Akademik

Bildung
Eröffnung; Gründung; Ausbildung; Erziehung; Schule; Zucht; Gebildetsein; Entwicklung; Entstehung

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Bil|dung ['bɪldʊŋ], die; -, -en:
1.
a) das Bilden, Sichbilden:
die Bildung von Schaum, Rauch; die Bildung einer neuen Partei.
Syn.: Entstehung.
Zus.: Kapitalbildung, Meinungsbildung, Regierungsbildung, Vermögensbildung, Willensbildung, Wortbildung.
b) etwas in bestimmter Weise Gebildetes:
die eigenartigen Bildungen der Wolken.
Syn.: Gebilde.
Zus.: Wolkenbildung, Wortbildung.
2. <ohne Plural> auf erworbenes Wissen und Erziehung gründendes persönliches Geprägtsein:
er hat eine gründliche, gediegene Bildung erhalten; das gehört zur allgemeinen Bildung; die Literatur ist dem Boden der europäischen Kultur und Bildung erwachsen.
Syn.: Ausbildung, Erziehung, Gelehrsamkeit, Kenntnisse <Plural>, Kultur, Wissen.

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Bịl|dung 〈f. 20
I 〈zählb.〉
1. das Bilden, Sichbilden
2. Gestalt, Gesichtsschnitt (Gesichts\Bildung, Körper\Bildung)
3. Form, Gestalt (Wolken\Bildung)
● \Bildung eines Ausschusses, einer Regierung; \Bildung einer Form, \Bildung eines Wortes; \Bildung einer Geschwulst ● \Bildung von Nebel, Rauch, Schaum, Staub
II 〈unz.〉
1. geistige u. innere Formung, Vervollkommnung, geistiges u. inneres Geformtsein des Menschen, vielseitige Kenntnisse, verbunden mit Geschmack, Urteil, Sinn für Wert
2. Anstand, Takt u. Herzensgüte (Herzens\Bildung)
● sich \Bildung aneignen; jmdm. \Bildung beibringen; (keine) \Bildung haben 〈umg.〉 (nicht) gebildet sein ● eine gediegene, vielseitige \Bildung genossen haben ● ein Mann von \Bildung; das zu wissen gehört zur allgemeinen \Bildung das muss man wissen, wenn man als gebildet gelten will; zur Vervollkommnung seiner \Bildung eine Weltreise machen
[<spätahd. bildunga „Schöpfung, Verfertigung“, dann „äußere Erscheinung, bes. des Gesichts“ (18. Jh.), dann „Geisteskultur“]

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Bịl|dung , die; -, -en [mhd. bildunge, ahd. bildunga = Schöpfung; Bildnis, Gestalt]:
1. <o. Pl.>
a) das Bilden (5); Erziehung:
die B. der Jugend;
mehr für die B. tun;
b) das Gebildetsein; das Ausgebildetsein; erworbenes Allgemeinwissen:
eine wissenschaftliche, künstlerische, humanistische B.;
seine B. vervollständigen, vertiefen;
eine umfassende B. besitzen;
eine vorzügliche B. erhalten;
ein Mann von B. (ein gebildeter Mann);
das gehört zur allgemeinen B. (das sollte jeder Gebildete wissen);
c) (seltener) gutes Benehmen:
sie hat keine B. (weiß nicht, was sich schickt).
2.
a) das Bilden (1 a); das Formen:
die B. von Sätzen, Beispielen;
b) das Bilden (2 a):
die B. eines Kreises, eines Spaliers;
c) das Bilden (2 b); Schaffung:
die B. einer neuen Regierung;
d) das Bilden (2 c):
zur B. der öffentlichen Meinung beitragen.
3. das ↑ Sichbilden (3 b); Entstehung:
die B. von Knospen, Kristallen, eines Sees;
die B. von Ruß unterbinden, verhindern.
4. Form, Gestalt (4):
die seltsamen, eigenartigen, fantastischen -en der Wolken;
er war von der ebenmäßigen B. ihres Gesichts beeindruckt.
5. (Sprachwiss.) Gebildetes (bes. von jmdm. gebildetes Wort):
-en auf -ung und -heit.

