Reichsfürst
Im Jahre 1188 erhob Friedrich Barbarossa in einer glanzvollen Zeremonie den Grafen Balduin von Hennegau zum Markgrafen von Namur. Über die Erhebung in den Reichsfürstenstand wurde dem Markgrafen eine kaiserliche Urkunde ausgestellt. Die Belehnung machte den Grafen zum »Fürsten des Reiches und königlichen Lehnsmann und brachte ihn in den Genuss reichsfürstlicher Vorrechte«. Die Zugehörigkeit zu den Reichsfürsten wurde also durch einen eigenen Rechtsakt begründet. Das zeigt, dass es innerhalb der Schicht des hohen Adels, zu der Balduin auch vor 1188 gehört hatte, einen eigens abgegrenzten Kreis von Personen gab, der nicht allein durch adlige Geburt und Besitz bestimmt war. Die Erhebung Balduins zum Markgrafen von Namur ist der erste überlieferte Rechtsakt dieser Art; deshalb ist anzunehmen, dass die Bildung des Reichsfürstenstandes wenig vorher zum Abschluss gekommen ist, vermutlich im Zusammenhang mit dem Sturz Heinrichs des Löwen im Jahre 1180. Schon vorher hatte sich allerdings im Sprachgebrauch der staufischen Kanzlei ein verfassungsrechtlicher Wandel angedeutet: Der Titel »princeps« (Fürst) wurde zunehmend denen vorbehalten, die in einem Gebiet »staatliche« Rechte wie die Wahrung des Landfriedens und die hohe Gerichtsbarkeit innehatten. Das waren vor allem die Herzöge, die zum Teil noch den Namen der alten Stammesherzogtümer in ihrem Titel führten, aber auch diejenigen, deren Herrschaftsgebiet zwar einem alten Stammesherzogtum zugehörte, bei denen aber anerkannt war, dass sie selbst und nicht mehr der Stammherzog die herzogliche Gewalt in diesem ihrem Gebiet ausübten. Das waren nicht nur große weltliche Herren wie der Markgraf von Brandenburg und der Landgraf von Thüringen, sondern auch alle Erzbischöfe und Bischöfe des Reichs sowie die Äbte und Äbtissinnen der Reichsklöster. Außer der landesherrlichen Gewalt hatten sie mit allen anderen fürstlichen Standesgenossen auch gemein, direkt vom König lehnsabhängig zu sein, was dann im Sachsenspiegel und anderen Rechtsbüchern des 13. Jahrhunderts als wesentliches Kennzeichen der reichsfürstlichen Stellung erscheint. Die förmliche Erhebung in den Reichsfürstenstand von 1188, der später andere folgten, zeigt einmal, dass es von nun an ein formloses Hineinwachsen in die landesherrliche Stellung nicht mehr geben sollte; sie zeigt zum anderen, dass es der König dann, wenn es um reichsfürstliche Rechte ging, nicht mehr nur mit dem einzelnen, gerade betroffenen Fürsten zu tun haben würde, sondern mit einem geschlossenen Stand, der zu Beginn des 13. Jahrhunderts in seiner Gesamtheit als Empfänger königlicher Privilegien erscheint.
Universal-Lexikon. 2012.