Wertesystem; Sittlichkeit; Moralvorstellungen; Moral; sittliche Werte; Wertmaßstäbe; moralische Werte; Wertvorstellungen; Morallehre; Sittenlehre; Tugendlehre
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Ethik ['e:tɪk], die; -, -en:alle sittlichen Normen und Werte einer Gesellschaft:
die Ethik des 19. Jahrhunderts; die Ethik der Mediziner.
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Ethik 〈f. 20; unz.〉
1. Lehre vom sittlichen u. moralischen Verhalten des Menschen
2. ethische (2) Anschauung
● eine menschenfreundliche \Ethik vertreten [<grch. ethikos „sittlich“]
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1.
a) philosophische Disziplin od. einzelne Lehre, die das sittliche Verhalten des Menschen zum Gegenstand hat; Sittenlehre, Moralphilosophie:
Probleme der E.;
b) die Ethik darstellendes Werk:
-en des 19. Jh.s.
2. <o. Pl.> (bildungsspr.) Gesamtheit sittlicher Normen u. Maximen, die einer [verantwortungsbewussten] Einstellung zugrunde liegen:
sein Handeln war von christlicher E. geleitet.
3. Ethik (1 a) als Schulfach.
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I Ethik,
Lehre von den der gesellschaftlichen Praxis zugrunde liegenden, als verbindlich akzeptierten sittlichen Normen beziehungsweise Normensystemen, deren Einhaltung »richtiges« (verantwortungsbewusstes) Handeln gewährleisten soll.
Ethik
[zu griechisch éthos »Gewohnheit«, »Herkommen«, »Sitte«] die, -, die philosophische Wissenschaft vom Sittlichen, die in engem Zusammenhang mit den durch Herkunft erworbenen Regeln des Handelns und Verhaltens steht. Die feststellbare Diskrepanz zwischen dem durch Tradition Gesicherten und seiner Kritik führt zur Entstehung der Ethik als philosophische Disziplin, die nach dem Maß des guten menschlichen Lebens, Handelns und Verhaltens fragt und dieses auf der Grundlage verschiedener Methoden zu bestimmen versucht.
Wesen der Ethik
Die gesamte traditionelle Ethik beschäftigt sich überwiegend mit folgenden drei Problemfeldern: 1) mit der Frage nach dem »höchsten Gut«; 2) mit der Frage nach dem richtigen Handeln; 3) mit der Frage nach der Freiheit des Willens.
Als Hauptgegenstand der Ethik gelten den meisten Philosophen die menschlichen Handlungen und die sie leitenden Handlungsregeln (selbst gesetzte Maximen oder gesellschaftlich vorgegebene Normen), wobei sie entweder auf die Gesinnung sehen, aus der die Handlung hervorgeht (Gesinnungsethik), oder auf die Wirkungen, die diese erzeugt (Erfolgsethik oder Verantwortungsethik). Einige Philosophen stellen daneben oder sogar in den Vordergrund die objektiven Ordnungen und Gebilde des Gemeinschaftslebens, sofern diese unter die sittliche Wertfrage gestellt werden können (z. B. Familie, Rechtsordnung, Staat). Eine Hauptfrage, die sich stellt, ist: Sind die sittlichen Willensantriebe und Wertschätzungen angeboren und daher in gewissem Maß allgemein menschlich (»Nativismus«), oder sind sie aus Erfahrungen gewonnen und daher nach Völkern und Zeitaltern verschieden (»Relativismus«)? Im weiteren Sinn lassen sich drei Typen ethischer Theorie unterscheiden: 1) deskriptive Ethik, die sich als empirische Untersuchung, Beschreibung und ursächliche Erklärung von Normensystemen versteht, ohne selbst Normen setzen zu wollen; 2) normative Ethik (Ethik im eigentlichen Sinn), die bewusst normative Aussagen macht, sei es, dass sie ein formales Prinzip herausstellt, woran sittliches Handeln zu messen ist (formale Ethik), sei es, dass sie sich an bestimmten absoluten oder relativen Wertinhalten orientiert (materiale Wertethik); 3) Metaethik, die wertneutral den sprachlich-logischen Status moralischer Begriffe analysiert und sich v. a. mit der Bedeutung ethischer (z. B. »richtig«, »falsch«) und verwandter (z. B. »Gewissen«, »Handeln«) Begriffe, der Verwendung ethischer Begriffe in moralischen Sätzen und der Frage nach der Begründbarkeit von Werturteilen beschäftigt. - Die normative Ethik lässt sich weiter differenzieren nach der Weise der Begründung in apriorische und empirische Ethik, nach dem Ursprung der Verpflichtung in autonome und heteronome Ethik, nach dem Einbezug beziehungsweise Nichteinbezug des geschichtlichen Wandels in Situationsethik und Wesensethik, nach der Weite des Feldes ethischer Bedeutsamkeit in Individual- und Sozialethik, nach der Ausrichtung des Handelns in deontoligischer Ethik (maßgebend sind Handlungsmaximen) und teleologische Ethik (die Motivation ist durch das Ziel begründet).