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I
Bildung,
 
Grundbegriff der deutschsprachigen Pädagogik seit Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts Wortgeschichtlich weist Bildung zurück auf die spätmittelalterliche Mystik. Meister Eckhart bezeichnete mit der »Entbildung« des Menschen und seiner »Einbildung« oder »Überbildung in Gott« den Weg, »seiner selbst und aller Dinge ledig« und mit Gott eins zu werden. Hier verschmelzen auf eigentümlicher Weise christlicher und v. a. neuplatonischer Gedankengut: Aus dem Seeleninnersten wird der »seinlose« Mensch zur Teilhabe am »Wesen« erhoben, wenn er von seinem auf Selbstbehauptung gerichteten Willen lässt. Von einer ausgeprägten pädagogischen Bedeutung von Bildung wird man noch nicht sprechen können. Dies gilt auch für spätere religiös-mystischen Verwendungen des Wortes, z. B. bei Paracelsus und J. Böhme. Gleichwohl übernimmt der säkularisierte pädagogische Bildungsbegriff aus der mystischen Tradition zwei markante Merkmale: Bildung ist nicht identisch mit Wissensvermittlung und -aneignung; Bildung besagt Gewinn oder Gewähr der dem Menschen angemessenen, ihn auszeichnenden Lebensform. Das erinnert an die Antike, in der der Bildungsgedanke ursprünglich aufgekommen ist. Paideia, der griechische Ausdruck für Bildung, steht seit dem 5. Jahrhundert v. Chr. nicht mehr für Erziehung und Unterweisung der Kinder, sondern für die Hin- oder Umwendung des Menschen zum Denken des Maßgeblichen. In seinem berühmten Höhlengleichnis (im 7. Buch des »Staates«) schildert Platon den schmerzhaften »Aufstieg« zur Schau »der Idee des Guten«; erst nach diesem Aufstieg sei der Mensch imstande, im öffentlichen und privaten Leben einsichtig zu handeln, während er im primären Zustand noch so kenntnisreicher Unbildung sich bloß verhält - ein Gefangener gängiger Vorstellungen, Routinen, Ansichten und Ambitionen. Allerdings ist weder dieser noch anderen philosophischen Begründungen der Bildung ein bemerkenswerter Einfluss auf die pädagogische Praxis der Griechen und Römer beschieden gewesen.
 
In der neuzeitlichen Fassung des Bildungsbegriffs, wie er sich im 18. Jahrhundert durchzusetzen beginnt, wandelt sich die Grundstruktur der Bildung. An die Stelle des »Aufstiegs« zum Unbedingten, der Angleichung an ein höchstes Wesen, des »Überbildetwerdens in Gott« tritt das Verständnis von Bildung als Hervorbringung der Menschlichkeit des Menschen in eigener Anstrengung aus sich heraus. Dem liegt sicherlich u. a. zugrunde, dass das Absolute beziehungsweise Gott theologisch und philosophisch in eine immer weitere, spekulativ unerreichbare Ferne entrückte, wodurch nicht nur die gegebene Welt zum Antrieb wurde, sie »technisch« zu erkennen, in Besitz zu nehmen und zu verbessern (H. Blumenberg), sondern auch der Mensch sich auf sich selbst zurückgeworfen sah, um sich zu behaupten und aktiv als Individuum und Gattungswesen zu vervollkommnen. Bildung nimmt allmählich die Gestalt an, die dem Menschen zugesprochenen geistigen Kräfte, Vermögen oder inneren Anlagen zu entwickeln und in ihrer entelechialen Entfaltung vor Deformationen zu bewahren. Voraussetzung hierfür ist, dass der Mensch wesentlich in Analogie zum Organischen und eingebettet in eine (wieder) herstellbare, vorgegebene Harmonie des Ganzen der Natur interpretiert wird.
 
