Akademik

Insekten
Insẹkten
 
[lateinisch insectum, eigentlich »eingeschnittenes (Tier)«], Singular Insẹkt das, -s, Kerbtiere, Kerfe, Insẹcta, Hexapoda, Klasse der Gliederfüßer.
 
Mit derzeit über 1,2 Mio. beschriebenen Arten umfassen die Insekten etwa 80 % aller lebenden Tierarten; jährlich werden zahlreiche weitere Arten als neu erkannt und beschrieben. Durch ihre hohe Anpassungsfähigkeit haben Insekten auch ganz extreme Gebiete besiedeln können, z. B. die Wüste Namib, Hochgebirge bis über 5 000 m über dem Meeresspiegel, die Antarktis. Das Meer hingegen wird nur von wenigen Arten bewohnt. Beeindruckend groß ist bei manchen Arten auch die Individuenmenge; so können Schwärme von Wanderheuschrecken aus vielen Mio. Tieren bestehen, ebenso die Staaten einiger Ameisen- und Termitenarten. Die sehr kleinen bodenbewohnenden Arten besiedeln (z. B. auf Weideland) 1 m2 Oberfläche mit bis zu 60 000 Individuen. Die Vielgestaltigkeit, die Entwicklungsformen, die Lebensäußerungen sowie die große Bedeutung für die Menschen als Nützlinge, Schädlinge und Krankheitsüberträger machen Insekten für Wissenschaft und Praxis zur wichtigsten Tiergruppe. Die Wissenschaft von der Insektenkunde ist die Entomologie.
 
 Stammesgeschichte
 
Die Insekten sind primär Landtiere, sekundär zum Teil zum Leben im Wasser übergegangen. Die geologisch ältesten Insektenfossilien stammen aus dem Mitteldevon (vor 387-374 Mio. Jahren) Schottlands und gehören zu den Springschwänzen (Rhynie). Mit dem Erwerb der Flugfähigkeit (seit dem Oberdevon, vor 374-360 Mio. Jahren) kam es zur ersten großen Artenentfaltung mit Höhepunkt im Oberkarbon (vor 333-286 Mio. Jahren), u. a. Urlibellen mit fast 80 cm Flügelspannweite (Meganeura) und Riesenschaben. Eine zweite Entwicklungswelle ergab sich im Perm (vor 286-248 Mio. Jahren) mit dem Erwerb der vollständigen Verwandlungsfähigkeit; hier liegt der Beginn der Käfer, Schmetterlinge, Hautflügler und Fliegen. Etwa zeitgleich mit dem Erscheinen der Blütenpflanzen kam es seit der Oberkreide zur dritten Entfaltungswelle. Im Jungtertiär (vor rd. 25-2,5 Mio. Jahren) wurde dann der heutige Zustand der Insekten im Wesentlichen erreicht. Von den bekannten etwa 12 000 fossilen Insektenarten stammt weit über die Hälfte aus dem Tertiär.
 
 Systematik
 
Je nach Bewertung der höheren systematischen Kategorien der Insekten schwankt die Zahl der Unterklassen und Ordnungen. Wichtige Kriterien für die systematische Einteilung der Insekten sind der Bau der Mundwerkzeuge und Flügel. Nach A. Kaestner (1973) werden zwei Unterklassen angenommen: Entognatha (Sackkiefler) mit in das Kopfinnere eingesenkten Mundteilen und Ectognatha (Freikiefler) mit außen frei an der Kopfkapsel eingelenkten Mundteilen. Zu den Entognatha gehören die drei Ordnungen Doppelschwänze, Beintastler und Springschwänze; zu den Ectognatha gehört (in 32 Ordnungen) die große Masse aller übrigen Insekten (über 99 %), u. a. mehrere artenreiche Ordnungen der geflügelten Insekten, v. a. Käfer, Hautflügler, Schmetterlinge und Fliegen.
 
 Körperbau
 
Die Körperlänge der Insekten schwankt zwischen 0,2 mm (manche parasitäre Wespen) und 35 cm (tropisches Gespenstschrecken); die Körpergestalt reicht von extrem lang gestreckt bis zu fast kugelig oder abgeplattet; die Masse schwankt von Bruchteilen eines Milligramms (Zwergwespen) bis zu 46 g (Goliathkäfer; Vergleich: Hausmaus um 20 g). Sehr verschieden sind Flügelform und -haltung, Ausbildung der Fühler und Beine, Hornbildungen an Kopf und Halsschild, Oberflächenstruktur, Färbung und Zeichnung.
 