Geschichte der Ethik
Die (überlieferte) ethische Besinnung begann mit Platons Streit mit den Sophisten über die Frage nach der Lehrbarkeit der Tugend; zur eigenständigen philosophischen Disziplin (neben Logik und Physik) wurde sie bei Aristoteles. Die antike Ethik fragte ursprünglich nach dem höchsten Gut (griechisch agathon) im zunächst außermoralischen Sinne und bestimmte dieses letzte Ziel des Menschen als die Glückseligkeit (Eudaimonia). Im Zentrum von Aristoteles' Entwurf einer praktischen Philosophie, der von den konkreten Lebensvollzügen in der Polis ausging, stand die Frage nach der Mitte oder dem rechten Maß, das ein vernunftgemäßes und tugendhaftes Handeln gewährleistet. Nach Aristoteles entwickelten sich unter Rückgriff auf verschiedene sokratische Schulen unterschiedliche Bestimmungen der Glückseligkeit. Bei Epikur liegt die Glückseligkeit im Lustgewinn, bei den Stoikern in der Befreiung von den Affekten und bei den Skeptikern in der Gleichgültigkeit gegenüber allen moralischen Werten. Erst in der Stoa fand eine sittliche Forderung Beachtung, teils durch den Begriff des Geziemenden (griechisch kathekon, lateinisch officium), teils durch den Gedanken eines sittlichen Gesetzes, das von Natur gegeben sei (»lex naturae«) und ein Leben in Übereinstimmung mit dieser fordere.
Erst im Mittelalter, bei Thomas von Aquino, entstand aus der Verbindung dieses »Naturgesetzes« und der christlichen Offenbarung eine umfassende philosophisch-theologische Systematik, die zugleich Glückseligkeits-, Vollkommenheits-, Güter-, Vernunft- und Gesetzesethik war. Deren Grundsatz und Grundbegriffe blieben in verschiedenen Abwandlungen, unter allmählichen Ausgliederung der theologischen Begründung, bis zur Aufklärung erhalten. Noch das ausgehende Mittelalter stellte die Naturerkenntnis über die Naturbeherrschung. Erst F. Bacon und R. Descartes kehrten diese Hierarchie um. Im System der philosophischen Wissenschaften der Neuzeit wird die Ethik der Logik, Mathematik und Physik nachgeordnet und durch diese methodisch (more geometrico) bestimmt. So heißt Spinozas Hauptwerk, in dem die Affekte durch adäquate Erkenntnis in der geistigen Liebe zu Gott (amor dei intellectualis) aufgehoben werden, »Ethik«. T. Hobbes führte die praktische Philosophie auf die mechanisch determinierte Natur des Menschen zurück (Naturrecht) und leitete somit die Wende zu einem rationalistischen Ansatz ein. In der Auseinandersetzung mit Hobbes entstand in England eine ausführliche Debatte um das Verhältnis von Verstand und Gefühl bei der Entstehung des moralischen Urteils (J. Locke, A. A. Shaftesbury, J. Butler, F. Hutcheson, D. Hume, A. Smith). Humes Hinweis, dass sich aus empirischen Feststellungen keine normativen Aussagen herleiten lassen, wird zu einem Paradigma für die moderne Ethikdiskussion.
