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öffentliche Meinung
Stimmung in der Öffentlichkeit; veröffentlichte Meinung (umgangssprachlich); das öffentliche Klima

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öffentliche Meinung,
 
Begriff aus der politischen Sprache, der neben historischen, publizistischen und sozialwissenschaftlichen Bezügen auch eine normative Ebene im Selbstverständnis und in den Gestaltungsmöglichkeiten moderner Industriegesellschaften und liberaler Politik bezeichnet und so zu einer zentralen Kategorie politischer Analyse und Selbstreflexion in der Moderne geworden ist. Dabei variiert die Bedeutung nicht nur in historischen Zusammenhängen, sondern auch in den Einzeldisziplinen (politische Theorie, Publizistik, Sozialpsychologie, Soziologie, politische Kulturforschung) und in unterschiedlichen theoretischen Fragestellungen und Begriffsbildungen innerhalb der einzelnen Arbeitsfelder. Zugleich hat der Begriff Eingang in die Alltagssprache und das Selbstverständnis der Bürger gefunden und spiegelt damit nicht nur die Verbreitung von Massenmedien und die wachsenden Teilnahmemöglichkeiten der Einzelnen an gesellschaftlicher Kommunikation, sondern auch gewandelte Partizipations- und Interaktionsvorstellungen in demokratischen Gesellschafts- und Staatskonzeptionen, die sich über politische Bildung und Medien bis auf die Ebene des Alltagsbewusstseins durchgesetzt haben. In normativer Hinsicht gehört öffentliche Meinung so in Verbindung mit den menschen- und bürgerrechtlich fundierten Rechten auf Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 19 der UNO-Menschenrechtserklärung von 1948, Art. 5 GG, Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention) zum Grundbestand universal postulierter westlicher Demokratie- und Pluralismusvorstellungen, auf die sie manche Kritiker westlicher Kultur allerdings auch einzuschränken suchen. Tatsächlich spiegelt die Begriffsgeschichte zunächst auch die Entwicklungsbedingungen und -stationen der Aufklärung des 18. Jahrhunderts und deren gesellschaftliche und historische, nicht zuletzt rechtlich und technisch bedeutsame Grundlagen wider und fordert dadurch zugleich zu einer Reflexion der darin angelegten Problemstellungen und Widersprüche heraus (Postmoderne, Risikogesellschaft, »zweite Moderne«).
 
Vier Bedeutungsbereiche lassen sich im heutigen Gebrauch unterscheiden: 1) In allgemeiner Weise bezeichnet öffentliche Meinung zunächst die Gesamtheit aller von den Mitgliedern einer Gesellschaft geäußerten Einstellungen, Vorstellungen und Ansichten. 2) Unter öffentlicher Meinung können alle Kommunikationsbeiträge verstanden werden, die von Massenmedien verbreitet werden und dadurch gesellschaftliche Resonanz hervorrufen können. 3) In politischen Theorien und Ansätzen politischer Bildung bezeichnet öffentliche Meinung die - normativ herausgehobene - Ebene gesellschaftlicher Kommunikation, die es dem Einzelnen erlaubt, seine Möglichkeiten zur Mitsprache, zur Kontrolle und Kritik des öffentlichen Lebens zu äußern. Zugleich stellt öffentliche Meinung damit eine der zentralen Einflussebenen beziehungsweise Prägemöglichkeiten des Einzelnen durch die Träger der öffentlichen Meinung und andere gesellschaftlichen Kräfte dar (öffentliche Meinung als Sozialisationsinstanz, Bildungsmedium, Orientierungsgröße). 4) Als Bezeichnung einer sozialgeschichtlich bedeutsamen Legitimationsbasis der bürgerlichen Emanzipation des 18. Jahrhunderts stellt der Begriff - insoweit sich heutige Modelle politischer Ordnung an der idealtypischen Konstruktion einer Konsensherstellung durch den öffentlichen Vernunftgebrauch freier und gleicher Bürger orientieren - ein immer noch aktuelles Begründungsmodell politischer Legitimität dar.
 