Der Insektenkörper gliedert sich in drei Abschnitte: Kopf, Bruststück (Thorax), Hinterleib (Abdomen), die sich jeweils aus mehreren Ringen (Segmenten) zusammensetzen. Am Kopf befinden sich die Mundwerkzeuge: ein Paar Oberkiefer (Mandibeln), zwei Paar Unterkiefer (Maxillen), von denen das hintere Paar teilweise zur Unterlippe (Labium) verwachsen ist, und die unpaare Oberlippe (Labrum); sie sind je nach Ernährungsweise abgewandelt in beißend-kauende (bei Schaben, Käfern u. a.), leckend-saugende (Schmetterlinge, Hautflügler, Fliegen) und stechend-saugende (z. B. Wanzen, Mücken) Mundwerkzeuge; außerdem ein Paar Fühler, die Träger verschiedener Sinnesorgane sind (Tastsinn, Geruchssinn, Strömungssinn u. a.), ein Paar Facettenaugen und 1-3 Einzelaugen (Punktaugen, Ozellen; Auge).
 
Das Bruststück besteht aus Vorder-, Mittel- und Hinterbrust (Pro-, Meso- und Metathorax), bauchseits mit je einem Beinpaar; das Bein setzt sich zusammen aus Hüfte (Coxa), Schenkelring (Trochanter), Schenkel (Femur), Schiene (Tibia) und Fußgliedern (Tarsen) und ist seiner Funktion gemäß als Schreit-, Sprung-, Ruder-, Kletter- oder Fangbein ausgebildet. Die Flügel entstehen durch Ausstülpungen seitlicher Rückenteile, ursprünglich je ein Paar an der Mittel- und Hinterbrust. Bei manchen Arten befindet sich an der Ansatzstelle des Flügels an der Mittelbrust beiderseits ein schuppenartiges Gebilde, die Deckschuppe (Tegula). Die Flügel können durchsichtig (häutig) sein und versteift durch dunklere, feste Adern (Flügeladern). Rückbildung eines, meist des hinteren, Flügelpaares findet sich bei Zweiflüglern (Umwandlung zu Halteren), beim Schildlausmännchen u. a. Zu teilweisem oder völligem Schwund der Flügel kommt es z. B. bei Schmetterlingsweibchen (Frostspanner), vielen Parasiten (Tierläuse) und beim Schildlausweibchen. Primär flügellos sind die Urinsekten. Bei Käfern sind die Vorderflügel zu kräftig sklerotisierten Deckflügeln (Elytren) umgebildet. In der Regel arbeiten beide Flügelpaare gleichförmig, bei Libellen können die Flügel abwechselnd bewegt werden. (Flug)
 
Der Hinterleib besteht aus ursprünglich 12 Ringen, von denen einige bei den meisten Insekten miteinander verschmolzen sind; das Hinterende kann Reife (Cerci) tragen, die wie die Fühler als Sinnesorganträger oder (seltener) als Klammerorgane (bei Ohrwürmern) dienen.
 
Das Nervensystem ist ursprünglich strickleiterförmig mit je einem Paar Nervenknoten (Ganglien) pro Segment angelegt, die meist miteinander vereinigt sind. Das Gehirn ist aus drei Ganglienpaaren gebildet, ein sympathisches Nervensystem für die inneren Organe ist eng mit innersekretorischen Drüsen (Corpora allata; Corpora cardiaca) verbunden. Gut entwickelt sind Tast-, Geruchs-, Geschmacks- und Gehörorgane.
 
Der Darm besteht aus Vorderdarm (oft mit Kropf), Mittel- und Enddarm. Zwischen Mittel- und Enddarm befinden sich blind endende Schläuche mit Nierenfunktion, die Malpighi-Gefäße. In der Leibeshöhle dient ein umfangreicher Fettkörper als Speicherorgan; ein röhrenförmiges Rückengefäß mit seitlichen Öffnungen (Ostien) und pulsierendem hinterem Abschnitt hat Herzfunktion, da es die Leibeshöhle mit Blut durchspült.
 