Eine epochale Wendung brachte I. Kant. Er schied alle Rücksicht auf Glückseligkeit, Güter, Nutzen und Neigung als untauglich für eine allgemein verpflichtende Grundlegung der Ethik aus und gründete diese auf den »kategorischen Imperativ«, der ausschließlich auf dem Prinzip der Pflicht sowie der Freiheit des Menschen als eines autonomen Vernunftwesens basiert. Aus der Form des kategorischen Imperativs als eines allgemein gültigen Prinzips der Überprüfung von Handlungsmaximen auf ihre Verallgemeinerbarkeit hin (»handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde«) ergibt sich zugleich sein Inhalt a priori, d. h. unabhängig von aller Erfahrung (Formalismus). In radikaler Wende gegen eine Moralphilosophie, die Imperative, Normen und Werte durch Rückgriff auf die Vernunft zu begründen versucht, verweist Schopenhauer mit dem Rekurs auf die Vitalität, das Leben, die Affekte auf die Ursprünglichkeit der Moral und bestimmt das Mitleid als einzige Grundlage der Ethik. Nietzsche ist darüber hinausgehend jede Form der Moral verdächtig, seine Forderung nach »Umwertung aller Werte« ist mit einer Neukonstituierung menschlicher Kultur überhaupt verbunden.
In England dagegen entwickelte sich im 19. Jahrhundert durch J. Bentham und J. S. Mill die utilitaristische Ethik, die durch die Orientierung am allgemeinen Nutzen »das größte Glück der größten Zahl« gewährleisten wollte. Auf H. Spencer geht eine evolutionistische Ethik zurück, während in Frankreich A. Comte deren positivistische Richtung begründete (Positivismus).
Im 20. Jahrhundert entstanden in Deutschland Richtungen, die das rein formale Prinzip der Ethik Kants durch unterschiedliche Systeme »materialer« Wertprinzipien zu ergänzen beziehungsweise zu ersetzen strebten, so die phänomenologische Ethik als »materiale Wertethik« (M. Scheler, N. Hartmann), die neukantisch-wertphilosophische Ethik von B. Bauch, der die Kulturwerte als unterschiedliche sittliche Richtgesetze postulierte. Eine soziologisch orientierte Ethik entwarf L. von Wiese, eine existenzphilosophische Situationsethik E. Grisebach. O. F. Bollnow sprach von einer Ethik der »einfachen Sittlichkeit«, die die Tugenden des Alltagslebens wie Herzensgüte, Mitleid und Anständigkeit hervorhebt. Die thomistische Ethik wurde im katholischen Bereich fortgeführt (J. Pieper, J. Messner, M. Reding).
In Frankreich entwickelte sich eine existenzialistische Ethik (J.-P. Sartre, A. Camus, R. Gusdorf); sie hebt die Freiheit des Menschen hervor, die ihn ständig zu einer Selbstbestimmung durch Handeln zwingt. Daneben finden sich der deutschen phänomenologischen Ethik verwandte Gestaltungen (V. Jankelevitch, R. Le Senne) sowie die - auch in Belgien und Spanien starke - thomistische Ethik (J. Maritain, J. Leclercq, J. L. Aranguren). Beachtung gewann in den 1980er-Jahren E. Levinas' Ansatz einer Fundamentalethik, die von der vorrationalen Erfahrung des Angesprochenwerdens durch das Antlitz des anderen ausgeht, das den Angesprochenen zur Übernahme von Verantwortung aufruft.
