Akademik

Fühmann
Fühmann,
 
Franz, Schriftsteller, * Rochlitz (tschechisch Rokytnice nad Jizerou) 15. 1. 1922, ✝ Berlin (Ost) 8. 7. 1984; katholisch erzogen und im Umkreis des sudetendeutschen Faschismus aufgewachsen; trat 1938 der SA bei und wurde 1941 Soldat. Sowjetische Kriegsgefangenschaft und Begegnung mit marxistischen Ideen wurden zum Wendepunkt seines Lebens. Seit 1950 lebte er in Berlin (Ost), wo er anfangs auch kulturpolitisch arbeitete. In Gedichten (»Die Fahrt nach Stalingrad«, 1953) und Erzählungen (»Kameraden«, 1955) spiegeln sich zunächst die Grunderlebnisse Krieg, NS-Herrschaft und eigene schuldhafte Verstrickung. Nationalsozialistische Manipulierung seiner Generation und psychologisch genaue Darstellung individueller Wandlung kennzeichnen die autobiographisch geprägten Erzählungen der 60er-Jahre (»Das Judenauto«, 1962). Das poetische Tagebuch einer Ungarnreise (»22 Tage oder Die Hälfte des Lebens«, 1973) zeigt ein neues künstlerisches und politisches Selbstbewusstsein. In der Folgezeit nehmen die Beschäftigung mit Traum, Mythos und literarischen Leitbildern einen breiten Raum ein; in dem autobiographisch-poetologischen Essay über G. Trakl »Vor Feuerschlünden« (1982; auch unter dem Titel »Der Sturz des Engels«) verarbeitete Fühmann jahrzehntelange Selbstbefragung. Er wurde zum energischen Kritiker der Kulturpolitik der DDR und zum Förderer kritischer junger Autoren. In den letzten Lebensjahren plagten ihn schwere Selbstzweifel, die über den quälenden Entstehungsprozess des Romans »Im Berg« (als Fragment aus dem Nachlass herausgegeben 1991) hinaus sein Selbstverständnis von der Verantwortung des Schriftstellers in der Gesellschaft berührten.
 
Seine hohe Sprachkunst zeigt sich auch in den Nachdichtungen von Werken der Weltliteratur für Kinder und Jugendliche (u. a. »Das hölzerne Pferd«, 1968; »Das Nibelungenlied«, 1971) und in »Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel« (1978), einem »Spielbuch in Sachen Sprache«. Fühmann übersetzte aus dem Ungarischen, Polnischen und Tschechischen.
 
Weitere Werke: Lyrik: Die Nelke Nikos (1953); Die Schöpfung soll dauern (1957); Die Richtung der Märchen (1962).
 
Erzählungen: Kapitulation (1958); Stürzende Schatten (1959); Fronten (1961); Spuk (1961); Böhmen am Meer (1962); König Ödipus (1966); Die Elite (1970); Der Jongleur im Kino oder Die Insel der Träume (1970); Der Geliebte der Morgenröte (1978); Saiäns-Fiktschen (1981); Die Schatten (1986); Unter den PARANYAS. Traum-Erzählungen und -Notate (herausgegeben 1988).
 
Reportagen: Kabelkran und Blauer Peter (1961).
 
Essays: Ernst Barlach. Das schlimme Jahr (1963); Erfahrungen und Widersprüche (1975); Fräulein Veronika Paulmann aus der Pirnaer Vorstadt oder Etwas über das Schauerliche bei E. T. A. Hoffmann (1979); Wandlung. Wahrheit. Würde (1985).
 
Ausgaben: F. Fühmann. Briefe 1950-1984. Eine Auswahl, herausgegeben von Hans-Jürgen Schmitt (1994); Monsieur - wir finden uns wieder. Briefe 1968-1984, Briefwechsel Christa Wolf und F. Fühmann, herausgegeben von A. Drescher (1995).
 
Literatur:
 
H. Richter: F. F. Ein dt. Dichterleben (1992).

Universal-Lexikon. 2012.