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Barlach
Bạrlach,
 
Ernst, Bildhauer, Zeichner, Grafiker und Dichter, * Wedel (Holstein) 2. 1. 1870, ✝ Rostock 24. 10. 1938; nach Studien 1888-91 an der Hamburger Kunstgewerbeschule, 1891-95 an der Dresdner Akademie und Aufenthalten in Paris 1895 und 1897 war er zunächst dem Jugendstil verpflichtet. Eine Reise nach Russland im Jahr 1906 stellte für Barlach das auslösende Moment für einen neuen künstlerischen Weg dar. Das Erlebnis Russlands, seiner Menschen, seiner Landschaft, führte ihn zu einer plastischen Sprache, der er sich in den folgenden drei Jahrzehnten bis an sein Lebensende konsequent und nahezu unverändert bediente. Seit 1910 bis zum Tode war er in Güstrow ansässig; 1913 Mitglied der Berliner Sezession, 1919 Ordentliches Mitglied der Preußischen Akademie der Künste. Die 20er-Jahre waren geprägt von Barlachs Auseinandersetzung mit Fragen der Kriegerdenkmale. Seine Lösungen stellen einen Beitrag zur grundlegenden Erneuerung der Mahnmale als »Denkzeichen« dar. Alle öffentlich aufgestellten Ehrenmale (Güstrow, 1927; Kiel, 1928; Magdeburg, 1929 und Hamburg, 1931) waren heftig umstritten und wurden während der nationalsozialistischen Herrschaft demontiert und zum Teil vernichtet. Bei der Aktion »Entartete Kunst« von 1937 wurden 381 Kunstwerke des Künstlers aus öffentlichen Sammlungen entfernt und teilweise ins Ausland verkauft. 1938 erzwungener Austritt aus der Preußischen Akademie der Künste. Der Ausdruck seiner über 400 plastischen Arbeiten ist weit gespannt. Thema ist die menschliche Gestalt, die Barlach, von meditativer Stille bis zur extrovertierten Gebärde, in ihren unterschiedlichsten Befindlichkeiten darstellte. Die für seine Skulpturen typischen figurenumhüllenden Gewänder bilden das plastische, bildhauerische Volumen. Barlach reduzierte seine Bildwerke in der Regel auf einfache Grundformen unter Beibehaltung der Gegenständlichkeit, die sich einerseits an der mittelalterlichen Skulptur des Nordens orientieren und andererseits auch Anregungen von außereuropäischen Kulturen aufnehmen. Als Bildhauer hat Barlach in den verschiedensten Materialien gearbeitet. Seine etwa 100 Holzskulpturen gelten als sein plastisches Hauptwerk. Er trug damit maßgeblich zur Erneuerung der Holzbildhauerkunst in der modernen Skulptur des 20. Jahrhunderts bei. Das umfangreiche zeichnerische und druckgrafische Schaffen des Künstlers dokumentiert seine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Ideenfülle und künstlerisch-gestalterischen Fragen und steht so in unmittelbarer Beziehung zu seinem bildhauerischen und schriftstellerischen Werk. Barlach wird dem Expressionismus zugerechnet, muss aber als Sondererscheinung in der Kunst der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewertet werden.
 