Im angelsächsischen Raum übt die intuitionistische Ethik von G. E. Moore seit Beginn des Jahrhunderts einen großen Einfluss aus. Moore geht davon aus, dass ethische Begriffe grundsätzlich nicht definierbar, sondern durch sich selbst evident und wahr seien. Er begründete die sprachanalytische Ethik, die sich primär als Metaethik versteht; während die Kognitivisten (z. B. C. I. Lewis, Moore, R. M. Hare, G. H. von Wright, S. E. Toulmin, K. Baier) moralische Aussagen als Behauptungssätze auffassen, die als solche wahr oder falsch sein können, und somit an der Erkennbarkeit des Moralischen festhalten, sehen die Nonkognitivisten moralische Aussagen als Ausdruck von Gefühlen oder Einstellungen an (Emotivismus; A. J. Ayer, C. L. Stevenson). Der moderne Liberalismus (J. Rawls, J. M. Buchanan, R. Nozick u. a.) hat sich v. a. in der Auseinandersetzung mit Grundpositionen des Utilitarismus (J. O. Urmsen, J. J. C. Smart, R. B. Brandt u. a.) entwickelt. Große Beachtung erlangte Rawls' Forderung, das Nutzensprinzip durch ein Gerechtigkeitsprinzip zu ergänzen. Seine vom Sozialvertrag bestimmte und mit volkswirtschaftlichen Theoremen argumentierende Theorie der Gerechtigkeit als Fairness, die sich mit der sozialen Gerechtigkeit von Institutionen und gesellschaftlichen Verfahrensweisen befasst, stellt zugleich eine Orientierung am kantschen Gerechtigkeitsbegriff dar. Dagegen verstehen sich die Vertreter des Kommunitarismus (A. MacIntyre. M. Sandel, C. Taylor, M. Walzer u. a.), die auf der Grundlage einer Reformulierung des Tugendbegriffs die Konstituierung von gelingenden Gemeinschaftsformen zu erklären versuchen, als Kritiker rationalistischer und normativer Moralbegründungen.
In Deutschland wurde der sprachanalytische Ansatz v. a. von der »Erlanger Schule« (P. Lorenzen, F. Kambartel, O. Schwemmer) aufgegriffen und zu einer Logik moralischen Argumentierens weitergebildet, die den Sinn des ethischen Vorgehens vor aller Anwendung herauszuarbeiten versucht (Protoethik). Im Unterschied dazu versucht die Diskursethik von K.-O. Apel und J. Habermas im Rekurs auf Sprachpragmatik und kommunikative Kompetenz die Bedingungen eines repressionsfreien, vernünftigen ethischen Diskurses aufzuweisen und von dort aus zu einer Letztbegründung moralischer Normen zu gelangen. Die Debatte um eine Rehabilitierung praktischer Philosophie in Deutschland seit Ende der 60er-Jahre stellte nicht in erster Linie eine Reaktion auf die angelsächsische Diskussion dar, sondern eine zu Grundfragen praktischer Philosophie (»was wir tun sollen«, »wie wir leben können«) unter modernen Bedingungen. Allerdings bildete das Problem der Begründung und Geltung moralischer Normen in der Diskussion zwischen Vertretern des Erlanger Konstruktivismus, der Diskursethik, transzendentalphilosophischer (H. Krings, A. Pieper, O. Höffe), phänomenologisch-hermeneutischer (H. Reiner, B. Waldenfels, H.-G. Gadamer), existenzialistischer (H. Fahrenbach) u. a. Ansätze den zentralen Gegenstand. Gerade darin zeigt sich auch eine Verbindung zur analytischen Tradition. Außerdem wurde die Diskussion durch eine intensive Beschäftigung mit den klassischen Systemen von Aristoteles, Kant und Hegel bereichert (u. a. G. Bien, Höffe, M. Riedel, K.-H. Ilting); in diesem Zusammenhang entstanden verschiedende Spielarten des Neoaristotelismus (R. Spaemann, O. Marquard, H. Lübbe). Die Arbeiten von G. Patzig, E. Tugendhat und U. Wolf stellen Ansätze dar, Grundprobleme angelsächsischer Konzepte wie des Utilitarismus und deutscher kantischer Tradition zu vermitteln.
