Akademik

tabu
unantastbar; verpönt; unaussprechlich; heilig; verboten

* * *

ta|bu [ta'bu:]:
in der Wendung tabu sein: so beschaffen sein, dass bestimmte mit der Sache zusammenhängende Dinge nicht getan werden dürfen, dass nicht darüber geredet werden darf, sie einem Verbot unterliegen:
dieses Thema war bei uns tabu.

* * *

ta|bu 〈Adj.; nur präd.〉
1. unantastbar, heilig
2. verboten
● das ist \tabu [<polynes. (Tonga-Inseln) tapu, urspr. für gottgeweihte Dinge, die nicht berührt u. besprochen werden dürfen] Siehe auch Info-Eintrag: tabu - info!

* * *

ta|bu <indekl. Adj.> [engl. taboo, tabu < Tonga (polynes. Sprache) tabu, tapu, wohl = geheiligt]:
einem Tabu (2) unterliegend:
dieses Thema ist t.;
Ü in diesem Restaurant sind Jeans t. (ugs.; nicht erlaubt, verpönt).

* * *

I
Tabu
 
[englisch taboo, tabu, von polynesisch tapu, wohl »geheiligt«] das, -s/-s, ursprünglich ein Begriff der polynesischen Religionen. Mit seinem Komplement Mana bezeichnet er eine ihrer religiösen Grundstrukturen. Dabei geht es um die Aufrechterhaltung des gesicherten Lebens (Heil im Diesseits), was vom Mana der Einzelerscheinungen abhängt. Mana zu sichern war Aufgabe der Religion, Tabu ein Mittel dazu. So gibt es ewiges und zeitlich beschränktes Tabu (das »verhängt« wird). Tabu ist gleichsam ein unsichtbarer, aber umso wirksamerer Schutzschild um alles, was ihm unterliegt oder unterworfen wird. Es zu verletzen gilt als Frevel. Funktion des Tabus ist der Schutz der Tradition und der Gemeinschaft. Dies führt zu Meidungen aller Art, aber auch zu Vorstellungen von Unreinheit und Unberührbarkeit. Der Gegenbegriff ist Noa. Überschießendes oder für die Gemeinschaft oder die Familie schädliches Tabu kann der Priester mit Noa aufheben beziehungsweise entfernen; aber auch der Religiöse kann Reinigung(sriten) mit Noa durchführen.
 
Im weiteren Sinn bezeichnet Tabu auch in anderen Religionen ein religiös, magisch oder rituell begründetes und allgemein respektiertes Meidungsgebot, d. h. das Verbot, bestimmte Gegenstände (z. B. staatliche oder religiöse Symbole, Tiere oder Pflanzen) oder Personen (z. B. verwundete Kriegsgegner, Mörder, Herrscher, Priester, Mütter, Gesandte) anzurühren oder zu verletzen, gewisse Handlungen (z. B. sexueller Art) vorzunehmen, bestimmte Örtlichkeiten (z. B. heilige Stätten) zu betreten, über bestimmte Dinge (z. B. Tod, Teufel) zu reden oder gewisse Namen (z. B. von Göttern, Königen) auszusprechen; alles, um durch übernatürliche Macht bewirktes Unheil zu vermeiden. Zuwiderhandlungen gegen solche Tabuvorschriften sind mit Strafen (z. B. Verbannung, Krankheit, Tod) belegt. Leichtere Verstöße können durch komplizierte Reinigungszeremonien gesühnt werden.
 
Der Begriff Tabu wird heute allgemein für Phänomene mit ähnlichen Funktionen in allen, auch modernen Gesellschaften gebraucht. Tabus können sehr unterschiedliche Inhalte haben, dienen aber wohl stets dazu, das soziale Handeln den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen entsprechend zu regulieren und dafür Orientierungsmuster und Verhaltensschemata zu bieten, also die soziale Ordnung zu festigen. Tabus beziehen sich offenbar immer auf zentrale Werte einer Gesellschaft und werden mit der Zeit zu Selbstverständlichkeiten. Während von der Sozialpsychologie Tabus als Sonderfälle von Normen aufgefasst werden, nach denen sich in Gruppen oder Gemeinschaften das Verhalten der Individuen richtet, erklärt S. Freud das Auftreten von Tabus mit der Verdrängung attraktiver, doch verbotener Handlungstendenzen (besonders Inzesttabu; Inzest, Ödipuskomplex) und zeigt Parallelen zu neurotischen Nichtberührungszwängen auf. Bei Veränderungen in den gesellschaftlichen Verhältnissen sind oft Enttabuisierungen zu beobachten.
 