Das gilt auch für Barlach als Schriftsteller. Er schrieb acht Dramen, zwei Romanfragmente, eine autobiographische Erzählung, Tagebücher, Kurzprosa, und er gehört zu den großen Briefschreibern des 20. Jahrhunderts. 1924 erhielt er für sein dramatisches Werk den Kleist-Preis. Vielfach variiertes Thema seiner Theaterstücke ist der Mensch im Spannungsfeld zwischen Gott und Teufel. Skurrile Volksgestalten wie auch mystisch-symbolhafte Figuren, die sich auf einer Gratwanderung zwischen Tragik und Komik bewegen, sind die Personen dieser Stücke. Es wird das Bild einer Welt vermittelt, die, scheinbar geordnet, sich in Auflösung befindet. Barlach verknüpfte dabei die expressionistische Vision vom »neuen Menschen« mit der Ideenwelt des Mittelalters, mit ostasiatischen Lehren und biblischen Motiven. Er suchte den ungeläufigen Ausdruck. Er kämpfte, wie er selbst sagte, mit den Worten. Alltagsrede, gelegentlich auch plattdeutsche Wendungen sind die Hauptelemente im komischen Grundgestus seiner Sprache. Den Nachlass Barlachs mit der umfangreichsten Sammlung seiner Werke aus allen Schaffensbereichen und -perioden bewahrt seit 1994 die E. Barlach Stiftung in Güstrow (etwa 320 Skulpturen, über 1 000 Handzeichnungen, 200 Druckgrafiken, 110 literarische Manuskripte, 110 Skizzen- und Taschenbücher mit mehreren Tausend Zeichnungen; Museen: Atelierhaus, Gertrudenkapelle, neues Ausstellungs- und Archivgebäude). Weitere Sammlungen: E. Barlach Haus, Stiftung Hermann F. Reemtsma, Hamburg, und Ernst-Barlach-Gesellschaft, Hamburg, mit Museen in Ratzeburg und Wedel.
 
Plastiken: Hauptwerke: Russische Bettlerin (Bronze, 1907); Sterndeuter I und II (Holz, 1909; Privatsammlung); Berserker (Holz, 1910; E. Barlach Haus); Der Einsame (Holz, 1911; Hamburger Kunsthalle); Der Ekstatiker (Holz, 1916; Kunsthaus Zürich); Der Rächer (Holz, 1922; Hamburg, E. Barlach Haus); Das Wiedersehen (Holz, 1926; ebenda); Der Singende Mann (Bronze, 1928); Die Gemeinschaft der Heiligen (3 Klinkerfiguren, 1930-32; Katharinenkirche Lübeck); Fries der Lauschenden (Holz, 1930-35; Hamburg, E. Barlach Haus); Lesender Klosterschüler (Holz, 1930; E. Barlach Stiftung); Wanderer im Wind (Holz, 1934; ebenda); Lachende Alte (Holz, 1937; ebenda); Zweifler (Holz, 1937; ebenda).
 
Literarische Werke: Dramen: Der tote Tag (1912); Der arme Vetter (1918); Die echten Sedemunds (1920); Der Findling (1922); Die Sündflut (1924); Der blaue Boll (1926); Die gute Zeit (1929); Der Graf von Ratzeburg (herausgegeben 1951).
 
Romane: Seespeck (1948, entstanden 1913/14); Der gestohlene Mond (1948, entstanden 1936/37).
 
Autobiographisches: Ein selbsterzähltes Leben (1928).
 
Ausgaben: Das dichterische Werk, herausgegeben von F. Dross u. a., 3 Bände (1956-59); E. Barlach. Werkverzeichnis, bearbeitet von F. Schult, 3 Bände (1958-71); Die Briefe, herausgegeben von F. Dross, 2 Bände (1968-69).
 
Literatur:
 
P. Schurek: B., eine Bildbiogr. (1961);
 
E.-B.-Bibliogr., bearb. v. K.-H. Kröplin (1972);
 H. Kaiser: E. B. (1972);
 
E. B. Werke u. Werkentwürfe aus 5 Jahrzehnten, bearb. v. E. Jansen u. a., 3 Bde. (1981, Ausst.-Kat. Altes Museum, Berlin, u. a.);
 C. Krahmer: B. (1984);
 
E. B., Bilder zum dramat. Werk, Ausst.-Kat. (mit Bibliogr.; 1988);
 H. Knobling: Studien zum zeichner. Werk E. B.s 1892-1912 (1989);
 
E. B. bearb. v. E. Jansen (41993);
 
E. B. (mit Bibliogr.), bearb. v. J. Doppelstein u. a. (1995, Ausst.-Kat. E.-B.-Museum Wedel u. a.);
 
B.-Studien, hg. v. W. Beutin u. T. Bütow (1995);
 
Der E.-B.-Nachlaß in Güstrow, bearb. v. V. Probst (1995).

Universal-Lexikon. 2012.