 Geschichte und Diskussion des Begriffs
 
Der Begriff tritt Ende des 18. Jahrhunderts im Deutschen als Übersetzung des französischen »opinion publique« beziehungsweise des englischen »public opinion« auf und wird u. a. durch die Publizistik J. G. A. Forsters und die Debatten um die Französische Revolution schnell verbreitet. Dabei bezeichnet der Begriff - zunächst im Rahmen eines traditionellen Politikverständnisses - eine Meinung, die sich auf »das, was mit den Geschäften und der Regierung des Staates zu tun hat« (K. Lenk, M. Stolleis), bezieht, wird aber bereits auch als Ausdruck beziehungsweise Sammlung von Urteilen verstanden, »die jeder Einzelne zufolge seines eigenen Nachdenkens oder seiner Erfahrung über diesen Gegenstand gefällt hat« (C. Garve). Indem öffentliche Meinung damit auf den Gegensatz »öffentlich - privat«, der die ältere Opposition »öffentlich - heimlich/geheim« ablöst, Bezug nimmt, wird sie selbst als Teil jener in der europäischen Aufklärung und in der Folge im europäischen Liberalismus wirksamen bürgerlichen Emanzipationsbewegung erkennbar, die das vordem durch den absolutistischen Staat geschaffene politische Feld mit dem Anspruch auf die Realisierung allgemeiner Freiheit und Gleichheit im Namen der Vernunft besetzt. Bezeichnenderweise unterscheidet I. Kant in seiner berühmten Beantwortung der Frage »Was ist Aufklärung?« von 1784 den »öffentlichen Gebrauche der eigenen Vernunft«, nämlich »denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht«, von einem »Privatgebrauch«, »den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten oder Amte von seiner Vernunft machen darf«. Damit vertritt Kant die Vorstellung, die interessengeleitete, von staatlichen oder beruflichen Funktionen begrenzte Meinungsäußerung sei Privatsache und dürfe insoweit auch beschränkt werden, während der Vernunftgebrauch im allgemein menschlichen Bereich gerade die öffentliche Sphäre des von Partikularinteressen entlasteten Publikums konstituiere, weswegen hier dem öffentlichen Räsonnement keine Grenzen auferlegt werden könnten. Das Besondere der öffentlichen Meinung besteht in diesem Verständnis darin, dass sie sich einerseits auf Sachverhalte bezieht, die von einem allgemeinen Interesse sein können, dass sie aber andererseits prinzipiell allen am gesellschaftlichen Leben beteiligten Bürgern (zunächst also z. B. nicht den Frauen) offen steht und dass sie sich schließlich, indem sie öffentlich geäußert wird, der Kritik und Kontrolle, auch der Korrektur durch andere Teilnehmer an einem als öffentliche Meinung verstandenen Informationsaustausch aussetzt. Dieses Konzept konnte, solange sich das Modell auf »kleine diskutierende Zirkel, in denen Menschen sich als Menschen begegnen und annehmen können« (N. Luhmann), bezog, als funktionsfähig und glaubwürdig angesehen werden. In dem Maße, in dem sich die moderne Gesellschaft allerdings zu einem Ensemble unterschiedlicher sozialer Gruppierungen und Interessen ausdifferenziert, gilt diese Voraussetzung nicht mehr unumstritten. Ö. M. stellt in einer modernen Gesellschaft vielmehr eine Kommunikationsebene für »die Gesamtheit mannigfacher, oft sich widersprechender Ansichten, Wünsche und Absichten der Mitglieder einer Gesellschaft« (O. Rammstedt) dar oder kann noch formaler »als institutionalisierte Themenstruktur des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses« (Luhmann), d. h. als Feld bestimmt werden, auf dem Themen für die Aufmerksamkeit der Gesellschaftsmitglieder vorgestellt und damit für politische Entscheidungsprozesse vorbereitet werden. Umstritten ist weiterhin, ob damit öffentliche Meinung zu einem Teilgebiet gesamtgesellschaftlicher Interaktion mit einer spezifischen, begrenzten Funktion (Themenselektion, Aufmerksamkeitsgewinnung, Vorbereitung von Entscheidungen, möglicherweise aber auch deren Überflüssigmachen oder Verdecken) geworden ist oder ob öffentliche Meinung, wie die Aufklärer wollten, eine in der Kommunikationsstruktur entwickelte diskursive Vernunft bereitstellt, die dann auch zum Maßstab anderer gesellschaftlicher Teilbereiche werden kann. Wer an der letzteren Position festhält, hat damit die Möglichkeit, mit dem Begriff der Manipulation Täuschungshandlungen auf dem Feld der öffentlichen Meinung zu kritisieren. Demgegenüber verliert der Begriff der Manipulation seine moralisierend-kritische Bedeutung, wenn öffentliche Meinung als Bereich der Themenfindung und Aufmerksamkeitsgewinnung in einem auf Entscheidungen angewiesenen politischen Rahmen angesehen wird.
 