Den ethischen Anforderungen, die der beschleunigte Fortschritt von Wissenschaft und Technologie mit sich gebracht hat, versuchen die Verantwortungsethik von W. Schulz und H. Jonas gerecht zu werden. Im Unterschied zur alleinigen oder primären Beurteilung der Gesinnung einer Handlung tritt bei ihnen die Abschätzung der Folgen in den Vordergrund; statt der Bestimmung eines höchsten Guten nehmen sie ihren Ausgang von dem viel leichter erkennbaren, zu vermeidenden Übel. Als Aufgabe an die gegenwärtige Ethik ist die Weiterentwicklung der anthropozentrischen Ethik (gegründet auf die Auffassung einer »Sonderstellung des Menschen im Kosmos«, nach M. Scheler) zu einer kosmischen Ethik gestellt, die den Menschen im Naturzusammenhang sieht.
Fragestellungen und Ansätze der Ethik in der Gegenwart
Noch W. von Siemens konnte prophezeien, dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt die Menschen moralischen und materiellen Zuständen zuführen werde, die besser seien, als sie es je waren. Dagegen führte der Einsatz der Kernwaffen u. a. Massenvernichtungsmittel, die das Leben auf der Erde durch den Menschen selbst auslöschen können, zu völlig neuen ethischen Fragen. Ein frühes Dokument hierfür ist die Schrift »Die Atombombe und die Zukunft der Menschheit« (1957) von K. Jaspers. Darüber hinaus zeigte es sich, dass der wissenschaftlich-technische Fortschritt selbst zu einem ethischen Problem geworden war (»Der Mensch ist der Natur gefährlicher geworden, als sie es ihm jemals war«, Jonas). Seit der Studie des Club of Rome, der Ölkrise und den Auseinandersetzungen um die Nutzung der Kernenergie, die Aufrüstung und die Entwicklung der Gentechnologie bis hin zur gezielten Gentherapie setzt sich die Einsicht durch, dass wissenschaftlicher und technischer Fortschritt keine Werte an sich sind. Weder Naturwissenschaft noch Technik können Werte formulieren. Sie sagen nur, wie etwas erreicht werden kann (etwa die Veränderung menschlicher Erbanlagen), aber niemals, ob dies auch erreicht werden soll. Die Herausforderung, die die wissenschaftlich-technische Macht angesichts ihrer räumlich und zeitlich weit reichenden Auswirkungen für die moralische Verantwortung darstellt, verlangt nach einer neuen Ethik. Die mit Nachdruck geforderte praktische Orientierung in der Diskussion geht nicht nur mit einer breiten Normendiskussion einher, sondern führte zur Entstehung verschiedener Forschungszweige, den angewandten Ethiken, die sich mit deutlich normativem Akzent u. a. als medizinische, Bio-, Wirtschafts- und ökologische Ethik profilieren. Diese stehen wie die praktische Philosophie insgesamt vor einer Reihe neuartiger Probleme und Fragen, u. a. nach dem ethischen Status zukünftiger Generationen (deren Leben durch Schadstofferzeugung für Jahrmillionen belastet werden kann); dem ethischen Status der Natur (Ist die Natur nur »Zuhandenes«, Ausbeutungsobjekt im Dienst menschlicher Interessen, oder ist sie Wert und Zweck an sich?); einer moralischen Beurteilung von Wissenschaft und Technik (z. B.: Arbeitet der Wissenschaftler in einem interessenfreien gesellschaftlichen Raum, oder gibt es Werte, die seine Fragestellungen bestimmen, und solche, die die Auswirkungen seines Forschens bestimmen müssen? Wieviel Verantwortung darf der Mensch an technische Systeme »delegieren«?); dem menschenwürdigen Umgehen mit Krankheit, Alter und Tod (Wie weit darf die »Apparatemedizin« eingesetzt werden? Unter welchen Umständen könnte Sterbehilfe gewährt werden?); dem ethischen Status neuen Lebens (neue Auseinandersetzung