Interessengemeinschaft; Union; Verein; Vereinigung; Interessengruppe; Seilschaft (umgangssprachlich); Interessenverband; Verbindung; Verband; Lobby; Gruppe; Körperschaft; Gesellschaftssystem; Sozialstruktur; Gesellschaftsstruktur; Großunternehmen; Konzern
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Ge|sell|schaft [gə'zɛlʃaft], die; -, -en:1.
a) <ohne Plural> das Zusammen-, Befreundet-, Begleitetsein; gesellschaftlicher Verkehr:
in schlechte Gesellschaft geraten; sie war in [der] Gesellschaft zweier Herren.
Zus.: Damengesellschaft, Herrengesellschaft.
b) geselliges, festliches Beisammensein:
eine Gesellschaft geben.
Zus.: Abendgesellschaft, Kaffeegesellschaft.
c) Kreis, Gruppe von Menschen:
eine große, nette Gesellschaft; eine gemischte (sehr unterschiedlich zusammengesetzte) Gesellschaft.
Syn.: ↑ Runde.
Zus.: Hochzeitsgesellschaft, Jagdgesellschaft, Reisegesellschaft, Trauergesellschaft.
2. Gesamtheit der unter bestimmten politischen, wirtschaftlichen, sozialen Verhältnissen und Formen zusammenlebenden Menschen:
die bürgerliche Gesellschaft.
Syn.: ↑ Allgemeinheit, ↑ Bevölkerung, Bürgerinnen und Bürger, Leute <Plural>, Menschen <Plural>, ↑ Öffentlichkeit.
Zus.: Feudalgesellschaft, Freizeitgesellschaft, Informationsgesellschaft, Klassengesellschaft, Konsumgesellschaft, Leistungsgesellschaft, Spaßgesellschaft, Ständegesellschaft, Überflussgesellschaft, Wegwerfgesellschaft, Wohlstandsgesellschaft.
3. durch Vermögen, Stellung, Bildung o. Ä. maßgebende obere Schicht der Bevölkerung:
zur Gesellschaft gehören.
Syn.: die oberen Zehntausend, die Spitzen der Gesellschaft, ↑ Elite, führende Kreise.
4. Vereinigung [auf Zeit] mit bestimmten Zwecken:
eine wissenschaftliche Gesellschaft; eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (Abkürzung: GmbH).
Zus.: Aktiengesellschaft, Baugesellschaft, Filmgesellschaft, Fluggesellschaft, Handelsgesellschaft, Kommanditgesellschaft, Luftfahrtgesellschaft, Mineralölgesellschaft, Muttergesellschaft, Telefongesellschaft, Tochtergesellschaft, Transportgesellschaft, Versicherungsgesellschaft.
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Ge|sẹll|schaft 〈f. 20〉
1. zweckgebundene, aus Nützlichkeitserwägungen entstandene, meist in sich gegliederte Gruppe von Menschen, die zusammen leben u. arbeiten (Klassen\Gesellschaft, Ur\Gesellschaft)
2. Vereinigung mehrerer Personen zu einem bestimmten Zweck u. mit speziellen Satzungen (Handels\Gesellschaft, Sprach\Gesellschaft)
3. Verein
4. geselliger Kreis (Abend\Gesellschaft, Damen\Gesellschaft, Herren\Gesellschaft, Reise\Gesellschaft, Tisch\Gesellschaft)
5. die im geselligen Verkehr maßgebende, führende Schicht eines Landes od. einer Stadt
6. Begleitung, Beisammensein