 Öffentliche Meinung in Geschichte und Gegenwart
 
Auch vormoderne Gesellschaften kennen die mit dem Begriff öffentliche Meinung angesprochenen Erscheinungen kollektiv sich artikulierender Einstellungen, Ansichten und Forderungen. Begriffe wie griechisch »doxa«, lateinisch »vox populi«, »fama«, »rumor« und »opinio«, deutsch »Meinung« und »Geschrei« nehmen auf entsprechende Kollektiverfahrungen Bezug, wie sie in der antiken Städtekultur oder in den Großgruppenprozessen der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Gesellschaftsgeschichte in Erscheinung getreten sind. Sie beschreiben die Macht entsprechender Vorstellungen (»Vox populi vox Dei«, Die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes; B. Pascal: »L'opinion publique est, comme dit le proverbe, la reine du monde«, Die öffentliche Meinung ist, wie das Sprichwort sagt, die Königin der Welt), weisen ihnen aber überwiegend einen zweifelhaften Charakter zu. Ö. M. gilt ebenso wie Masse selbst und andere Massenphänomene als »unseriös, unstet und diktatorisch« (L. Hölscher), als Ausdruck für die Kontingenz der Welt.
 
Eine Neubewertung und eindeutig positive Bestimmung setzt mit der Aufklärung ein, die ihrerseits mit den Emanzipationsbestrebungen bürgerlicher Schichten korreliert. Ein besonderer Rang, v. a. hinsichtlich der demokratietheoretischen und politischen Dimensionen des Begriffs, kommt J. Locke zu, der der öffentlichen Meinung neben dem göttlichen und dem staatlichen Recht den Platz einer dritten Quelle der Gesetze einräumt. Locke ordnet dabei im Vorgriff auf Kant die öffentliche Meinung nicht dem staatlichen, durch den absolutistischen König bestimmten Bereich höfischer Repräsentation und politisch inszenierter Öffentlichkeit zu, sondern dem gleichsam »privaten« Bereich der Gesellschaft, dem Feld individueller Kommunikation und Urteilsbildung. Er kann dadurch der öffentlichen Meinung das Vermögen zuschreiben, ihre Normen, die auf die Verwirklichung allgemeiner Ziele ausgerichtet erscheinen, indirekt und unter Berufung auf die besseren Argumente, gewaltlos und ohne partikulare Interessen auszubreiten. In historischer und namentlich sozialgeschichtlicher Perspektive sind diese Bestrebungen mit dem Aufstieg bürgerlicher Schichten im Rahmen der mit dem Absolutismus verbundenen Modernisierung ökonomischer und administrativer Strukturen verknüpft, ferner mit der Zurückdrängung staatlicher und kirchlicher Zensur sowie v. a. mit der Ausbildung einer Lese- und Geselligkeitskultur, wie sie sich seit dem 17. Jahrhundert über Lesegesellschaften, Logen, Geheimgesellschaften von der Art der Illuminaten, Akademien, Zeitschriften und nicht zuletzt über die Ausweitung der Buchproduktion (Vergrößerung des Lesepublikums) vollzieht. Keimzellen dieser Art »öffentlichen Vernunftgebrauchs« sind die Salons im Umfeld des französischen Königshofes ebenso wie die sich im 18. Jahrhundert in London verstärkt ausbreitenden Kaffeehäuser, Themen sind neben ästhetischen und philosophischen v. a. solche der bürgerlichen Lebensführung (moralische Wochenschriften), die Natur- und Menschenrechtsdiskussion (J.-J. Rousseau), Verfassungsfragen (»The Federalist Papers«, 1787/88) sowie am Ende des 18. Jahrhunderts die Frage der Legitimität der Französischen Revolution. Sowohl die politische Agitation in den Befreiungskriegen gegen Napoleon I. als auch das Aufkommen nationalistischer Begeisterung in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, ebenso aber die Verbreitung demokratischer und sozialreformerischer Ideen im Vormärz spielen sich wesentlich im Bereich der öffentlichen Meinung ab. Ö. M. wird zum Feld der Auseinandersetzungen von Weltanschauungen, politischen Programmen, Gesellschaftskritik und politische Propaganda. Sie wird darüber hinaus seit der Wende zum 20. Jahrhundert zum Objekt technologischer Neuerungen und gewinnorientierter Investitionen, insbesondere mit dem Aufkommen der Massenmedien. Durch die Anbindung an spezifisch bürgerliche Emanzipations- und