mit der Rolle von Zeugung, Empfängnis, Elternschaft, dem noch ungeborenen Leben und der künftigen Gestaltung der Welt); den menschlichen Bedürfnissen und den Grenzen ihrer Befriedigung; einer moralischen Beurteilung nicht nur menschliche Zwecke, sondern ebenfalls der angewendeten Mittel; der Rolle der Vernunft; auch nach den offenen und verdeckten Formen sozialer Herrschaft. Die Ansätze zur Lösung dieser Herausforderungen sind vielfältig. So fordert R. Spaemann eine Wiederbelebung der teleologischen Sichtweise in der Naturphilosophie. Das oberste Prinzip seiner Ethik ist die »Ehrfurcht vor dem Leben«. Sein Fazit lautet: »Nicht durch »totales Handeln« können wir eine für den Menschen bewohnbare Welt erhalten, sondern nur durch ein neues Ethos, das uns veranlasst, uns in unserem Handeln, in unserer Zweckverfolgung bewusst und in Freiheit Beschränkung aufzuerlegen.«
Jonas hat als Antwort - durchaus in kantischer Tradition - den kategorischen Imperativ der Ethik der Fernwirkung formuliert: »Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.« K. M. Meyer-Abich sieht als neuen Ausgangspunkt jeglicher Politik und Moral eine Rechtsgemeinschaft der Gesellschaft mit der sie umgebenden Natur (»kosmische Rechtsgemeinschaft aller Dinge«). W. Marx gründet seine nichtmetaphysische Nächstenethik auf die Erfahrung der Sterblichkeit als Maß für eine Unterscheidung zwischen Gut und Böse und stellt in das Zentrum Mitleid, Nächstenliebe und mitmenschliche Anerkennung. Das ethisch geforderte neue Verantwortungsbewusstsein betrifft sowohl das Individuum, das, in eine Gesamtheit gestellt, immer auch als mitverantwortlich angesehen werden muss, und ebenso global den institutionellen, rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Bereich. Dabei geht es besonders in den parlamentarischen Demokratien, über die bürgerliche Grundrechte hinaus, die als ethische Prinzipien in den Verfassungen verankert sind, nicht um autoritative Wertsetzungen, sondern um die diskursive Auseinandersetzung, die auf eine mehrheitsfähige Definition leben- und friedensichernder Ziele und von Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung bezogen ist. Eine kosmische, d. h. den Menschen im Naturzusammenhang sehende Ethik, wie sie die genannten Ansätze nahe legen, fordert den Abbau von Tendenzen neuzeitlicher Wissenschaft: von verselbstständigter Rationalität, des Absolutheitsanspruches von Kategorien der Massenstatistik und von Objektivität, hinter denen das Subjekt in seiner Einzigartigkeit verschwindet, den Abbau von destruktivem Verhalten und eines »funktionierenden«, menschlichen Fühlen und schöpferisches Wirken ausschaltenden Denkens. Sie strebt ein Verantwortungsbewusstsein an, das sich einerseits auf Werte wie Frieden, Gerechtigkeit und das Recht auf Leben stützt und andererseits Freiheit voraussetzt. Damit aber sind ebenfalls Zentralbegriffe der traditionellen Ethik angesprochen.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
Bioethik · Deontologie · Entscheidung · Erfolgsethik · Ethikkommissionen · Ethos · Freiheit · Frieden · Gentechnologie · Gentherapie · Gesinnungsethik · Gewalt · Gewissen · Grundwerte · Handeln · Konflikt · Medizin · Menschenrechte · Metaethik · Moral · Moralphilosophie · Moraltheologie · Motivation · Ökologie · Religion · Sittlichkeit · Sterbehilfe · theologische Ethik · Tierschutz · Tugend · Verantwortung · Wert · Wertewandel · Wirtschaftsethik
O. F. Bollnow: Einfache Sittlichkeit (21968);
O. F. Bollnow: E. (91984);
H. Fahrenbach: Existenzphilosophie u. E. (1970);