● die \Gesellschaft Jesu der Jesuitenorden ● einer \Gesellschaft beitreten; \Gesellschaften besuchen; eine \Gesellschaft geben; eine \Gesellschaft gründen; da kommt \Gesellschaft! jmd. zur Begleitung; jmdm. \Gesellschaft leisten jmdn. unterhalten, ihm die Zeit vertreiben ● die bürgerliche \Gesellschaft das Bürgertum; die feine, gute, vornehme \Gesellschaft; die ganze \Gesellschaft alle miteinander; gelehrte \Gesellschaft; geschlossene \Gesellschaft Kreis nur für geladene Gäste; 〈Soziol.〉 Gesellschaftsform, die sich nach außen abschließt u. in der die wichtigen Staatsangelegenheiten nur einem engen Kreis Eingeweihter bekannt werden; ihr seid aber eine langweilige \Gesellschaft! 〈umg.〉; literarische \Gesellschaft; die menschliche \Gesellschaft; offene \Gesellschaft 〈Soziol.〉 Gesellschaftsform, zu der jeder Zutritt hat u. in der die wichtigen Staatsangelegenheiten in der Öffentlichkeit diskutiert werden; schlechte \Gesellschaft schlechter Umgang ● jmdn. auf einer \Gesellschaft treffen; \Gesellschaft für deutsche Sprache; sich in \Gesellschaft benehmen, bewegen können; neu in die \Gesellschaft eingeführt werden; in eine \Gesellschaft eintreten; viel in \Gesellschaften gehen; ich bin gern in deiner \Gesellschaft; in schlechte \Gesellschaft geraten; in schlechter \Gesellschaft verkehren; \Gesellschaft mit beschränkter Haftung 〈Abk.: GmbH〉 Kapitalgesellschaft, bei der die Gesellschafter nur mit ihrem Einlagekapital haften
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Ge|sẹll|schaft , die; -, -en:
1. Gesamtheit der Menschen, die zusammen unter bestimmten politischen, wirtschaftlichen u. sozialen Verhältnissen leben:
die bürgerliche G.;
die Stellung der Frauen in der G.
2. [mhd. geselleschaft, ahd. giselliscaft = freundschaftliches Verbundensein, Freundschaft]
das ist keine G. für dich;
jmds. G. fliehen, meiden;
er sucht ihre G. (möchte mit ihr zusammen sein);
in schlechte G. geraten;
☆ jmdm. G. leisten (bei jmdm. sein, sich jmdm. anschließen, damit er nicht allein ist);
sich in guter/bester G. befinden (bei etw., was einem widerfährt, was man tut od. sagt, nicht der Einzige sein, sondern auf andere, bekannte Persönlichkeiten o. Ä. verweisen können [wodurch das Negative der Situation abgeschwächt bzw. das Positive verstärkt wird]);
zur G. (nur aus einer die Geselligkeit fördernden Haltung heraus od. um jmdm. einen Gefallen zu tun: zur G. ein Bier mittrinken);
b) größere gesellige Veranstaltung:
eine geschlossene G. (nur einem bestimmten Kreis zugängliche Veranstaltung);
eine G. geben;
c) Kreis von Menschen, die gesellig beisammen sind:
eine fröhliche, laute G.;
ich will von der ganzen G. (ugs.; von allen diesen Leuten) nichts mehr wissen.
3. durch Vermögen, Stellung [u. Bildung] maßgebende obere Schicht der Bevölkerung; gesellschaftliche Oberschicht:
die Damen der G.;
zur G. gehören.
4. [mhd. = kaufmännische Genossenschaft, Handelsgesellschaft]
a) Vereinigung mehrerer Menschen, die ein bestimmtes Ziel od. gemeinsame Interessen haben:
eine literarische G. gründen;
b) (Wirtsch.) Vereinigung mehrerer Personen od. einzelner Firmen zu einem Handels- od. Industrieunternehmen:
eine bankrotte G.;
G. mit beschränkter Haftung (Kapitalgesellschaft, bei der die ↑ Gesellschafter 2 nur mit ihrer Einlage haften) (Abk.: GmbH);
eine G. gründen.
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I Gesellschaft,
Grundbegriff der Sozialwissenschaften, der seine alltags- und fachsprachliche Vielgestaltigkeit jedoch auch aus seiner Bedeutung für andere Wissenschaften bezieht.