Gesellschaftsvorstellungen teilt öffentliche Meinung im 19. und 20. Jahrhundert allerdings auch die Differenzierungen, Ambivalenzen und Entwicklungslinien der sozialen und politischen Entwicklung selbst. War das bürgerliche Gesellschaftsmodell im 19. und in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts noch mit dem antibürgerlichen Konzept einer proletarischen Sozialbewegung und entsprechender Gesellschaftskritik konfrontiert, was auch zur Ausbildung spezifischer gegeninteressierter Formen »proletarischer Öffentlichkeit« (A. Kluge, O. Negt) führte beziehungsweise führen sollte, so bilden die zumindest seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zunehmend pluraler werdenden Sozialverhältnisse auch das Bedingungsgefüge für die Aufsplitterung öffentlicher Meinung in eine Vielzahl von Meinungsträgern und -vermittlern, von Meinungsagenturen und Kritikern der öffentlichen Meinung, die diese nur noch als »veröffentlichte Meinung« (mit der Gefahr einer einseitigen Instrumentalisierung) betrachten, ohne dass dadurch die politische Bedeutung der öffentlichen Meinung gänzlich zum Verschwinden gebracht würde. Gerade angesichts der Differenzierung der Medien stellt öffentliche Meinung vielmehr nicht nur für Rezipienten, sondern auch für die politischen Akteure noch immer eine zentrale Bezugsgröße dar, die sich in Marketingstrategien ebenso wieder findet wie in Versuchen, politische Ereignisse und Programmatiken mediengerecht zu präsentieren, um durch solche »Medienereignisse« (»media events«; D. Dayan, E. Katz) öffentliche Meinung zu beeinflussen. Der hier getriebene Aufwand belegt zwar die fortdauernde Bedeutung der öffentlichen Meinung als Integrationsmedium und Thematisierungsforum für moderne Gesellschaften, zugleich aber sind der Grad der Verbindlichkeit der öffentlichen Meinung und ihre konkreten Wirkungen für die politische und soziale Entwicklung dieser Gesellschaften umstritten.
 
Seit dem 19. Jahrhundert haben die Entwicklung von Märkten, Konsum und Industrieproduktion, von Bildungs- und Mobilitätschancen sowie die Ausweitung von politischen Partizipationsmöglichkeiten (Wahlrecht) zur Teilnahme immer weiterer Kreise der Bevölkerung am öffentlich-gesellschaftlichen Leben geführt. Dies hat nicht nur eine Erweiterung des die öffentliche Meinung vertretenden Publikums und der entsprechenden Produzenten bewirkt, sondern zugleich die Aufspaltung eben dieses Publikums in unterschiedlich orientierte und mächtige Interessengruppen und deren Weltanschauungen (Ideologien) mit sich gebracht. Besonders die Massenmedien mit ihrer v. a. kommerziellen Interessen dienenden Orientierung haben nicht nur neue Konsumenten- (und Produzenten-)Kreise an das Feld öffentliche Meinung herangeführt, sondern damit auch die Differenzierung und Aufsplitterung dessen, was unter öffentlicher Meinung gefasst werden soll, vervielfacht. »Die Öffentlichkeit. .. wird zum Teil der Interessenkonkurrenz« (J. Habermas), zum einen auf dem Feld einer profitorientierten Instrumentalisierung öffentlicher Meinung im Bereich der Medien und Konzerne, zum anderen - besonders in totalitären Zusammenhängen - auf dem Gebiet politischer Propaganda und Agitation, auf dem u. a. die Auseinandersetzung der Systeme in der Zeit des Kalten Kriegs geführt wurde und das z. B. auch für das Zustandekommen und die Brutalität des jugoslawischen Bürgerkriegs seit 1991 erhebliche Verantwortung trägt. Diese Tendenzen zur Pluralisierung, Instrumentalisierung und Kommerzialisierung führen zu einer Delegitimierung der öffentlichen Meinung als Vernunft- und Regelinstanz und zur Ersetzung der noch geschichtsphilosophisch bestimmten Begriffsinhalte durch deskriptive, von den Vorgaben empirischer Meinungsforschung aus gebildete Merkmale. In dieser Sicht kann die Funktion öffentlicher Meinung nur darin liegen, für eine begrenzte Zeit Themen vorzugeben, die Gegenstand politischer Diskussion und politischen Handelns sein können, aber keineswegs sein müssen (»Kommunikationslatenz«; Luhmann).
 