Das bleibt zunächst sehr im Allgemeinen, und es dürfte nicht zuletzt J.-J. Rousseaus Verdienst gewesen sein, dass Bildung in ausgearbeitete pädagogische Konzeptionen umgesetzt wurde: Rousseau kritisierte die bestehenden gesellschaftlich-kulturellen Zustände einschließlich der ihnen dienstbaren Erziehungseinrichtungen; in seinem romanhaften Werk »Émile oder Über die Erziehung« (1762) entwarf er im Gegenzug das Modell einer der »menschlichen Natur« gemäßen Erziehung, die dem heranwachsenden Menschen zur individuellen Wesensverwirklichung in Unabhängigkeit verhilft. Davon beeinflusst, formulierte einige Jahre später J. H. Pestalozzi: »Allgemeine Emporbildung« der »inneren Kräfte der Menschennatur zu reiner Menschenweisheit ist allgemeiner Zweck der Bildung auch der niedersten Menschen«, der alle Belehrungen für Beruf und Stand untergeordnet zu sein haben.
 
Trotz alledem stellte M. Mendelssohn 1784 fest, daß das Wort Bildung »noch« ein Neuankömmling »in unserer Sprache« sei, lediglich in der Literatur vorkommend und fester Grenzen ermangelnd. Bei I. Kant z. B., dem sich »hinter der Edukation« »das große Geheimnis der Vollkommenheit der menschlichen Natur« verbirgt, wird Bildung zumeist als eine Art Sammelbezeichnung für diverse pädagogische Bemühungen verwendet, sie mögen »didaktisch« die körperliche und geistige »Geschicklichkeit«, »pragmatisch« die gesellschaftliche Nützlichkeit und »Klugheit«, »moralisch« die Sittlichkeit oder »Gründung des Charakters« zum Zwecke haben. Für die erzieherisch letztlich anzustrebende Mündigkeit bevorzugte er den Begriff der »Aufklärung«: Von früh an solle der Mensch »gewöhnt« werden, »sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen«, d. h. zu fragen, ob der »Grund, warum man etwas annimmt«, zum allgemeinen Grundsatz taugt. Es ist bekannt, dass dieses Verständnis vom Sinn der Pädagogik sich nicht durchgesetzt hat, da Aufklärung pädagogisch weitgehend auf die Qualifikation für gesellschaftliche Brauchbarkeit reduziert wurde, also genau der intendierten Überbietung normativer Erziehung und bedarfsgelenkter Unterweisung in den Rücken fiel.
 
Es war W. von Humboldt, der auf der Theorieebene schließlich der Bildung als Zentralformel zum Sieg verhalf: Bildung bedeutet Anregen aller Kräfte, damit diese sich über die Aneignung der Welt in wechselhafter Ver- und Beschränkung harmonisch-proportionierlich entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität führen, die in ihrer Idealität und Einzigartigkeit die Menschheit bereichert. Das hat mit Missachtung der gesellschaftlichen Dimension nichts zu tun. Aber ohne Bildung der Individualität war für Humboldt soziale Verbesserung, die nicht nur den eigenen Vorteil im Auge hat, unmöglich; denn ihr pädagogisches Gegenstück war die an besonderen Funktionen, Berufen, Ständen usw. orientierte und somit einseitige »Abrichtung« nach vorgeordneten, außerpädagogischen Zwecken. Darum sollte »reine« und »allgemeine Menschenbildung« für alle fundamental sein, und zwar als sprachlicher, ästhetischer, mathematischer und historischer Unterricht, der »auf den Menschen überhaupt geht« und dem die dem »Bedürfnis des Lebens« und den einzelnen »Gewerben« zugewandte, spezielle Ausbildung nachzufolgen habe.
 