Literatur:
 
F. R. Lehmann: Die polynes. T.-Sitten (1930);
 F. Steiner: Taboo (New York 1956);
 H.-J. Greschat: Mana u. Tapu (1980);
 R. Wagner: Taboo, in: The encyclopedia of religion, hg. v. M. Eliade, Bd. 14 (New York 1987);
 M. Douglas: Reinheit u. Gefährdung. Eine Studie zu Vorstellungen von Verunreinigung u. T. (a. d. Amerikan., Neuausg. 1988);
 S. Freud: Totem u. T. (Neuausg. 1991).
II
Tabu,
 
[polynesisch], tapu, »geheiligt«,
 
vor allem bei Naturvölkern Bezeichnung für von allen zu respektierende Verbote, z. B. Namen von Göttern oder Menschen zu nennen, bestimmte Personen, Tiere, Pflanzen oder Gegenstände zu berühren, zu töten oder zu essen, bestimmte Handlungen (z. B. sexueller Art) vorzunehmen usw. Die schwere Verletzung eines Tabus soll Krankheit und sogar den Tod zur Folge haben, in leichteren Fällen muss mit komplizierten Reinigungszeremonien gesühnt werden. Tabus sind von den jeweiligen magischen, mythischen und religiösen Vorstellungen einer Gesellschaft abhängig und sollen Unheil abwenden. Sie beziehen sich auf für die jeweilige Gesellschaft zentrale Werte und sollen das gesellschaftliche Zusammenleben stabilisieren. Sie werden als selbstverständlich (»man« tut das nicht), als nicht hinterfragbar angesehen, sind aber meist nicht rational begründbar.
 
Ein universelles Tabu in allen Gesellschaften ist das Verbot des Inzests, das nur in wenigen Ausnahmen in manchen Herrscherhäusern durch Geschwisterheirat öffentlich durchbrochen wurde und nur selten zu Erbkrankheiten geführt hat. Ebenfalls universell ist das Tabu, in der Öffentlichkeit Geschlechtsverkehr zu vollziehen, wenn dies nicht rituelle Bedeutung hat. In einigen orientalischen und asiatischen - meist streng islamischen - Ländern ist sogar der Mundkuss in der Öffentlichkeit tabu und strafbar.
 
In unseren westlichen industrialisierten Gesellschaften gibt es Tabus fast nur im sexuellen Bereich und dem Bereich der Ausscheidung: neben dem Inzest vor allem Nacktheit und sexuelle Handlungen sowie Ausscheidung in der Öffentlichkeit, Sexualität bei sowie mit Kindern und das Sprechen über Sexualität in der Öffentlichkeit, mindestens das Benutzen bestimmter Wörter. Übertretung dieser Tabus gilt als Bedrohung der öffentlichen Ordnung, als Verletzung des Schamgefühls und Sittenverfall, mindestens aber als »öffentliches Ärgernis« und ist daher zum Teil strafbar. Die heutige Zeit zeigt aber starke Aufweichungen: z. B. Oben-ohne- und Nacktbaden, für Männer und Frauen gemeinsame Sauna, Sprechen über Sexualität in der Öffentlichkeit (etwa seit Mitte der Achtzigerjahre, auch wegen der Bedrohung durch Aids), wobei nicht wenige Menschen das Verschwinden alter Tabus beklagen.
 
Siehe auch: Scham.

* * *

Ta|bu, das; -s, -s: 1. (Völkerk.) Verbot, bestimmte Handlungen auszuführen, bes. geheiligte Personen od. Gegenstände zu berühren, anzublicken, zu nennen, bestimmte Speisen zu genießen: etw. ist mit [einem] T. belegt, durch [ein] T. geschützt. 2. (bildungsspr.) ungeschriebenes Gesetz, das aufgrund bestimmter Anschauungen innerhalb einer Gesellschaft verbietet, bestimmte Dinge zu tun: ein gesellschaftliches T.; ein T. errichten, aufrichten, verletzen, brechen; Ab 1954 lockerte der westdeutsche Film die -s, mit denen er zuvor jedes zeitgeschichtliche Thema belegt hatte (Gregor, Film 172); an ein/einem T. rühren; Manipulationen an der Keimbahn des Menschen ... galten unter Humangenetikern bislang als T. (als etwas, woran man nicht rührt; natur 2, 1991, 47); gegen ein T. verstoßen; die ... Abordnung ... brach auch gleich mit einem T. ...: Israelis, Palästinenser und Jordanier schüttelten sich die Hände (Tages Anzeiger 5. 11. 91, 1).

Universal-Lexikon. 2012.