 Kontroverse Perspektiven
 
Die Erforschung öffentlicher Meinung beschäftigt sich unter dieser Perspektive v. a. damit, die Regeln, nach denen Themen besetzt und entwickelt werden, die Bedeutung von Machtgruppen im Feld der öffentlichen Meinung (Meinungsführer), die Prozesse der Meinungsbildung und deren Verlauf, auch das Überlagern unterschiedlicher Themen usw. zu erforschen. Dies hat u. a. zu der Einsicht geführt, dass vielfältige Erscheinungen des politischen Lebens in Abhängigkeit von den innenpolitischen Strömungen des »Meinungsklimas« gesehen werden müssen. V. a. bei der Analyse von Außenpolitik hat diese Orientierung die Akzente verschoben, denn nun erscheinen zahlreiche Schritte auf diesem Gebiet als Reaktionsformen auf innenpolitische Probleme und Konflikte, insbesondere zur Befriedigung der öffentlichen Meinung in der jeweils eigenen Gesellschaft. Andererseits kann die Präsenz der durch Massenmedien vermittelten Fakten auch zu einer Korrektur von Einstellungen in der öffentlichen Meinung und in der Folge zu Veränderungen politischer Entscheidungen führen. In der Auseinandersetzung um die Beeinflussung öffentlicher Meinung gingen grundlegende Anregungen für die kontroverse Diskussion besonders von Untersuchungen darüber aus, in welcher Weise Aufmerksamkeit und Tabuisierung gegenüber bestimmten Themen durchgesetzt werden können (»Schweigespirale«), wie diese Bemühungen sich auswirken (zum Teil kontraproduktiv, da Nichtberichten Misstrauen schüren kann), welche Rolle Journalisten und Medienorganisationen spielen. Wo im Modell des 18. Jahrhunderts Individuen miteinander im Gespräch gedacht waren, stehen sich nunmehr hoch organisierte und mit großer Finanzkraft ausgestattete »Meinungsproduzenten« im Bereich der öffentlichen Meinung gegenüber, was zu einer Entmündigung der Teilnehmer, zu neuer Konkurrenz der Anbieter oder aber zur Trivialisierung und zum Bedeutungsschwund der öffentlichen Meinung führen kann. Für jede dieser Positionen gibt es Belege. Sicherlich sind die Individuen, wollten sie noch die Rolle der kritischen Gesprächsteilnehmer im Sinne der Aufklärungsgesellschaften wahrnehmen, überfordert, sodass »anstelle eines nicht mehr intakten Publikums individuell verkehrender Privatleute ein Publikum der organisierten Privatleute« (Habermas) in Erscheinung tritt. In der Folge aber bilden sich damit neue Interessengruppen, die nun ihrerseits daran beteiligt sind, öffentliche Meinung in ihrem Sinne, möglicherweise also im Dienste demonstrativer, manipulativer, kommerzieller und/oder kritischer Information zu bestimmen.
 