Vom Etymologischen her bezeichnet Gesellschaft das Zusammenleben, die auf zeitliche Dauer angelegte wechselseitige Abhängigkeit von Menschen (Lebewesen), die durch die gemeinsame Teilhabe an einem Raum begründet wird. Im modernen Verständnis wird Gesellschaft allerdings zunehmend ein theoretischer, auf Beschreibung und Analyse zielender Begriff, der an der Aufgabe definiert wird, für die wechselseitige Abhängigkeit menschlichen Handelns und Verhaltens einen Bezugsrahmen bereitzustellen. Bis zum 17. Jahrhundert galt die aristotelische Vorstellung, in der die Gesellschaftlichkeit des Menschen aus seiner »geselligen« Natur abgeleitet und in der Gesellschaft mit dem Staat (der äußeren Organisationsform des Zusammenlebens) gleichgesetzt wurde. Hierauf fußte die antike Sozialphilosophie ebenso wie die theologisch begründete Ordovorstellung (Rangvorstellung) der mittelalterlichen Philosophie, die in der Ständeordnung die göttliche Sozialordnung ausgedrückt sah. Die moderne Auffassung von Gesellschaft entstand aus dem Zerfall dieser Ordnung mit der Herausbildung der frühmodernen staatlichen Ordnungen, die von T. Hobbes zum ersten Mal formuliert und von der Schule der schottischen Moralphilosophie weiterentwickelt wurde. Schließlich gab die historische Differenzierung unterschiedlicher sozialer Lebenszusammenhänge, Gruppeninteressen und Weltbilder (K. Mannheim) im Zuge der Aufklärung den Blick für die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft frei. Am Ende stand die Vorstellung von Gesellschaft als einem eigenständigen, eigenen Bewegungsnormen unterworfenen, von Menschen geschaffenen, innerweltlichen Rahmen und Handlungszusammenhang.
In anthropologischer Sicht erscheint Gesellschaft als eine naturgegebene Organisationsform von Geselligkeit. Unabhängig davon, ob der Mensch als instinktarmes, physiologisch unzureichend ausgestattetes »Mangelwesen« (A. Gehlen) oder als weltoffenes, kreatives, spielfreudiges »Überschusswesen« (J. Huizinga, M. Scheler, H. Plessner) gesehen wird, steht die Bedeutung von Gesellschaft für die Entwicklung des Menschen sowohl in individueller als auch in überindividueller, kultureller Hinsicht außer Frage. Insoweit Gesellschaft das Organisationsfeld der zwischenmenschlichen Interaktion, der kollektiven Produktion und Reproduktion, der Naturaneignung, der Abgrenzung nach außen, aber auch die Basis für die Entfaltung kultureller Verhaltensmuster, die Ausbildung von Kommunikationssystemen, Weltdeutungen und Selbstbildern darstellt, bot sie die Voraussetzung für die Menschwerdung der Hominiden. Derselbe Sachverhalt gilt für die Sozialisation des Individuums, die so als zweite Geburt des Menschen (T. Parsons) verstanden werden kann.
Theorien der Gesellschaft bewegen sich in einem Spannungsfeld zwischen metaphysisch, historisch oder anthropologisch fundierten Substanzaussagen und wissenschaftstheoretisch orientierten, formalisierten Modellen, die Gesellschaft jeweils nur als Begriff innerhalb eines bestimmten Bezugssystems verstehen.