Diese (neu)humanistische Bildungsauffassung ist ebenso wie ihre idealistischen Varianten bald in Verfall geraten. Die politische Restauration widersetzte sich ihrer Realisation; die metaphysisch-anthropologischen Basisannahmen wurden suspekt. Ablösung erfolgte bildungstheoretisch in pädagogischen Systemen, die u. a. in der auf sittliche Grundsatztreue, politisch-weltanschauliche Gesinnung, kulturelle Werte ausgerichteten Persönlichkeit ihren Konzentrationspunkt hatten; die Schulen dienten durch Ausstattung der nachwachsenden Generation mit nützlichen Kenntnissen und Fertigkeiten in einem entsprechenden Fächerkanon der Reproduktion der gesellschaftlichen Verhältnisse und dem wirtschaftlichen Prosperieren, als volkstümliche oder gelehrte Bildung bemäntelt.
 
Bereits 1872 spürte F. Nietzsche das Fiasko der einerseits auf Verwertbarkeit und Lebensnotbewältigung, andererseits auf die »Entwicklung der freien Persönlichkeit innerhalb fester nationaler und menschlich-sittlicher Überzeugungen« ausgelegten Bildung und proklamierte deren Ende. Seine kritische Grundeinsicht war die, dass die Veränderungen des Lebens und Lernens für »wahre Bildung« als einer eigenen »Lebensform« der »subjektfreien Kontemplation« keinen Platz übrig lassen und dass die personalistische Konzentration der verfehlte Ansatz ist, um sowohl von der staatlich-politischen, wirtschaftlichen und zunehmend auch wissenschaftliche Okkupation des Bildungsgedankens als auch von der Blockierung der Bildung durch die Maßgeblichkeit des »bedürftigen und begehrenden« Subjekts loszukommen.
 
Falls die Kritik F. Nietzsches u. a. an der Mediatisierung und Ideologisierung der Bildung Zutreffendes angesprochen hat und insofern die Versuche, die substanzlos gewordene klassische Bildungstheorie z. B. vom Berufsgedanken, von zeitgemäßen weltanschaulichen Bildungsidealen oder von der Kulturbegegnung als Metaphysiksurrogaten her neu zu füllen und zu erhalten, das eingetretene Dilemma nicht allgemein überzeugend zu beheben vermochten, kann man es als eine späte Konsequenz deuten, dass der Bildungsbegriff »heute daran (ist),. .. aufgegeben zu werden«, zumal nach der Erfahrung, dass es nicht möglich war, die »gebildeten« Menschen vor der Anfälligkeit für Idole, totalitaristische Lehren und Fanatismus zu bewahren. So wurde um 1950 grob die Lage in der pädagogischen Diskussion charakterisiert, einige gegenläufige Bemühungen vernachlässigend. Der Begriff Bildung hielt sich noch in der Umgangssprache, in einigen fachpädagogischen Wortverbindungen (wie Bildungsgut, Elementarbildung) oder als Synonym für bestimmte didaktische Modelle des Lehrens und Lernens und breitete sich zusehends in der Verwaltungssprache, dem Programmvokabular der Politiker und der Terminologie von Sozialwissenschaften aus (z. B. in Zusammensetzungen wie Bildungsgefälle, Bildungsmotivation, Bildungsökonomie). Als grundlegende Kategorie wurde der Ausdruck in weiten Teilen der Pädagogik, da belastet, klischeeverdächtig oder nicht zum neuen gesellschaftswissenschaftlichen Selbstverständnis passend, eher vermieden und in der empirisch-erziehungswissenschaftlichen Forschung als »wenig brauchbar« preisgegeben. Noch 1978 heißt es bei T. Ballauff: »Heute wird der Begriff der Bildung durch den des Lernens ersetzt. Man meint, dadurch einen nüchternen pädagogischen Begriff gegenüber dem traditionsüberladenen Bildungsgedanken gewonnen zu haben.« Allerdings wird auch gesagt, dass die »Simplifikationen« der tonangebenden Lerntheorien und die bedenklichen Voraussetzungen, »unter denen sie erkauft wurden«, selbst denen dämmern, die sich für den Primat des Lernens, der Qualifikation, der Sozialisation in einer realistisch gewendeten Pädagogik stark gemacht haben: Qualifikationslernen z. B. bindet in vorgezeichnete, für wünschenswert gehaltene Verhaltensweisen oder Kenntnisbestände ein, ohne sie auf die Voraussetzungen ihrer Gültigkeit hin überschreiten zu können; Sozialisation gliedert linear in bestehende gesellschaftliche Systeme ein oder bereitet auf »fortschrittlichere« vor, ohne Distanz und rückhaltloses Ermessen des Angesonnenen zu ermöglichen.
 