Die Atmung erfolgt meist über ein Tracheensystem, dessen Endverästelungen die einzelnen Organe umspinnen (Sauerstoffversorgung). Wasserbewohnende Larven haben Tracheenkiemen; vielen Springschwänzen fehlen Tracheen.
 
Drüsen sind zahlreich vorhanden. Hautdrüsen sind zum Teil Öl-, Duft-, Stink-, Wachs-, Wehr-, Häutungsdrüsen. An den Kopfgliedmaßen münden paarige Kopfdrüsen, deren letztes Paar, die Labialdrüsen, Verdauungssäfte liefert, aber auch zu Seide erzeugenden Spinndrüsen umgewandelt sein kann.
 
Die Insekten sind getrenntgeschlechtig; Hoden und Eierstöcke sind vorhanden. Die Geschlechtsöffnung liegt auf der Bauchseite meist nahe am Hinterende. Die männlichen Begattungsorgane und die Legeapparate der Weibchen sind zum Teil kompliziert gebaut (wichtiges Hilfsmittel zur Artunterscheidung).
 
Die Haut besteht aus einer einschichtigen Epidermis, die als Mutterschicht für die von ihr nach außen abgesonderte, nichtzelluläre Kutikula mit Schutz- und Stützfunktion fungiert. Die Oberfläche des Hautpanzers weist mannigfache Strukturen und Fortsätze, besonders Haare auf, z. B. Sinneshaare, Drüsenhaare (Gift-, Hafthaare) und als Sonderform Schuppen.
 
 Physiologie
 
Die zum Teil hoch entwickelten Sinnesleistungen der Insekten übertreffen die Möglichkeiten vieler Wirbeltiere, z. B. Wahrnehmung von Ultraschall (Eulenschmetterlinge), farbliches Sehen von UV-Licht (Bienen), Orientierungsvermögen mithilfe von polarisiertem Licht. Bei Staaten bildenden Insekten sind Zeitsinn und Mitteilungsvermögen (»Bienensprache«) hoch entwickelt. Organe der Lautäußerung (Schrill-, Trommelorgane, Flugschnarren) dienen der Partnerfindung (Balz) und der Abwehr von Gegnern.
 
 Entwicklung
 
Während der Entwicklung zum Vollkerf (Imago) wird die nichtdehnbare Haut mehrfach abgestoßen und von der Epidermis erneuert; der Häutungsrhythmus wird von Hormonen gesteuert. Meist werden befruchtete Eier abgesetzt, seltener lebende Larven geboren; Jungfernzeugung (Parthenogenese) ist häufig, oft im Wechsel mit zweigeschlechtlicher Fortpflanzung, z. B. bei Blattläusen. Die postembryonale Entwicklung der Larven (Metamorphose) verläuft entweder direkt oder unvollständig, wenn ein Puppenstadium fehlt (Hemimetabolie) und die Jungtiere dem Vollkerf bereits stark ähneln; oder es liegt eine vollständige Verwandlung vor, wenn zwischen Larven- und Erwachsenenstadium ein Ruhestadium (Puppe) eingeschaltet ist (Holometabolie). Käfer haben eine freie Puppe, Schmetterlinge eine Reliefpuppe, echte Fliegen eine Tönnchenpuppe. Brutfürsorge und Brutpflege kommen bei verschiedenen Insektenordnungen in unterschiedlichen Abstufungen vor und erreichen einen Höhepunkt bei Staaten bildenden Insekten (Termiten, Ameisen, Wespen, Hummeln, Bienen).
 
Literatur:
 
H. Weber: Lb. der Entomologie (1933, Nachdr. 1968);
 H. Weber: Grundr. der I.-Kunde, neu bearb. v. H. Weidner (51974);
 
Biologie u. Ökologie der I. Ein Taschenlex., begr. v. W. Jacobs, fortgef. v. M. Renner (21988);
 
Urania-Tierreich, Bd. I., Beitrr. v. K. Günther u. a. (Neuausg. 1994);
 G. Seifert: Entomolog. Praktikum (31995).
 
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
 
Organismengruppen: Ein Überblick
 

Universal-Lexikon. 2012.