Phänomenologische, interaktionistische und ethnomethodologische Gesellschaftstheorien betrachten in Anlehnung der Theorien von M. Weber Gesellschaft als Teil der Lebenswelt sinnhaft handelnder Individuen, die sich über Symbolsysteme orientieren. Auf einer mittleren Ebene wird Gesellschaft als überindividuelles Funktionsgefüge definiert, in dem Konkurrenz sowie Ausgleichs- und Differenzierungsbewegungen für eine soziale Dynamik sorgen und zugleich in individuell nur begrenzt verfügbaren Normen und Rollenzuschreibungen zum Ausdruck kommen, sodass Gesellschaft als sich selbst steuerndes und stabilisierendes System von Handlungsmustern verstanden wird. Schließlich treten auf einer dritten Stufe globale Gesellschaftstheorien in Erscheinung, die wie die in der Aufklärung und dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts wurzelnde Theorie des Gesellschaftsvertrags eine philosophisch-anthropologische, wertende Basis der Selbstauslegung westlicher Gesellschaften bieten (K. Popper). Fortgeschrittene Theorien stehen als Gesellschaftsmodelle unter dem Anspruch, die Betrachtungsweisen aller drei Ebenen integrieren zu können; hierzu zählen Theorien, wie sie N. Luhmann (funktionalistische Perspektive), J. Habermas (Erweiterung der auf einer Synthese marxistischer Theorie und freudscher Sozialpsychologie beruhenden »Kritischen Theorie«), N. Elias (Interpretation von Gesellschaft als Verflechtungsgefüge ungeplanter Handlungsimpulse) und P. Bourdieu (Verbindung phänomenologischer Alltagsanalyse mit erweiterten Begriffen der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie) entwickelt haben.
Gesellschaft
[von althochdeutsch sal »Raum«, möglicherweise von lateinisch solum »Grund und Boden«], Grundbegriff der Sozialwissenschaften, der seine alltags- und fachsprachliche Vielgestaltigkeit jedoch auch aus seiner Bedeutung für andere Wissenschaften bezieht. Die engste Definition findet sich im Recht, wo Gesellschaft jede privatrechtliche Personenvereinigung bezeichnet, die zur Erreichung eines bestimmten gemeinsamen Zweckes durch Rechtsgeschäft (Vertrag) begründet wird. Weitere Definitionen ergeben sich entsprechend den jeweiligen Zielsetzungen (Vereinsrecht, Handelsrecht, Unternehmensformen).
Vom etymologischen Beleg aus bedeutet Gesellschaft das Zusammenleben, die auf zeitliche Dauer angelegte Interdependenz von Menschen (Lebewesen), die durch die gemeinsame Teilhabe an einem Raum konstituiert wird, so in der althochdeutschen Bedeutung des Wortes »giselliscaft«, das heißt die »Gesellen« (die Gefolgschaft) eines Herrn, die keine Besitzgemeinschaft mit ihm unterhalten, aber am selben Ort leben. Daraus entwickelten sich die heutigen alltagssprachlichen Wendungen wie »eine Gesellschaft geben«, deren Akzent auf Verbindung und Interaktion liegt, während die räumliche Komponente im Laufe der Zeit an Bedeutung verlor. Im modernen Verständnis wird Gesellschaft zunehmend ein theoretischer, auf Beschreibung und Analyse zielender Begriff, der an der Aufgabe definiert wird, für die Interdependenz menschlichen Handelns und Verhaltens einen Bezugsrahmen bereitzustellen.