Das Bewusstwerden der Verengung und Verblendung der pädagogischen Aufgabe bei deren vorrangig lern- und sozialisationstheoretischem Verständnis führte dazu, dass vielfach die Unentbehrlichkeit von so etwas wie Bildung erkannt und anerkannt wurde. Es mehrten sich seit Mitte/Ende der 60er-Jahre die »Versuche, den Kern dessen, was heute Bildung heißen kann, neu, offen und dennoch verbindlich zu bestimmen« (E. Lichtenstein). Man kann noch nicht sagen, dass es bei den entsprechenden Bemühungen zu einem Konsens gekommen ist, der darüber hinausreicht, dass von einem Bildungskanon, d. h. einem Bildung verbürgenden Ensemble allgemeiner verbindlicher Fächer oder Inhalte, nicht länger die Rede sein kann, wodurch auch die prinzipielle Unterscheidung von Bildung und (beruflicher) Ausbildung hinfällig geworden ist.
 
Bildung wird heute - schlagwortartig gefasst - u. a. bestimmt:
 
als v. a. die politischen Herrschaftsverhältnisse und -interessen einbeziehende und enthüllende emanzipatorische Befreiung des Menschen zu sich selber (H. Blankertz u. a.),
 
als durch Belehrung und authentischen Erfahrungen ermöglichte Selbstfindung und -bestimmung gegenüber dem Systemcharakter der Gesellschaft (H. von Hentig),
 
als Schaffen grundlegender Orientierungen über die wirklichen Verhältnisse in einem realitätsgerecht formierten Bewusstsein beziehungsweise für eine nicht um ihre originalen Möglichkeiten betrogene Person (H. J. Gamm u. a.),
 
als dialogische Führung der Aktivität des Ich zu begründbarem Wissen und verantwortbarer Haltung in der Einheit der Person (M. Heitger u. a.),
 
als »Öffnung« eines graduell gestuften politischen »Verantwortungsbewusstseins für die Zukunft«, basierend auf geordneten Vorstellungen sowie eingebunden in die Normen rechtsstaatlicher Demokratie statt »letzter« Werte, wodurch die Wiederkehr des »Desinteresses für die öffentliche Sphäre« und des Rückzugs in die Innerlichkeit vermieden werde (T. Wilhelm), wie sie für das deutsche Bildungsbürgertum bezeichnend war.
 
Nachdem in den 60er- und 70er-Jahren der Bildungsbegriff durch andere sozialwissenschaftliche Begriffe beinahe vollständig verdrängt worden war, lässt sich seit Mitte der 80er-Jahre eine verstärkte Hinwendung zum Bildungsbegriff und zur Bildungstheorie erkennen. Diese Renaissance des Bildungsbegriffs wurde vordergründig durch bildungsökonomische Überlegungen ausgelöst, spiegelt indessen deutlich die Enttäuschung über eine technokratisch verstandene Bildungspolitik einerseits wie anderseits die Hoffnung auf die Gewinnung individueller Urteils- und Handlungsfähigkeit in einer zunehmend pluralistischen Lebenswelt wider. Dieses neue Interesse am Bildungsbegriff findet seinen Niederschlag gegenwärtig sowohl in breiten fachwissenschaftlichen Auseinandersetzungen (O. Hansmann und W. Marozki) als auch in singulären Lösungsversuchen (H. Henz) zur Bildungstheorie.
 
