statịstische Mechanik,
eine besonders auf L. Boltzmann, J. W. Gibbs und R. J. E. Clausius zurückgehende physikalische Theorie, die aus dem Bestreben entstand, die Gesetze der Gase und der Thermodynamik (v. a. den 2. Hauptsatz) mithilfe der Mechanik zu erklären. Sie umfasst als klassische Statistik (klassische statistische Physik) die Teilgebiete der kinetischen Gastheorie und der statistischen Thermodynamik.
Die statistische Mechanik geht von der Annahme aus, dass die Materie aus kleinsten Bausteinen besteht, die sich in einer ständigen, den mechanischen Gesetzen folgenden Bewegung befinden, und sucht aufgrund dieser Annahmen die makroskopisch beobachtbaren Zustandsgrößen eines Systems, wie Druck, Volumen, Temperatur, zu deuten, mit denen die Thermodynamik arbeitet. Ausgangspunkt der statistischen Mechanik ist die statistische Gesamtheit (statistisches Ensemble; Gesamtheit). Sie setzt sich aus einer Vielzahl physikalisch gleichartiger, d. h. durch die gleiche Hamilton-Funktion beschriebenen und somit den gleichen mechanischen Bewegungsgleichungen genügenden Systemen zusammen. Die statistische Mechanik bestimmt die Verteilung dieser Systeme im Phasenraum, wobei zwischen der Beschreibung im Gammaraum (Γ-Raum-Statistik, gibbssche Statistik) und der im Myraum (μ-Raum-Statistik, [Maxwell-]Boltzmann-Statistik) unterschieden wird. Mit bekannter Verteilungsfunktion (Phasenraumdichte) lassen sich die interessierenden makroskopischen Größen durch Mittelwertbildung bestimmen, wobei in der statistischen Mechanik der zeitliche Mittelwert (Zeitmittel) einer beliebigen Größe über ein bestimmtes physikalisches System durch das Scharmittel über die statistische Gesamtheit ersetzt wird. Dadurch wird die Problemstellung von der Lösung der Bewegungsgleichungen auf die Berechnung der Verteilungsfunktion verlagert. Die Äquivalenz von Zeit- und Scharmittel wurde zunächst durch die Ergodenhypothese gefordert, wird aber heute der statistischen Mechanik meist axiomatisch vorangestellt.
Die Berechnung der Verteilungsfunktion im Γ-Raum erfolgt im Allgemeinen mithilfe der Liouville-Gleichung. Ist die Verteilungsfunktion zeitabhängig, lassen sich kinetische Gleichungen (Boltzmann-Gleichung, Planck-Fokker-Gleichung) ableiten, die in der kinetischen Theorie (Statistik irreversibler Prozesse, Nichtgleichgewichtsstatistik) Ausgangspunkt für die Berechnung von Transportkoeffizienten, elektrische Leitfähigkeit, Wärmeleitfähigkeit u. Ä. sind. In der statistischen Thermodynamik (Gleichgewichtsstatistik) ist die Verteilungsfunktion zeitlich konstant. Bei einer statistischen Gesamtheit mit vorgegebener Energie für die möglichen Zustände der Systeme spricht man von einer mikrokanonischen, bei gegebener Temperatur durch Ankopplung an ein Wärmereservoir von einer kanonischen Verteilung. Ist die Teilchenzahl nur im Mittel angebbar (Teilchenaustausch mit der Umgebung), liegt eine großkanonische Verteilung vor. Die Berechnung von Zustandssummen (oder Zustandsintegralen) und daraus der thermodynamischen Funktionen führt zu den makroskopischen Systemgrößen. Insbesondere die Entropie lässt sich so mikroskopisch-statistisch deuten. Die klassische Gleichgewichtsstatistik im μ-Raum ist die Boltzmann-Statistik, die auch den Gleichverteilungssatz der Energie begründet.
Ein durch die statistische Mechanik gelieferter Erwartungswert für die Messergebnisse thermodynamischer Größen zeigt sich experimentell aufgrund seines Wahrscheinlichkeitscharakters erst im Mittel sehr vieler Messungen. Außerdem treten gewisse Fluktuationen der Messgrößen (Schwankungserscheinungen) auch im Gleichgewicht auf. Ihre Untersuchung stellt die Verbindung zwischen Gleichgewichtsstatistik und der Statistik irreversibler Prozesse dar. Die Eigenschaften quantenmechanisch-statistischer Systeme werden erst durch die Quantenstatistik berücksichtigt.
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Universal-Lexikon. 2012.