Als historisches Phänomen unterliegt die Auffassung von Gesellschaft, die in ihrer heutigen Form auf die Konzeption der modernen »bürgerlichen Gesellschaft« des 18. Jahrhunderts Bezug nimmt, ihrerseits dem geschichtlichen Wandel. Während in der Zeit zuvor der Begriff der Societas civile, eng gekoppelt an die Aristotelesrezeption und deren Wandlungen zwischen dem 13. und dem 18. Jahrhundert (M. Riedel), deutlicher in die fachsprachlich engen (juristischen, ethischen, staatsphilosophischen und anthropologischen) Kontexte eingebunden war, wird die »bürgerliche Gesellschaft« nun zu einem Leitbegriff durchaus unterschiedlicher Konzeptionen, so in der spekulativen Sozialphilosophie, die etwa bei I. Kant und J. G. Fichte die sittliche, metaphysische Begründung der Gesellschaftlichkeit des Menschen betont, oder in der »materiellen Geschichtsphilosophie« (T. Geiger), die in verschiedener Weise bei G. W. F. Hegel, A. Comte, K. Marx und H. Spencer die jeweils historisch gefasste konkrete Gesellschaft zum Ansatz ihrer Begriffsbestimmung macht, diese aber bei Hegel z. B. ihrerseits wieder in metaphysischer Spekulation absichert. Bis zum 17. Jahrhundert galt die aristotelische Vorstellung, in der die Gesellschaftlichkeit des Menschen aus seiner »geselligen«, das heißt am Leben der »Polis« orientierten Natur (Zoon politikon) abgeleitet wurde und in der Gesellschaft mit dem Staat (der äußeren Organisationsform des Zusammenlebens) gleichgesetzt wurde. Hierauf fußte die antike Sozialphilosophie ebenso wie die theologisch begründete Ordovorstellung der mittelalterlichen Philosophie, die in der Ständeordnung die göttliche Sozialordnung ausgedrückt sah. Die moderne Auffassung von Gesellschaft entstand aus dem Zerfall dieser Ordnung mit der Herausbildung der frühmodernen staatlichen Ordnungen. Sie wurde von T. Hobbes zum ersten Mal formuliert und von der Schule der schottischen Moralphilosophie weiterentwickelt (A. Ferguson verwendete als Erster den spezifischen Begriff der Civil Society). Schließlich gab die historische Differenzierung unterschiedlicher sozialer Lebenszusammenhänge, Gruppeninteressen und Weltbilder (K. Mannheim) im Zuge der Aufklärung den Blick für die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft frei. Am Ende stand die Vorstellung von Gesellschaft als einem eigenständigen, eigenen Bewegungsformen unterworfenen, von Menschen geschaffenen, innerweltlichen Rahmen und Handlungszusammenhang.
In anthropologischer Sicht erscheint Gesellschaft als eine naturgegebene Organisationsform von Geselligkeit. Unabhängig davon, ob der Mensch als instinktarmes und biologisch unzureichend ausgestattetes »Mängelwesen« (A. Gehlen) oder als weltoffenes, kreatives, spielfähiges »Überschusswesen« (J. Huizinga, M. Scheler, H. Plessner) gesehen wird, steht die Bedeutung von Gesellschaft für die Entwicklung des Menschen sowohl in individueller als auch in überindividueller, kultureller Hinsicht außer Frage (D. Claessens). Insoweit als Gesellschaft das Organisationsfeld der zwischenmenschlichen Interaktion, der kollektiven Produktion und Reproduktion, der Naturaneignung, der Abgrenzung nach außen, aber auch die Basis für die Entfaltung kultureller Verhaltensmuster, für die Ausbildung von Kommunikationssystemen, Weltdeutungen und Selbstbildern bildet, bietet sie die Voraussetzung für die Menschwerdung der Hominiden. Derselbe Sachverhalt gilt für die Sozialisation des Individuums, die so als zweite Geburt des Menschen (T. Parsons) verstanden werden kann. Je nach dem Stand der sozialen Evolution und Differenzierung und je nach dem Grad der Instinktreduzierung und humanen Individualisierung, das heißt der Ersetzung der Naturprogramme für Verhalten durch soziale Muster, kommt dabei dem Prozess der Institutionenbildung eine zentrale Bedeutung zu, auch wenn hier die Deutung dieses Vorgangs zwischen der Konstatierung zunehmender sozialer Kontrolle und »Verkettung« (N. Elias) und der Beobachtung zunehmender Entlastung und Differenzierung (Gehlen, N. Luhmann) schwankt. Unter den Bedingungen zunehmender Vergesellschaftung entstehen so neue Räume menschlicher Freiheit und Kontingenz in einem.