Bei der Mehrzahl der gegenwärtigen Umschreibungen von Bildung ist ein Anknüpfen an Elemente und Intentionen der europäischen Aufklärung nicht zu übersehen. Deren besonders in Deutschland nicht recht zum Zuge gekommenes Programm der Befreiung des Menschen aus undurchschauten Abhängigkeiten, »selbstverschuldeter Unmündigkeit« (Kant), ihn gängelnder und beschwichtigender normativ-weltanschaulicher Doktrinen usw. wird in unterschiedlicher Weise aufgenommen. Merkwürdig ist allerdings die in den meisten Fällen beibehaltene neuzeitliche »Grundstruktur der Bildung«, wonach alles pädagogische Tun und Lassen im »Dienste der werdenden Persönlichkeit« steht: Selbstsuche, Selbstfindung, Selbstbestimmung, Selbstverwirklichung, auch Identitätsbildung sind jüngere Namen für den Prozess, in dem das Subjekt durch Aneignung und Nutzung alles Vorfindlichen sich selbst als Zentrum und Zweck konstituiert. Dieser Dominanz und nicht selten Arroganz der Selbstbezüglichkeit, die auch dann nicht abgelegt ist, wenn an die Stelle des Einzelnen die Gattung oder die Gesellschaft gesetzt wird, tritt antithetisch ein Bildungskonzept entgegen, das allen »monozentrischen« Fundierungen und Orientierungen, sie mögen ein höchstes Wesen, den in den Mittelpunkt gerückten Menschen, die Idee des Politischen oder was auch immer betreffen, absagt. Bildung wird hier verstanden als »Revolution der Denkungsart« (T. Ballauff), womit gemeint ist, jedem aufgrund eines ihm eröffneten »weiten Interpretationshorizontes« oder »Gedankenkreises« zur »Selbstständigkeit im Denken« - nicht bloß zu einem subjektiv-selbständigen »Denken« - zu verhelfen, in der »selbstlos« den Dingen, Verhältnissen, Mitmenschen entsprochen wird, ohne über sie einer Lehre, Interessen oder Voreingenommenheiten gemäß zu verfügen. In einer gewissen Nähe dazu bewegt sich die These, Bildung heute radikal aufklärerisch zu fassen, nämlich als »Entbindung« des Menschen von ihm vermittelten und zu Eigen gemachten, für definitiv wahr gehaltenen Kenntnissen, Vorstellungen und Einstellungen in der Überantwortung an ein skeptisch-kritisches Denken, das in Erziehung und Unterricht früh zu veranlassen ist und wofür in der Antike die Gestalt des Sokrates stand.
 
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Allgemeinbildung · Aufklärung · berufliche Bildung · Lernen · Sozialisation
 
Literatur:
 
G. Dohmen: B. u. Schule, 2 Bde. (1964-65);
 C. Menze: Wilhelm von Humboldts Lehre u. Bild vom Menschen (1965);
 E. Lichtenstein: Zur Entwicklung des B.-Begriffs von Meister Eckhart bis Hegel (1966);
 T. Ballauff: Pädagogik. Eine Gesch. der B. u. Erziehung, 3 Bde. (1969-73);
 C. Menze: B., in: Hb. pädagog. Grundbegriffe, hg. v. J. Speck u. G. Wehle, Bd. 1 (1970);
 H.-J. Heydorn: Zu einer Neufassung des B.-Begriffs (1972);
 
B.-Theorien. Probleme u. Positionen, hg. v. J.-E. Pleines (1978);
 T. Ballauff: Pädagogik als B.-Lehre (1986);
 
Allgemeine B., hg. v. H.-E. Tenorth (1986);
 M. Betz: Arbeit u. B. (1991);
 