Solange an der Geltung einer liberalen, auf Wahlrecht, gleichberechtigten Partizipationschancen, Gewaltenteilung und -kontrolle aufbauenden Demokratie festgehalten wird, steht öffentliche Meinung gleichwohl unter dem Anspruch, ein Forum gesamtgesellschaftlicher Sinndiskussion, der Kontrolle, der Kritik, aber auch der Kooperation sozialer und politischer Akteure als »vierte Gewalt« zu sein und damit letztlich gesellschaftliche Integration zu schaffen. Dieses Modell wird allerdings erheblich verzerrt sowohl durch die politische Selektion der Journalisten und den Einfluss von Medienkonzernen, Public-Relations-Agenturen und Werbung als auch durch die Auseinandersetzungen um die »Ausgewogenheit« von Sendungen und Stellungnahmen sowie durch die Orientierung am politischen Proporz in der Ämterhierarchie von öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Andererseits hat die Ausweitung von Massenmedien in Verbindung mit erweiterten Bildungs- und Mobilitätschancen Informationsdefizite behoben, indem auch gegeninteressierte Positionen zu Wort kommen können (allerdings unter mannigfachen Schwierigkeiten). Bereits die Auseinandersetzungen am Ende des Ersten Weltkriegs um die Ächtung des Krieges und das Selbstbestimmungsrecht der Völker fanden im Hinblick und unter Berufung auf die öffentliche Meinung der verschiedenen Völker, ja der Weltöffentlichkeit statt. Völkerbund, UNO und zahlreiche politische Initiativen für Menschenrechte, Umweltschutz, Frieden, Gerechtigkeit wenden sich an das Forum der öffentlichen Meinung ebenso wie zahlreiche Initiativen »von unten«. Selbsthilfegruppen, Umwelt- oder Menschenrechtsorganisationen leben vom Vertrauen in die Möglichkeiten, öffentliche Meinung zu mobilisieren; sie sind damit allerdings auch an die Struktureigentümlichkeit öffentlichen Meinung in einer entwickelten Massenmediengesellschaft gebunden: Zerstörungen von Lebensmöglichkeiten sind wie die Proteste dagegen gleichermaßen »symbolisch vermittelt« und müssen symbolisch vermittelt werden.
 
Während diese kritisch-reflexive Position letztlich noch daran festhält, dass öffentliche Meinung »in einer antagonistischen Gesellschaft, solange sie nicht zur totalitären übergegangen ist, das Schlimmste verhindern kann« (T. W. Adorno), stellt in einer funktionalistischen Betrachtung öffentliche Meinung eine evolutionäre, d. h. selbst historische Erscheinung dar, die zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine entsprechende Lage des Gesellschaftssystems angemessen erscheint. Dies trifft auf das Entwicklungsmodell bürgerlicher Gesellschaften zu, in denen die Gesellschaft aufgrund der ihr eigenen funktionalen Differenzierung ihre weitere Entwicklung nicht mehr allein definitiven politischen Entscheidungen überlassen kann, sondern ein Teilsystem, die öffentliche Meinung, einrichten muss, um in dieser labileren Struktur eine von direkten Entscheidungszwängen entlastete Zieldiskussion führen zu können. Ö. M. stellt in dieser Sichtweise ein für diesen Gesellschaftstyp charakteristisches Erprobungsfeld bereit, ohne dass ihr damit eine Notwendigkeit zukommt. Gerade in der Ausweitung des Feldes öffentliche Meinung auf alle Teilbereiche kann sogar die Gefahr gesehen werden, dass damit in zunehmendem Maße »die Vorstellungswelt der Öffentlichkeit durch eine private Vorstellungswelt überlagert« wird: »Auf der Basis von Gefühlsregungen betreiben die Menschen öffentliche Angelegenheiten, mit denen angemessen nur auf der Grundlage von nichtpersonalen Beziehungen umgegangen werden kann« (R. Sennett).
 