Formen der Gesellschaft
Die Herausbildung von Klassifikationen zur begrifflichen Erfassung verschiedener Gesellschaftsformen ist seit dem 19. Jahrhundert an die Ausbildung der einzelnen Wissenschaften und innerhalb dieser nicht zuletzt an ideologische Vorentscheidungen geknüpft. So orientiert sich die auch in den Wirtschaftswissenschaften gebräuchliche Einteilung der Gesellschaften an Phasen, die nach dem Stand der jeweiligen Entwicklung und Bedeutung einzelner Produktions- und Distributionsbereiche definiert werden und in den Bezeichnungen Agrargesellschaft, früh-, hoch-, spät- und postindustrielle Gesellschaft (auch Massenkonsumgesellschaft) ihre begriffliche Entsprechung finden. Diese Modelle enthalten implizit eine Absage an die v. a. von Marx entwickelte Konzeption der Klassengesellschaft, die je nach dem Stand der Produktionskräfte und der Form der Herrschaftsorganisation als Sklavenhalter-, Feudal- und bürgerliche Gesellschaft bestimmt wird, an die sich nach der revolutionären Aufhebung der Klassenspaltung sozialistische und kommunistische Gesellschaften anschlössen. Von besonderer Bedeutung ist seit dem 19. Jahrhundert der Begriff der »bürgerlichen Gesellschaft« geblieben, der über eine rechtlich-staatliche Organisationsform hinausreicht und heute Gesellschaft als umfassenden Ort der individuellen Selbstentfaltung eigenständig sich verstehender Subjekte bestimmt und insoweit teils zutreffend, teils ideologisch überakzentuiert einen universalen Differenzierungsprozess beschreibt.
Fragt man nach dem Grad der Modernisierung (Parsons, S. N. Eisenstadt, D. Lerner, W. Zapf), besonders im Hinblick auf Gesellschaften der Dritten Welt, ist der Begriff Entwicklungsgesellschaft (auch Übergangsgesellschaft) gebräuchlich, während »kritische« Soziologen die Situation postkolonialer Gesellschaften mit dem Konzept der strukturellen Heterogenität (D. Nohlen, R. Sturm) zu erfassen suchen.
Von anderer Art als diese Phasen- oder Stadienmodelle sind idealtypisch aufgestellte Oppositionsmodelle, die entweder durch ein Bündel von Merkmalen oder auch durch die Verallgemeinerung einzelner Merkmale definiert werden (z. B. Agrargesellschaft und Industriegesellschaft, traditionelle und moderne Gesellschaft, offene und geschlossene Gesellschaft, Gesellschaft und Gemeinschaft).
Von allgemeinerer Geltung ist dagegen der Begriff der unterentwickelten Gesellschaft, der sich aus einem Bündel von Merkmalen (ungenügende Versorgung mit Nahrungsmitteln, Gesundheitsdiensten, Bildung und Arbeit, fehlende politische Partizipation und niedriger Lebensstandard) bestimmen lässt.
Theorien der Gesellschaft
Theorien der Gesellschaft befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen metaphysisch, historisch oder anthropologisch fundierten Substanzaussagen und wissenschaftstheoretisch orientierten, formalisierten Modellen, die Gesellschaft jeweils nur als Bezugsbegriff in einem Referenzsystem verstehen.
Phänomenologische, interaktionistische und ethnomethodologische Gesellschaftstheorien (A. Schütz, G. H. Mead, H. Garfinkel) betrachten in Aufnahme der von M. Weber gebildeten Kategorie des sozialen Handelns Gesellschaft als Teil der Lebenswelt sinnhaft handelnder und sich über Symbolsysteme orientierender Individuen. Auf einer mittleren Ebene wird im Anschluss an V. Pareto und G. Simmel Gesellschaft als überindividuelles Funktionsgefüge verstanden, in dem Konkurrenz, Ausgleichs- und Differenzierungsbewegungen für eine soziale Dynamik sorgen und sich zugleich in für das Individuum nur begrenzt verfügbaren Normen und Rollenzuschreibungen niederschlagen; Gesellschaft wird in diesem Zusammenhang als sich selbst steuerndes und sich selbst stabilisierendes System von Handlungsmustern verstanden (Parsons, Luhmann), das durch zunehmende Binnendifferenzierung seine Stabilität zu erhöhen vermag. Auch É. Durkheims Betrachtung des Ganzen einer Gesellschaft unter dem Aspekt des in ihr organisierten Kollektivbewusstseins gehört zu den Theorietypen dieser Ebene. Schließlich treten auf einer dritten Stufe globale Gesellschaftstheorien in Erscheinung, die wie die in der Aufklärung und dem Liberalismus des 19. Jahrhunderts fußende Theorie des Gesellschaftsvertrags eine philosophisch-anthropologische, wertende Basis der Selbstauslegung westlicher Gesellschaften bieten (K. Popper); auf gleicher Ebene befindet sich die ausgearbeitete marxistische Gesellschaftstheorie insofern, als sie auf der Basis der Ökonomie historische, sozialphilosophische und anthropologische Betrachtung integriert.