Rehabilitierung der prakt. Philosophie, 2 Bde., hg. v. M. Riedel (1972-74);
M. Riedel: Norm u. Werturteil (1976);
W. Weischedel: Skeptische E. (1976);
G. E. Moore: Principia Ethica (a. d. Engl., 41977);
G. Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, Bd. 2: Über die Zerstörung des Lebens im Zeitalter der dritten industriellen Revolution (1980);
Ökologie u. E., hg. v. D. Birnbacher (1980);
O. Höffe: Sittlich-polit. Diskurse (1981);
F. von Kutschera: Grundlagen der E. (1982);
R. Spaemann: Moral. Grundbegriffe (1982);
Von der Verantwortung des Wissens, hg. v. P. Good (a. d. Engl., 1982);
J. Habermas: Moralbewußtsein u. kommunikatives Handeln (1983);
J. Habermas: Faktizität u. Geltung. Beitrr. zur Diskurstheorie des Rechts u. des demokrat. Rechtsstaats (41994);
F. Ricken: Allgemeine E. (1983);
E. der Wissenschaft? Philosoph. Fragen, hg. v. E. Ströker (1984);
A. MacIntyre: Gesch. der E. im Überblick (a. d. Amerikan., 1984);
A. MacIntyre: Der Verlust der Tugend. Zur moral. Krise der Gegenwart (a. d. Amerikan., Neuausg. 1995);
R. Rawls: Eine Theorie der Gerechtigkeit (a. d. Amerikan., 21984);
Walter Schulz: Philosophie in der veränderten Welt (15.-16. Tsd. 1984);
E. Tugendhat: Probleme der E. (1984);
E. Tugendhat: E. u. Politik. Vorträge u. Stellungnahmen aus den Jahren 1978-1991 (21993);
E. Tugendhat: Vorlesungen über E. (31995);
U. Wolf: Das Problem des moral. Sollens (1984);
U. Wolf: Das Tier in der Moral (1990);
Humane Experimente? Genbiologie u. Psychologie, hg. v. H. Lenk (1985);
A. Pieper: E. u. Moral (1985);
A. Pieper: Einf. in die E. (31994);
W. K. Frankena: Analyt. E. (a. d. Engl., 41986);
A. Gehlen: Moral u. Hypermoral (51986);
K. M. Meyer-Abich: Wege zum Frieden mit der Natur. Prakt. Naturphilosophie für die Umweltpolitik (Neuausg. 1986);
K. Bayertz: GenEthik. Probleme der Technisierung menschl. Fortpflanzung (1987);
E. Levinas: Totalität u. Unendlichkeit (a. d. Frz., 1987);
Technik u. E., hg. v. H. Lenk u. a. (1987);
P. Koslowski: Prinzipen der Ethischen Ökonomie. Grundlegung der Wirtschafts-E. u. der auf die Ökonomie bezogenen E. (1988);
P. Koslowski: E. des Kapitalismus (51995);
Ökolog. E., hg. v. K. Bayertz (1988);
T. Rentsch: Die Konstitution der Moralität. Transzendentale Anthropologie u. prakt. Philosophie (1990);
Gesch. der neueren E., 2 Bde., hg. v. A. Pieper (1992);
Lex. der E., hg. v. O. Höffe u. a. (41992);
G. Patzig: Ges. Schrr., Bde. 1 u. 2 (1993-94);
P. Singer: Prakt. E. (a. d. Engl., Neuausg. 21994);
E. u. wiss. Fortschritt, hg. v. P. Mittelstaedt (1995);
B. Irrgang: Grundriß der medizin. E. (1995);
H. Jonas: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer E. für die technolog. Zivilisation (121995);
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Ethik in der Moderne
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Ethik, die; -, -en [lat. ethica, ethice < griech. ēthike̅́, zu: ēthikós, ↑ethisch]: 1. a) philosophische Disziplin od. einzelne standpunktgebende Lehre, die das sittliche Verhalten des Menschen zum Gegenstand hat; Sittenlehre, Moralphilosophie: die E. des Aristoteles, des Mittelalters; Probleme der E.; b) die Ethik darstellendes Werk: -en des 19. Jahrhunderts. 2. <o. Pl.> (bildungsspr.) Gesamtheit sittlicher Normen u. Maximen, die einer [verantwortungsbewussten] Einstellung zugrunde liegen: die E. eines Volkes, eines Berufsstandes; Den Ärzten ... danke ich von Herzen; sie hatten bereits die richtige E. (Spiegel 9, 1975, 10); sein Handeln war von christlicher E. geleitet.
Universal-Lexikon. 2012.