Annales
[-'nal], Kurzbezeichnung für eine 1929 von M. Bloch und L. Febvre gegründete geschichtswissenschaftliche Zeitschrift in Frankreich, die namengebend für eine historiographische Schule (Annales-Schule, École des Annales) wurde. In den »Annales d'histoire économique et sociale« (so der vollständige Titel) verband sich Blochs strukturgeschichtlicher Forschungsansatz mit Febvres »histoire totale«, die den Zusammenhang von Geographie und Geschichte thematisierte (Deutung des geschichtlichen Raumes unter Erfassung möglichst vieler Faktoren, z. B. Wirtschaft, Politik, Religion und Glaube, Lebensstil, Mentalität). 1946 wurde die Zeitschrift umbenannt in »Annales Économies, sociétés, civilisations«; 1947 entstand an der zentralen französischen Forschungseinrichtung »École Pratique des Hautes Études« eine »sechste Sektion« (Sixième Section), die die sozialwissenschaftlich-interdisziplinäre Richtung der Annales institutionell verankerte. Die »sechste Sektion« stand zunächst unter dem Vorsitz von L. Febvre, danach waren 1956-72 F. Braudel und ab 1972 J. Le Goff ihre Präsidenten. 1975 wurde sie als »École des Hautes Études en Sciences Sociales« eine eigenständige Forschungseinrichtung.
Nachdem mit Historikern wie P. Vilar, E. Labrousse und P. Chaunu zunächst die quantifizierende Richtung in der Annales-Schule dominierte (Untersuchung und Interpretation langer Reihen v. a. von Wirtschaftsdaten; Strukturen und »Konjunkturen« als wesentliche Ordnungskategorien der Geschichtsschreibung), aber auch die Klima- und Technikgeschichte Beachtung fand, spielte zunehmend seit dem Ende der 1960er-Jahre die Mentalitätsgeschichte eine prägende Rolle (Vertreter u. a. R. Mandrou, E. Le Roy Ladurie, M. Foucault).
Trotz verschiedentlich vorgetragener Kritik an der Annales-Schule (z. B. Vernachlässigung der Staats- und Politikgeschichte, Soziologisierung von genuin wirtschaftlich und politisch zu erklärenden Faktoren, überzogene naturwissenschaftliche Orientierung, mangelnde Berücksichtigung der Zeitgeschichte, Tendenz zu einem »statischen Bild« der Geschichte) nahm sie einen starken Einfluss auf die internationale Entwicklung der Geschichtswissenschaft. (Sozialgeschichte)
P. Burke: Offene Gesch. Die Schule der »A.« (a. d. Engl., 1991);
Alles Gewordene hat Gesch. Die Schule der »A.« in ihren Texten 1929-1992, hg. v. M. Middell u. S. Sammler (1993);
L. Raphhael: Die Erben von Bloch u. Febvre. A. - Geschichtsschreibung u. »nouvelle histoire« in Frankreich 1944-1980 (1994);
A. von Müller: A.-Schule, in: Geschichte. Lex. der wiss. Grundbegriffe (1994).
Universal-Lexikon. 2012.