Fortgeschrittene Theorien, so bei Luhmann (in funktionalistischer Perspektive), bei J. Habermas (in der Erweiterung der auf einer Synthese marxistischer Gesellschaftstheorie und freudscher Sozialpsychologie beruhenden »kritischen Theorie« um die Forschungsergebnisse der modernen Sprachphilosophie; Sprechakt-Theorie), bei N. Elias (Interpretation von Gesellschaft als Verflechtungsgefüge ungeplanter Handlungsimpulse) und bei P. F. Bourdieu (Verbindung phänomenologischer Alltagsanalyse mit erweiterten Begriffen der marxistischen Kritik der politischen Ökonomie), stehen als Gesellschaftsmodelle unter dem Anspruch, die Betrachtungsweisen aller drei Ebenen integrieren zu können.
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
bürgerliche Gesellschaft · Dienstleistungsgesellschaft · Gemeinschaft · Grundwerte · Gruppe · Herrschaft · Industriegesellschaft · Interpenetration · Klasse · Massengesellschaft · postindustrielle Gesellschaft · Schichtung · Sozialisation · Soziologie · Staat · Subkultur · Zivilgesellschaft
F. Tönnies: Gemeinschaft u. G. (1887, Neuausg. 1979);
G. Simmel: Soziologie (1908, 61983);
M. Weber: Wirtschaft u. G. (1921, 51985);
W. W. Rostow: Stadien wirtschaftl. Wachstums (21967);
D. Lerner: The passing of traditional society (41968);
D. Claessens: Instinkt, Psyche, Geltung (21970);
Theorie der G. oder Sozialtechnologie, bearb. v. J. Habermas u. a., 3 Bde. (1971-74);
J. K. Galbraith: Die moderne Industrie-G. (Neuausg. 1974);
A. Etzioni: Die aktive G. (a. d. Amerikan., 1975);
T. Parsons: Das System der modernen Gesellschaften (a. d. Amerikan., 21976);
A. Bellebaum: Soziologie der modernen G. (21978);
F. Fürstenberg: Die Sozialstruktur der Bundesrep. Dtl. (61978);
D. Bell: Die nachindustrielle G. (a. d. Amerikan., Neuausg. 1979);
P. Bourdieu: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnolog. Grundl. der kabyl. G. (Neuausg. 1979);
R. Linton: Mensch, Kultur, G. (a. d. Engl., 1979);
K. Popper: Die offene G. u. ihre Feinde, 2 Bde. (61980);
Alltagswissen, Interaktion u. gesellschaftl. Wirklichkeit, hg. v. der Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (51981);
S. N. Eisenstadt: Revolution u. die Transformation von G. (a. d. Amerikan., 1982);
D. Nohlen u. R. Sturm: Über das Konzept der strukturellen Heterogenität, in: Hb. der Dritten Welt, Bd. 1 (1982);
R. Sturm: Soziale Systeme (1984);
B. Schäfers: Sozialstruktur u. Wandel der Bundesrep. Dtl. (41985);
P. A. Berger: Entstrukturierte Klassen-G.? (1986);
A. Gehlen: Urmensch u. Spätkultur (51986);
J. Ritsert: G. Einf. in den Grundbegriff der Soziologie (Neuausg. 1988);
J. Ritsert: G. Ein unergründl. Grundbegriff der Soziologie (2000);
A. Schütz: Der sinnhafte Aufbau der sozialen Welt (61993);
P. L. Berger u. T. Luckmann: Die gesellschaftl. Konstruktion der Wirklichkeit (Neuausg. 34.-35. Tsd. 1994);
N. Luhmann: Die G. der G.(Neuausg. (1998);
N. Elias: Die G. der Individuen (41999);
A. Honneth: Die zerrissene Welt des Sozialen. Sozialphilosoph. Aufsätze (21999);
J.-F. Lyotard: Das postmoderne Wissen (a. d. Frz., Wien 41999);
Klass. G.-Begriffe der Soziologie, hg. v. G. Kneer u. a. (2001).
