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Formalismus
For|ma|lịs|mus 〈m.; -; unz.〉
1. Überbetonung der Form, des Formalen, der Äußerlichkeiten
2. Betrachtungsweise, für die die Mathematik nur aus formalen Strukturen besteht, also gewissermaßen ein Spiel mit Symbolen ist

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For|ma|lịs|mus, der; -, …men:
a) <o. Pl.> Überbetonung der Form (1 b, d), des Formalen:
diese Wissenschaft droht im F., in F. zu erstarren;
b) etw. rein äußerlich, mechanisch Vollzogenes:
eine durch Formalismen geprägte Verwaltung.

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Formalịsmus
 
der, -,  
 1) allgemein: die Betonung, auch Überbetonung der Form, des Formalen.
 
 2) Ästhetik: Ästhetischer Formalismus oder Formalästhetik ist eine extreme Richtung der ästhetischen Theorie, die sich damit von der »Gehaltsästhetik« abgrenzt. Der Formalismus in der Theorie des Schönen bei I. Kant ist ausschließlich auf das Erleben der formalen Elemente sinnlicher Eindrücke gegründet. Schön kann nur sein, was eine rein formale, auf keinen Inhalt bezogene figürliche oder prozessuale Einheit hat, also nur, was entweder reine Gestalt oder bloßes Spiel ist. Wohlgefügtheit, Rhythmus, Proportion, Harmonie werden so zu den wichtigsten Kriterien der Kunst. Unter Berufung auf diese Kriterien verteidigten im 19. Jahrhundert J. F. Herbart, R. Zimmermann, K. Fiedler u. a. eine strenge Formalästhetik, um sich gegen hegelianische und romantische Kunstauffassungen abzugrenzen. In diese Tradition gehört der Musikkritiker E. Hanslick mit seiner Auffassung der Musik als tönender Form. Im 20. Jahrhundert hat es auch in der Kunst, z. B. im russischen Suprematismus oder in der amerikanischen Minimalart Ansätze zu einem strengen Formalismus gegeben.
 
 3) In der Ethik werden I. Kants Lehre vom »kategorischen Imperativ« und verwandte Positionen als Formalismus bezeichnet, weil sie - im Gegensatz zur materialen Wertethik - die Annehmbarkeit einer Handlungsmaxime nicht durch inhaltliche Untersuchung derselben klären wollen, sondern durch die formale Frage nach ihrer »Verallgemeinerbarkeit«. Kritiker halten dem ethischen Formalismus entgegen, dass auch ethisch verwerfliche Maximen verallgemeinerbar sein könnten. In der zeitgenössischen Diskussion treten formalistische Vorstellungen einerseits in der von K.-O. Apel und J. Habermas vertretenen Forderung nach einer idealen Kommunikationsgemeinschaft als fiktiver Prüfinstanz ethischer Prinzipien, andererseits in den Untersuchungen der deontischen Logik auf (H. von Wright).
 
Literatur:
 
R. Wimmer: Universalisierung in der Ethik. Analyse, Kritik u. Rekonstruktion eth. Rationalitätsansprüche (1980);
 
Funkkolleg prakt. Philosophie, Ethik, hg. v. K.-O. Apel u. a., 2 Bde. (1984).
 
