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Be|vọ̈l|ke|rungs|wis|sen|schaft, die:
Wissenschaft, die sich mit Strukturen u. Bewegungen von ↑ Bevölkerungen (1) beschäftigt.
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Bevölkerungswissenschaft,
auch Demographie, die Lehre von der Struktur und Entwicklung einer Bevölkerung sowie von den dafür verantwortlichen Ursachen und den daraus möglicherweise erwachsenden künftigen Wirkungen. Die Bevölkerungswissenschaft wird häufig unterteilt in einen mehr quantitativ und in einen primär qualitativ orientierten Zweig. Der quantitative Zweig, auch als Bevölkerungswissenschaft im engeren Sinn, formale Demographie (Formaldemographie) oder Demographie im engeren Sinn bezeichnet, konzentriert sich zunächst darauf, die Bevölkerungsprozesse, also Geburten-, Sterbe-, Heirats- und Scheidungshäufigkeit sowie Wanderungen, quantitativ zu erfassen, wozu die Bevölkerungsstatistik und die Bevölkerungsmathematik sowohl entsprechende institutionelle Bedingungen als auch die erforderliche Methodenlehre bereitstellen. Die auf diese Weise vorgehende Bevölkerungswissenschaft liefert damit für andere Bereiche wichtige (Planungs-)Unterlagen und stellt dem qualitativen Zweig der Bevölkerungswissenschaft empirisches Material zur Verfügung. Der qualitative Zweig der Bevölkerungswissenschaft wird auch als Bevölkerungswissenschaft im weiteren Sinn oder als »Population studies« bezeichnet. Unter Hervorhebung ihrer Praxisorientierung wird auch von angewandter Bevölkerungswissenschaft oder Bevölkerungsforschung gesprochen. Hierbei spielt die Untersuchung von Gestaltungsmöglichkeiten, mit denen sich insbesondere die Bevölkerungspolitik beschäftigt, eine große Rolle. Mit dem Begriff Bevölkerungstheorie wird der Zweig der Bevölkerungswissenschaft bezeichnet, dessen Ziel es ist, allgemein gültige Gesetzmäßigkeiten abzuleiten. Dabei sind die Bevölkerungsmathematik, die Bevölkerungsökonomie und die Bevölkerungssoziologie wichtige Teilgebiete.
Bevölkerungsstatistiken, z. B. Volkszählungen, gab es schon bei den Römern; im Mittelalter wurden Geburten und Sterbefälle in Kirchenbüchern registriert. Seit der Aufklärung wurden diese Quellen der Bevölkerungswissenschaft auf Gesetzmäßigkeiten hin analysiert. In Deutschland wurde die Bevölkerungswissenschaft zuerst durch G. W. Leibniz gefördert, der die Arbeiten der englischen »politischen Arithmetiker« W. Petty und J. Graunt aufgriff. Diese hatten Sterberegister ausgewertet und dabei die Methode der Sterbetafel entwickelt, die noch heute zu den wichtigen Analyseinstrumenten der Bevölkerungswissenschaft gehört. Zur gleichen Methode war auch J. P. Süssmilch gelangt, der als Vater der deutschen Bevölkerungswissenschaft gilt. Sein Hauptwerk »Die göttliche Ordnung in den Veränderungen des menschlichen Geschlechts« (1741) enthält neben Berechnungen der Sterblichkeit und Geburtenhäufigkeit auch bevölkerungspolitische Vorschläge wie Abschaffung von Heiratsverboten und Förderung der Einwanderung. Der Epoche des Merkantilismus, die Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum generell gleichsetzte, folgte die der Physiokraten mit F. Quesnay, der zur Förderung der ländlichen Bevölkerung riet. Dagegen formulierte T. R. Malthus in seinem »Essay on the principle of population« (1798) das »Bevölkerungsgesetz«. Es besagt, dass das Wachstum der Bevölkerung größer sei als das Wachstum der Nahrungsmittelproduktion. Das Bevölkerungswachstum werde durch Kriege und Krankheiten (»positive checks«) zwar gehemmt, vernünftiger sei es aber, die Konsequenzen des Bevölkerungsgesetzes durch freiwillige Geburtenkontrolle zu verhindern. Obwohl das »Bevölkerungsgesetz« bereits im letzten Jahrhundert grundlegend kritisiert wurde, beherrscht es die Debatten über Bevölkerungspolitik und Familienplanung in Entwicklungsländern bis in die Gegenwart. Fragen des Bevölkerungsoptimums und der Tragfähigkeit blieben strittig. Das Populationsgesetz der kapitalistischen Produktionsweise bewirkt nach K. Marx das Entstehen der industriellen Reservearmee. Auf die historische Bedingtheit von Bevölkerungsgesetzen, die Marx zum Ausdruck brachte, wies 1953 auch G. Mackenroth hin. Er vertrat die These einer jeweils historisch und gesellschaftlich mit der »Wirtschaftsweise« abgestimmten Bevölkerungsweise. Damit konnte er, wie bereits vor ihm in den 1920er-Jahren die Wohlstandstheoretiker (W. Sombart, L. Brentano), das Phänomen des säkularen Geburtenrückgangs theoretisch erfassen, was mit den älteren »Gesetzen« nicht möglich war. In den 1920er-Jahren entwickelte sich, nicht nur in Deutschland, neben der soziologisch orientierten Bevölkerungswissenschaft auch die biologistische Richtung. Die Gleichsetzung von Rassenhygiene, Eugenik und Bevölkerungspolitik mit Bevölkerungswissenschaft im Dritten Reich hat der deutschen Bevölkerungswissenschaft sehr geschadet. Die Bevölkerungswissenschaft nach 1945 wurde stark von der Demographie und den »Population studies« des angelsächsischen Sprachraums geprägt; neben die Theoriediskussion (demographischer Übergang, generatives Verhalten) traten zahlreiche empirische Studien, insbesondere über die Zusammenhänge zwischen Fertilität, Migration, Urbanisierung und wirtschaftliche Entwicklung, sowie eine Weiterentwicklung des Instrumentariums (Kohortenanalyse). Nettoreproduktionsrate, Bevölkerungsentwicklung.
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Be|vọ̈l|ke|rungs|wis|sen|schaft, die <o. Pl.>: Wissenschaft, die sich mit Strukturen u. Bewegungen von Bevölkerungen (1) beschäftigt.
Universal-Lexikon. 2012.