Vo|lun|ta|rịs|mus 〈[ vo-] m.; -; unz.〉 Lehre, dass der Wille das Grundprinzip des Seins u. des seelischen Lebens sei; Sy Thelematismus, Thelematologie, Thelismus; →a. Intellektualismus [zu lat. voluntas „Wille, Wunsch, Absicht“; zu volere „wollen, wünschen, beabsichtigen“]
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philosophische Lehre, die den Willen als Grundprinzip des Seins ansieht.
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Voluntarịsmus
[v-; zu lateinisch voluntarius »freiwillig«, zu voluntas »Wille«] der, -, von F. Tönnies 1883 eingeführter und v. a. (1892) von Friedrich Paulsen (* 1846, ✝ 1908) und W. Wundt verwendeter Begriff zur Kennzeichnung der philosophischen Position, nach der (im Unterschied zum Intellektualismus, Rationalismus, Naturalismus und Emotionalismus) der Wille als Basis der Erkenntnis (erkenntnistheoretischer Voluntarismus), als Grundfunktion der Seele (psychologischer Voluntarismus), als bestimmendes Prinzip der Welt (metaphysischer Voluntarismus), als Grundprinzip der Ethik (ethischer Voluntarismus) oder als vorherrschende Eigenschaft Gottes (theologischer Voluntarismus) gilt.
Im Gegensatz zu Intellektualismus und Rationalismus (z. B. Platon, R. Descartes, I. Kant) betonen der erkenntnistheoretische und der psychologische Voluntarismus, dass der Wille des Menschen (nicht seine Vernunft) theoretisches und praktisches Handeln bestimmt. T. Hobbes führt z. B. alles menschliche Handeln auf Begehren und Abneigung, die beiden Arten des Strebens, zurück. Für D. Hume sind Vernunft und Wissenschaft nur Sklaven des Willens; sie liefern Begriffe, Deduktions- und Induktionsverfahren, aber keine Ziele und Zwecke, ohne die alle Erkenntnis gleichgültig ist. A. Schopenhauer sieht im Willen das Grundprinzip nicht nur des Menschen, sondern der Welt überhaupt. Diese Zurückführung der gesamten Wirklichkeit auf den Willen als Weltprinzip ist das Merkmal des metaphysischen Voluntarismus, der sich in Ansätzen auch bei J. G. Fichte und H. Bergson findet. Der blinde, d. h. ohne konkretes Ziel und ohne Vernunftgründe wirkende Wille bestimmt nach Schopenhauer v. a. über die Sexualität das Verhalten und die Struktur aller Lebewesen. Für den ethischen Voluntarismus folgt daraus, dass Moralität nicht (wie bei Platon) durch Einsicht in die Idee des Guten, nicht (wie bei Kant) durch den rationalen Beweggrund des Handelns aus Pflicht, sondern durch die Eigenliebe, das menschliche Streben nach Selbsterhaltung, die nicht durch Vernunft restringierte Freiheit des Willens definiert wird. Sind aber Ziele allein Produkte des Willens, können sie nicht mehr danach beurteilt werden, ob sie vernünftig oder unvernünftig, gut oder schlecht sind, sondern nur danach, ob sie gewollt werden. W. James leitet aus der daraus folgenden Subjektivität und Relativität menschlichen Wollens das Prinzip der größtmöglichen Bedürfnisbefriedigung als einzige Maxime der Ethik ab. Ein ethischer Voluntarismus findet sich auch bei F. Nietzsche, der den Willen zur Macht als oberstes Naturprinzip ansieht. Der theologische Voluntarismus bezieht sich einerseits auf den Primat des göttlichen Willens (vor der Vernunft), andererseits auf den Vorrang des Willens beziehungsweise des Glaubens vor dem Intellekt (wobei eine Entsprechung des menschlichen und des göttlichen Geistes angenommen wird). Augustinus identifiziert den Willen als Liebeskraft mit dem Glauben, den er (voluntaristisch) als Voraussetzung der Erkenntnis ansieht. W. von Ockham bestreitet, anders als Thomas von Aquino, die objektive, auch für Gott verbindliche Geltung sittlicher Normen; die sittliche Rechtfertigung jeglichen Handelns gründet vielmehr in Gottes freiem Willen.
J. Marcus: Intellektualismus u. V. in der modernen Philosophie (1918);
F.-J. von Rintelen: Dämonie des Willens (1947);
W. Keller: Psychologie u. Philosophie des Wollens (1954);
Von der Aktualität Schopenhauers, hg. v. E. Bucher u. a. (1972).
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Universal-Lexikon. 2012.