B.-Marketing, hg. v. H. Geissler (1993).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
 
allgemeine Bildung: Pädagogen erneuern die Schule
 
Bildung für die Welt von morgen
 
Universität im Mittelalter: Von der Klosterschule zur Alma Mater
 
II
Bildung,
 
Unter Bildung versteht man sowohl den Prozess, in dem der Mensch seine seelisch-geistige Gestalt gewinnt, als auch diese Gestalt selbst (»innere Bildung«). Darüber hinaus wird auch das Wissen, insbesondere das Allgemeinwissen auf traditionell geisteswissenschaftlichem Gebiet, und mittlerweile auch die berufliche Bildung (mit der Auffassung, dass diese mit ihren Kenntnissen v. a. naturwissenschaftlich-technischer Art einen gleichberechtigten Rang neben der allgemeinen Bildung einnimmt) als Bildung bezeichnet. Gleichwohl wird nach wie vor zwischen Bildung schlechthin, bei der die Freiheit zu Urteil und Kritik im Vordergrund steht, und Ausbildung, der gewissermaßen als »Makel« die Anpassung an vorgegebene Verhältnisse anhaftet, unterschieden.
 
Der Begriff Bildung wurde Mitte des 18. Jahrhunderts in die pädagogische Fachsprache übernommen und von der Pädagogik der Aufklärung zu einem Schlüsselwort für den Bereich der Erziehung und des Unterrichts gemacht, wobei aus der Antike und aus der jüdisch-christlichen Tradition stammende Gedanken von großem Einfluss waren. Im Anschluss an die Philosophie von G. W. Leibniz wurde Bildung als Entfaltung der der Seele von Natur aus innewohnenden Kräfte aufgefasst, eine Vorstellung, die mit anderen damaligen Strömungen, etwa der Kulturkritik J.-J. Rousseaus, eine enge Verbindung einging. Bildung wurde also zu dem Versuch, jene Zwänge, die das Menschsein beeinträchtigen, zu erfassen, über diese aufzuklären und so ihre Abschaffung zu gewährleisten.
 
Der deutsche Humanismus fasste mit W. von Humboldt die Ausformung der individuellen Möglichkeiten eines Menschen als »höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen« auf. Bildung wird dabei als Freisetzung des Individuums zu sich selbst, also als Selbstbestimmung, verstanden und letztlich nur als Selbstbildung für möglich gehalten. Die Behinderung der Bildung des Einzelnen wird deshalb in humanistischen Ansätzen auch zur Verletzung eines die Menschwerdung des Menschen verbürgenden Grundrechts. Bildung hat sich dabei in einer Welt zu vollziehen, die den Menschen nicht von vornherein auf bestimmte Zwecke festlegt: Sie soll rein und allgemein sein.
 
Im Laufe des 19. Jahrhunderts trat ein Verfall dieses humanistischen Bildungsideals ein, der in der Verdrängung humboldtscher Vorstellungen durch einen stofflich-lexikalischen Bildungsbegriff im Sinne einer Vielwisserei bei den preußischen Gymnasien sichtbar wurde. Erschwerend kam hinzu, dass durch das bestehende Bildungswesen das Bildungsprivileg der höheren Stände faktisch abgesichert wurde, womit die Bildungsideen des Neuhumanismus letztlich zur Tarnideologie verfälscht wurden. Zusammen mit der Abtrennung der bloßen Ausbildung von der eigentlichen Bildung, in der die stürmisch sich entwickelnden Naturwissenschaften und die Technik keinen Platz fanden, lösten diese Sachverhalte eine bis in die heutige Zeit andauernde vielfältige Kultur- und Bildungskritik aus.
 
Von K. Marx wurde dem humanistischen Bildungskonzept, das er als praxisfern und unpolitisch bezeichnete, die Idee einer polytechnischen Bildung entgegengesetzt, die er sich als Verbindung von produktiver Arbeit mit Unterricht und Gymnastik dachte. Auf dieser Grundlage entwickelte sich eine Theorie der sozialistischen Allgemeinbildung, die den Menschen zu einer allseitig gebildeten Persönlichkeit mit produktiv-praktischen, politisch-revolutionären und auch kulturschöpferischen Fähigkeiten werden lässt. Nach 1945 hat im deutschsprachigen Raum dieser Ansatz v. a. in der früheren DDR für die Gestaltung des Bildungswesens eine fundamentale Rolle gespielt.
 