 4) Literatur: russischer Formalismus, literaturwissenschaftliche Methode, entwickelt zwischen 1915 und 1928 im »Moskauer Linguistenkreis« (gegründet 1915) und in der Petersburger »Gesellschaft zur Erforschung der poetischen Sprache« (»Opojas«; gegründet 1916). Der Formalismus wandte sich - in enger Verbindung mit der experimentellen zeitgenössischen Dichtung (v. a. dem Futurismus) sowie mit modernen Richtungen der Sprachwissenschaft - gegen die übliche philosophisch-religiöse, kulturhistorische oder soziologische Literaturbetrachtung. Gegenstand der Literaturwissenschaft sollte das spezifisch Literarische, d. h. die »Literarizität« (literaturnost') sein. In der ersten Phase konzentrierte sich das Interesse auf das einzelne Verfahren (priem, »Kunstgriff«) und den Begriff der »Verfremdung« (ostranenie). Das literarische Kunstwerk wurde als »die Summe der darin angewandten Verfahren in verfremdeter Funktion« (W. B. Schklowskij) aufgefasst. Durch die Verfremdung sollte eine Durchbrechung des »automatisierten« Wahrnehmungsbewusstseins beim Aufnehmenden bewirkt und ein »neues Sehen der Wirklichkeit« ermöglicht werden. In der zweiten Phase - Öffnung zum Außerliterarischen - wurde auch die Rolle der nicht spezifisch literarischen Faktoren oder »Reihen« beim literarischen Schaffen wie beim Aufnehmen und Verstehen von Dichtung und deren historische Voraussetzungen erforscht; das literarische Kunstwerk wurde als System aus Verfahren (Ebenenmodell) in »synchron und diachron« spezifizierten Funktionen bestimmt (J. N. Tynjanow, R. Jakobson). Die Formalisten konzipierten neue Methoden der Interpretation: Theorie der Prosa (Schklowskij, B. M. Eichenbaum), Gattungsforschung (Tynjanow), Metrik (Jakobson, Tynjanow), Filmtheorie. 1930 in der UdSSR unterdrückt, wurde das Gedankengut des Formalismus im Prager Strukturalismus sowie in der polnischen »integralen Literaturbetrachtung« (u. a. Manfred Kridl, * 1882, ✝ 1957; R. Ingarden) weiterentwickelt und gelangte durch emigrierte Wissenschaftler in die USA (New Criticism).
 
Literatur:
 
Texte der russ. Formalisten, hg. v. J. Striedter u. a., 2 Bde. (1969-1972, dt. u. russ.);
 E. M. Thompson: Russian formalism and Anglo-American new criticism (Den Haag 1971);
 V. Erlich: Russ. F. (a. d. Engl., Neuausg. 1973);
 A. A. Hansen-Löve: Der russ. F. Methodolog. Rekonstruktion seiner Entwicklung aus dem Prinzip der Verfremdung (Wien 1978).
 
 5) Plural. ..men. In Logik und Mathematik bezeichnet man eine Theorie dann als Formalismus, wenn deren Sätze durch einen Kalkül (also insbesondere unter Absehen von allen Bedeutungen) aus Axiomen gewonnen werden. Beispiele hierfür sind die kalkülisierten Fassungen der Aussagen- und Prädikatenlogik (etwa das System der »Principia Mathematica« von B. Russell und A. N. Whitehead, 1910-13). Neben diesen Vollformalismen, bei denen in Ableitungen immer nur endlich viele Prämissen auftreten dürfen, spielen v. a. bei beweistheoretischen Untersuchungen die von G. Gentzen eingeführten Halbformalismen, die auch unendlich viele Prämissen zulassen, eine wichtige Rolle.
 
Auch die von D. Hilbert seit 1917 vertretene Position in der mathematischen Grundlagenforschung wird als Formalismus bezeichnet. Diese sieht die Überführung der Mathematik in einen Formalismus vor, dessen Widerspruchsfreiheit von der Beweistheorie mit finiten Mitteln zu zeigen ist. Dieses Hilbert-Programm ist nach den Ergebnissen von K. Gödel (1931) als gescheitert zu betrachten. Es hat dennoch anregend auf die mathematische Grundlagenforschung gewirkt.
 
Literatur:
 
D. Hilbert: Hilbertiana (Neuausg. 1964);
 
Philosophy of mathematics, hg. v. P. Benacerraf u. a. (Cambridge 21983).
 

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For|ma|lịs|mus, der; -, ...men: 1. a) <o. Pl.> Überbetonung der ↑Form (1 b, d), des Formalen: diese Wissenschaft droht im/in F. zu erstarren; b) <o. Pl.> (DDR abwertend) subjektivistische Kunstauffassung u. Verfallserscheinungen in Literatur u. Kunst; c) etw. rein äußerlich, mechanisch Vollzogenes: Wie lebendig, und tödlich, diese Formalismen ... sind, lehrt jeder Blick auf die gegenwärtige Publizistik (Enzensberger, Einzelheiten I, 105); ein logischer F. (Fachspr.; eine formal[isiert]e logische Verfahrens-, Formulierungsweise); eine durch Formalismen geprägte Verwaltung. 2. (Math.) Auffassung der Mathematik als Wissenschaft von rein formalen Strukturen (Zusammenhängen zwischen Zeichen).

Universal-Lexikon. 2012.