die Blüte des Absolutismus unter Ludwig XIV. und für die französische Vormachtstellung im europäischen Staatensystem des 17. Jahrhunderts. Mit der Gründung der Académie française (1635, Institut de France) stellte er auch Sprache und Literatur in den Dienst des absolutistischen Gesellschaftsideals.
Ausgaben: Politisches Testament und kleinere Schriften, herausgegeben von W. Mommsen (1926, Nachdruck 1983); Les papiers de Richelieu, herausgegeben von P. Grillon, 7 Bände in 2 Reihen und 2 Registerbände (1975-97).
R. Bonney: Political change in France under R. and Mazarin. 1624-1661 (Oxford 1978);
M. Carmona: R. L'ambition et le pouvoir (Paris 1983);
R. Mousnier: L'homme rouge ou La vie du cardinal de R. (Paris 1992).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
2) Louis François Armand de Vignerot du Plessis [də viɲə'rodyplɛ'si], Herzog von, französischer Marschall (seit 1748), * Paris 13. 3. 1696, ✝ ebenda 8. 8. 1788, Großneffe von 1); kämpfte 1712 im Spanischen Erbfolgekrieg, war 1725-29 Botschafter in Wien und setzte sich als Statthalter des Languedoc (seit 1738) erfolgreich für eine Beendigung der Protestantenverfolgungen ein. Im Österreichen Erbfolgekrieg zeichnete er sich als Truppenführer aus. 1756 eroberte er von den Briten Menorca und zwang im Siebenjährigen Krieg den britischen Heerführer Wilhelm August, Herzog von Cumberland, zur Konvention von Kloster Zeven (8. 9. 1757. Richelieu stand in regem Gedankenaustausch mit Voltaire. Witzig, geistreich und in viele galante Abenteuer verstrickt, gilt er als Prototyp des aristrokratischen »Libertin« des 18. Jahrhunderts.
Véritable vie privée du Maréchal de R., hg. v. É. Porquerol (Paris 1996).
Universal-Lexikon. 2012.