In der Bundesrepublik Deutschland setzte sich die Diskussion um einen angemessenen Bildungsbegriff nach dem Zweiten Weltkrieg gleichfalls von den humanistischen Konzeptionen ab, wobei u. a. versucht wurde, bislang vernachlässigte Aspekte wie Arbeit, Beruf, Technik und Politik zu integrieren. In der Mitte der Sechzigerjahre wurde der Bildungsbegriff von der empirisch-analytischen Erziehungswissenschaft entweder aufgegeben oder auf die Behandlung möglichst empirisch untersuchbarer Teilaspekte beschränkt.
 
Ungeachtet dessen wird in manchen Konzeptionen versucht, die Umrisse eines neuen Bildungsverständnisses zu skizzieren, vielfach in Anknüpfung an die emanzipatorische Kraft des Bildungsbegriffs, was die Gegner einer solchen Auffassung jedoch oft für unzureichend halten, weil sich ein erneuertes Bildungsverständnis auf das reale Leben der Gegenwart beziehen und sogar noch darüber hinausweisen müsse. In diesem Zusammenhang werden fünf Merkmale genannt, die als Bedingungen dafür anzusehen seien, die Bildung als Selbstbildung zu ermöglichen: Gestaltbarkeit (historisch-politische Zusammenhänge aufzeigen); Durchschaubarkeit (Wissenschaftsorientierung und Erkenntniskritik fördern); Sinnlichkeit (zu Eigentätigkeit anregen und Erfahren mit Erleben verbinden); Ganzheitlichkeit (den lebenspraktischen Zusammenhang verständlich machen); Solidarität (Beschränkungen abbauen und die Schüler stärken).

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Bịl|dung, die; -, -en [mhd. bildunge, ahd. bildunga = Schöpfung; Bildnis, Gestalt]: 1. <o. Pl.> a) das Bilden (5), Erziehung: die Schule vermittelt vielseitige B.; eine vorzügliche B. erhalten; ich habe dergleichen noch nie gehört, obwohl ich eine reiche B. genossen und mich in der Welt tüchtig umgesehen habe (Kusenberg, Mal 102); „Mit der Rüstung sind sie fix, für die B. tun sie nix“, hatte auf dem Plakat ... gestanden (Kühn, Zeit 383); b) das [Aus]gebildetsein, erworbenes Allgemeinwissen: eine wissenschaftliche, künstlerische, humanistische B.; seine B. vervollständigen, vertiefen; eine umfassende B. besitzen; Ich verfüge über eine sehr lückenhafte B. (Tucholsky, Zwischen 121); ein Mann von B. (ein gebildeter Mann); das gehört zur allgemeinen B. (das sollte jeder Gebildete wissen); c) (seltener) gutes Benehmen: sie hat keine B. (weiß nicht, was sich schickt). 2. a) das Bilden (1 a), das Formen: die B. von Sätzen, Beispielen; b) das Bilden (2 a): die B. eines Kreises, eines Spaliers; c) das Bilden (2 b), Schaffung: die B. einer neuen Regierung; Sie verlangen also die B. eines Sonderkommandos (Kirst, 08/15, 724); d) das Bilden (2 c): zur B. der öffentlichen Meinung beitragen. 3. das Sichbilden (3 b), Entstehung: die B. von Knospen, Kristallen, eines Sees; die B. von Ruß unterbinden, verhindern. 4. Form, ↑Gestalt (4): die seltsamen, eigenartigen, fantastischen -en der Wolken; er war von der ebenmäßigen B. ihres Gesichts beeindruckt. 5. (Sprachw.) Gebildetes (bes. von jmdm. gebildetes Wort): spontane -en; -en auf -ung und -ion. ∙ 6. Gestalt (1): die hohe, zarte B. kniete verschämt errötend vor mir nieder (Chamisso, Schlemihl 35); So bewegte vor Hermann die liebliche B. des Mädchens sanft sich vorbei (Goethe, Hermann u. Dorothea 7, 6).

Universal-Lexikon. 2012.