Während Sennett so in kritischer Absicht darauf aufmerksam macht, dass die Ausweitung öffentlicher Meinung nach den Maßstäben der »zum Publikum versammelten Privatleute« (Habermas) letztlich Öffentlichkeit als Bezugsfeld öffentliche Meinung zerstören kann, sehen pessimistischere Deutungen das Ende der öffentlichen Meinung dadurch gegeben, dass das Publikum durch die Massenmedien in eine Menge von »Massen-Eremiten« (G. Anders) zerfällt, die ohnmächtig die Produkte einer ins Haus gelieferten Welt konsumieren; in ähnlicher Perspektive, allerdings mit der Heiterkeit des Zynikers, sieht J. Baudrillard das Ende der öffentlichen Meinung darin begründet, dass die Welt im Zeitalter der Massenmedien und deren technische Innovation lediglich als »Simulacrum«, als ein »Schein- und Truggebilde«, wahrgenommen werden kann. Ö. M. ist demnach, wie die Welt, auf die sie sich bezieht, ein Konsumprodukt und Artefakt. Tatsächlich bezieht öffentliche Meinung ihren Inhalt zunehmend von den bereits veröffentlichten Meinungen und Produkten. An dieser Stelle »Gifte« und »Gegengifte« (U. Beck) unterscheiden zu können, fällt in das Gebiet der Kritik und schließt damit an die Vorstellung der Aufklärung vom kritisch räsonierenden Menschen an; ob dieser als Idee, Regulativ, Realität oder ideologisches Konstrukt aufzufassen ist, stellt dabei selbst eines der zentralen Themen auf dem Feld der öffentlichen Meinung dar. Hier sind als Akteure in jüngster Zeit Organisationen, Gruppen und Beziehungsmuster (»soziale Netzwerke«) in den Blick getreten, die unterhalb der gesamtgesellschaftlichen Oberfläche agieren und hier als Orientierungsrahmen individuellen Mediengebrauchs teils komplementäre, teils kompensatorische und teilweise kritische Funktionen erfüllen. Analoges lässt sich auf der globalen Ebene beobachten: Neben der Vorstellung einer sich konstituierenden öffentlichen Meinung der Weltgesellschaft finden sich einzelgesellschaftlich bestimmbare öffentliche Meinungen sowie Stimmen und Strukturen, die sich als Träger der öffentlichen Meinung von Einheiten verstehen, die wie Ethnien, Kulturen, Regionen oder bestimmte soziale Gruppen unterhalb der nationalstaatlich verfassten Gesellschaften angesiedelt sind (D. Morley, K. Robins), zugleich aber - insbesondere durch die neuen, personen- und situationsbezogen nutzbaren Medien (z. B. Internet) - weltweite Kommunikation ermöglichen und so die globale Ebene öffentlicher Meinung bilden beziehungsweise beeinflussen können.
 
Weitere Informationen zu diesem Thema finden Sie v. a. auch in den folgenden Artikeln:
 
Aufklärung · Demokratie · Gesellschaftskritik · Journalismus · Manipulation · Massenmedien · Meinungsforschung · Öffentlichkeit · Partizipation
 
Literatur:
 
E. Fraenkel: Ö. M. u. internat. Politik (1962);
 W. Lippmann: Die ö. M. (a. d. Amerikan., 1964, Nachdr. 1990);
 O. Negt u. A. Kluge: Öffentlichkeit u. Erfahrung (Neuausg. 1983);
 U. Beck: Gegengifte. Die organisierte Unverantwortlichkeit (31990);
 G. Anders: Die Antiquiertheit des Menschen, 2 Bde. (Neuausg. 1992);
 R. Koselleck: Kritik u. Krise. Eine Studie zur Pathogenese der bürgerl. Welt (71992);
 N. Luhmann: Ö. M., in: N. Luhmann: Polit. Planung (41994);
 N. Luhmann: Die Realität der Massenmedien (21996);
 
Ö. M.: Theorie, Methoden, Befunde, hg. v. J. Wilke (21994);
 
Öffentlichkeit, ö. M., soziale Bewegungen, hg. v. F. Neidhardt (1994);
 D. Morley u. K. Robins: Spaces of identity. Global media, electronic landscapes and cultural boundaries (London 1995, Nachdr. ebd. 1996);
 D. Dayan u. E. Katz: Media events. The live broadcasting of history (Neudr. Cambridge, Mass., 1996);
 J. Habermas: Der Strukturwandel der Öffentlichkeit (Neuausg. 51996);
 E. Noelle-Neumann: Ö. M. Die Entdeckung der Schweigespirale (Neuausg. 1996);
 R. Sennett: Verfall u. Ende des öffentl. Lebens. Die Tyrannei der Intimität (a. d. Amerikan., Neuausg. 1996);
 Winfried Schulz: Polit. Kommunikation (1997).

Universal-Lexikon. 2012.