Wirtschafts|stufen,
nach bestimmten Kriterien voneinander abgrenzbare Entwicklungsstadien in der Wirtschaftsgeschichte. Umstritten ist, welche Kriterien zu wählen sind und in welche Stufen die Wirtschaftsgeschichte einzuteilen ist. Entwickelt wurde die Theorie der Wirtschaftsstufen v. a. von der historischen Schule; enge Verbindungen bestehen zwischen diesen Stufentheorien und den Ansätzen der Konjunktur- (z. B. Kondratieff-Wellen) und Wachstumstheorie. Mit stufentheoretischem Denken verbunden sind auch die Arbeiten W. Sombarts über die Entwicklung des Kapitalismus und die Geschichtsauffassung des Marxismus.
Den Stufentheorien liegt die Auffassung zugrunde, dass die Wirtschaftsstufen im Sinne einer wirtschaftlichen Entwicklung jeweils aufeinander folgen; offen bleibt jedoch, wodurch ein Übergang von Stufe zu Stufe verursacht wird. F. List unterschied nach der vorherrschenden Produktionsrichtung fünf Wirtschaftsstufen (Jagd und Fischerei, Viehzucht, Ackerbau, Ackerbau mit Gewerbe, Ackerbau mit Industrie und Handel), B. Hildebrand teilte ein in Natural-, Geld- und Kreditwirtschaft. G. Schmoller grenzte nach politischen Gesichtspunkten Dorf-, Stadt-, Territorial- und Staatswirtschaft voneinander ab. Die verbreitetste Einteilung war die von K. Bücher; in ihr wird die wirtschaftliche Entwicklung je nach Länge des Weges, den ein Wirtschaftsgut vom Produzenten zum Konsumenten zurücklegen muss, in vier Wirtschaftsstufen (geschlossene Haus-, Stadt-, Volks- und Weltwirtschaft) gegliedert. Die Bedeutung dieser Konzeptionen liegt weniger in der Beschreibung historischer Gegebenheiten als vielmehr in der Schaffung von Idealtypen. Diese werden für den Vergleich der herrschenden Wirtschaftsformen bis zu einem gewissen Grad als brauchbar angesehen.
In den 1960er-Jahren wurde die im 19. Jahrhundert oft diskutierte Frage nach einem Entwicklungsgesetz von Volkswirtschaften im Zusammenhang mit der Problematik der Entwicklungspolitik erneut aufgegriffen, u. a. durch W. W. Rostow, der fünf Wirtschaftsstufen (Wachstumsstadien) unterscheidet: 1) Die traditionelle Gesellschaft ist eine stationäre Wirtschaftsform, in der die Landwirtschaft mit traditionellen Anbauformen vorherrscht. Die Produktivität der Arbeit und der durchschnittliche Wohlstand der Bevölkerung sind sehr niedrig. Eine kleine privilegierte Schicht verfügt über Reichtum und wirtschaftliche Macht, während die Masse des Volkes in ärmlichen Verhältnissen lebt. 2) Die Übergangsgesellschaft (englisch pre-take-off society) leitet zu einer dynamischen Wirtschaftsform über. Drei Merkmale sind charakteristisch: Umgestaltung der landwirtschaftlichen Erzeugung mit starker Steigerung der Produktivität. Dadurch werden Arbeitskräfte für andere Produktionszwecke, v. a. für die Industrialisierung, frei. Hinzu treten der Auf- und Ausbau der Infrastruktur sowie die Ausweitung der außenwirtschaftlichen Beziehungen und damit die Ausnutzung der Vorteile internationaler Arbeitsteilung. 3) In der Startgesellschaft (take-off society) tritt die Volkswirtschaft in eine Phase dynamischen Wachstums. Die Expansion geht meist von wenigen Wirtschaftssektoren aus, für die besonders günstige natürliche, standortbezogene und technische Entwicklungsmöglichkeiten bestehen. Die Wachstumsimpulse breiten sich rasch auf die gesamte Volkswirtschaft aus und lösen einen sich über Jahrzehnte erstreckenden Aufstieg aus. 4) Das wirtschaftliche Reifestadium ist erreicht, wenn eine hoch entwickelte, kapitalintensiv produzierende Industrie für einen Teil der Bevölkerung hohen Wohlstand ermöglicht, verbunden mit hohem Stand der Bildung, des Wissens und des technischen Könnens. Die Gesellschaft verharrt in dieser Phase, wenn die Produktionskapazitäten in großem Umfang für machtpolitische Zwecke (Rüstungsproduktion, Kriegführung) auf Kosten des Lebensstandards eingesetzt werden, oder tritt 5) in das Stadium der Massenkonsumgesellschaft, in der die Produktion auf die Befriedigung der Konsumbedürfnisse ausgerichtet ist und ein hoher Wohlstand für den größten Teil der Bevölkerung erreicht wird. Die Gesellschaft des Massenkonsums gilt in den westlichen Industriestaaten als weitgehend verwirklicht.
W. W. Rostow: Stadien wirtschaftl. Wachstums. Eine Alternative zur marxist. Entwicklungstheorie (a. d. Engl., 21967).
Universal-Lexikon. 2012.