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Ge|sẹll|schaft, die; -, -en [2: mhd. geselleschaft, ahd. giselliscaft = freundschaftliches Verbundensein, Freundschaft; 4: mhd. = kaufmännische Genossenschaft, Handelsgesellschaft]: 1. Gesamtheit der Menschen, die unter bestimmten politischen, wirtschaftlichen u. sozialen Verhältnissen zusammen leben: die bürgerliche, sozialistische, klassenlose G.; die G. verändern wollen; er ist ein nützliches Glied der G.; die Stellung der Frauen in der G. 2. a) das Zusammensein, Begleitung, Umgang: <o. Pl.> das ist keine G. für dich; jmds. G. fliehen, meiden; er sucht ihre G. (möchte mit ihr zusammen sein); in schlechte G. geraten; umgeben von gedämpft konversierender guter G., deren Blicke jede Neugier vermieden (Th. Mann, Krull 267); *jmdm. G. leisten (bei jmdm. sein, sich jmdm. anschließen, damit er nicht allein ist); sich in guter/bester G. befinden (bei etw., was einem widerfährt, was man tut od. sagt, nicht der Einzige sein, sondern auf andere, oft bekannte Persönlichkeiten, verweisen können, denen dasselbe widerfahren ist, die dasselbe getan od. gesagt haben [wodurch Negatives abgeschwächt u. Positives verstärkt wird]): Dort (= in den USA) profitiert man von dem guten Ruf deutscher Fahrzeuge und befindet sich in guter G. mit den Konkurrenten, bei denen es ähnlich steil aufwärts geht (Tagesspiegel 4. 12. 98, 23); zur G. (nur aus einer die Geselligkeit fördernden Haltung heraus od. um jmdm. einen Gefallen zu tun): zur G. ein Bier mittrinken; Mit Eifer trank er das Heilwasser ..., begleitet von seiner Tochter, die übrigens ganz gesund war und nur zur G. mittrank (Th. Mann, Hoheit 127); b) größere gesellige Veranstaltung: eine geschlossene G. (nur einem bestimmten Kreis zugängliche Veranstaltung); eine G. geben; sich auf einer G. kennen lernen; er wurde zu der G. nicht eingeladen; c) Kreis von Menschen, die gesellig beisammen sind: eine fröhliche, laute, langweilige G.; ich will von der ganzen G. (ugs.; von allen diesen Leuten) nichts mehr wissen. 3. durch Vermögen, Stellung [u. Bildung] maßgebende obere Schicht der Bevölkerung; gesellschaftliche Oberschicht: die Damen der G.; jmdn. in die G. einführen; zur G. gehören. 4. a) Vereinigung mehrerer Menschen, die ein bestimmtes Ziel od. gemeinsame Interessen haben: eine literarische G. gründen; die G. Jesu (kath. Kirche; der Jesuitenorden); die ehrenwerte G. (verhüll.; die Mafia); b) (Wirtsch.) Vereinigung mehrerer Personen od. einzelner Firmen zu einem Handels- od. Industrieunternehmen: eine bankrotte G.; G. mit beschränkter Haftung (Kapitalgesellschaft, bei der die ↑Gesellschafter 2 nur mit ihrer Einlage haften; Abk.: GmbH); eine G. gründen.
Universal-Lexikon. 2012.