Dante Alighieri
[- ali'gi̯ɛːri], italienischer Dichter, * Florenz Mai 1265, ✝ Ravenna 14. 9. 1321. Von Dantes Kindheit und Jugend ist wenig bekannt; er erwarb sich schon in jungen Jahren, verständnisvoll gefördert von seinem Lehrer B. Latini, eine gelehrte Bildung und stand den bedeutendsten Künstlern seiner Vaterstadt nahe, so dem Musiker Pietro Casella (* um 1250, ✝ vor 1300) und dem Maler Giotto. Die Gedichte des jungen Dante wetteiferten bereits mit denen von G. Cavalcanti, Lapo Gianni und Dino Frescobaldi (* 1271, ✝ vor 1316). Mit neun Jahren sah er zum ersten Mal Beatrice, der Überlieferung nach die Tochter des Florentiner Bürgers Folco Portinari, die er in seinen Dichtungen verherrlichte. Sie starb im Alter von 24 Jahren im Juni 1290. Um 1293 heiratete D. Gemma Donati. Aus der Ehe gingen zwei Töchter und drei Söhne hervor. Ab 1295 war Dante politisch tätig und bekleidete ab 1296 verschiedene Ämter in Florenz (er war Mitglied des Rates der Hundert, 1300 einer der sechs Priori). Im Kampf um die Unabhängigkeit von Florenz gegen die Einmischungsversuche des Papstes Bonifatius VIII. verstrickte er sich in eine erfolglose Opposition. Er wurde 1302 aus Florenz verbannt und kurz darauf zum Tode verurteilt. Ab 1303 führte er ein Wanderleben, das ihn zunächst nach Verona an den Hof der Scaliger und 1306 zu Markgraf Franceschino Malaspina (✝ 1318) in der Lunigiana führte. 1310 zog Dante Kaiser Heinrich VII. entgegen, von dem er die Wiederherstellung der römischen Weltherrschaft erwartete. Der Tod Heinrichs (1313) machte diese Hoffnung zunichte. 1314 lebte Dante in Lucca, in den letzten Jahren in Ravenna, als Gast des Herrschers Guido Novella da Polenta. Er wurde im Franziskanerkloster von Ravenna beigesetzt.
Dantes literarisches Werk reflektiert in einzigartiger Weise Konzentration und Sublimierung individueller Leiden, Verwicklung in zeitgenössische politische Geschehen sowie Bildungshorizont und geistige Ordnung des späten Mittelalters. Seine kleineren Werke (»opere minori«) sind teils in italienischer, teils in lateinischer Sprache geschrieben. In italienischer Sprache: »La vita nuova« (entstanden 1292-95, gedruckt 1576; deutsch »Das neue Leben«), eine poetische Darstellung seiner Jugendliebe zu Beatrice. Die 31 Gedichte (25 Sonette, 4 Kanzonen, eine Ballata, eine Stanze) vereinigte er nachträglich durch eine Art Prosakommentar, sodass ein Werk entstand, das in seiner Gesinnung und in der Terminologie der Liebestheorie des Dolce stil nuovo verbunden ist. Traum, Vision und Wirklichkeit verschmelzen zu einer ersten Ausgestaltung des neuen, außerordentlichen Lebens im Zeichen der Stilisierung der Geliebten. Die »Rime« (früher »Il canzoniere« genannt; deutsch »Lyrische Gedichte«) sind eine Sammlung von Minneliedern sowie Gedichten philosophischen (die Kanzone »Tre donne intorno al cor« preist die Gerechtigkeit) und satirischen Inhalts. Einige dieser Minnelieder, »canzoni pietrose« genannt, weil die besungene Frau mit einem Stein (»pietra«) verglichen wird, sind von sinnlicher Leidenschaft erfüllt, stilistisch beeinflusst von der provenzalischen Lyrik. Diese spätestens 1305 abgeschlossenen Gedichte haben sich von den literarischen Konventionen des Dolce stil nuovo weitgehend befreit. »Il convivio« (entstanden zwischen 1306 und 1308, gedruckt 1490; deutsch »Das Gastmahl«), das erste Beispiel italienischer wissenschaftlicher Prosa, ist eine philosophische Enzyklopädie in Form eines Kommentars zu einzelnen Kanzonen. Das Werk ist Fragment geblieben. Der systematische Plan, die Mystik des Dolce stil nuovo mit der aristotelisch-thomistischen Lehre zu verbinden, wurde nicht ausgeführt.
In lateinischer Sprache verfasst sind: »De vulgari eloquentia«, eine nach 1305 entstandene (gedruckt 1529; deutsch »Über die Volkssprache«), unvollendete (nur zwei Bücher) Abhandlung über den Ursprung und das Wesen der italienischen Literatursprache, die eine erste Klassifikation der italienischen Dialekte enthält. Das zweite Buch enthält eine Verslehre. »De monarchia«, eine zwischen 1310 und 1315 verfasste (gedruckt 1559; deutsch »Über die Monarchie«) Abhandlung über die Idee vom Weltreich und Weltkaisertum, ist Dantes politisches Bekenntnis. Mit seiner scharfen Scheidung der Sphäre der Kirche von der des Reiches steht Dante im Gegensatz zu vielen Theoretikern seiner Zeit. Die »Epistulae« sind für die Erklärung der »Göttlichen Komödie« sehr wichtige Briefe. Die »Eclogae« (entstanden um 1319, gedruckt 1718) sind zwei an Giovanni del Virgilio, Lehrer in Bologna, gerichtete Hirtengedichte. Die »Quaestio de aqua et terra« (entstanden 1320, gedruckt 1508) ist eine Disputation in scholastischer Form.
Dantes Hauptwerk ist die in toskanischer Mundart geschriebene »Divina Commedia« (deutsch »Die Göttliche Komödie«), ein allegorisch-lehrhaftes Gedicht in 100 Gesängen mit 14 230 Versen in Terzinen, das von Dante nur »Commedia« genannt wurde (»divina« als Epitheton wurde erstmals von G. Boccaccio und dann 1555 im Titel von L. Dolces Ausgabe verwendet). Dante begann mit der Ausführung wahrscheinlich erst 1311 und arbeitete daran bis zu seinem Tode. Es besteht aus drei Hauptteilen, Inferno (Hölle), Purgatorio (Läuterungsberg), Paradiso (Paradies) mit je 33 Gesängen, die zuerst einzeln erschienen, und einem einleitenden Gesang. Die beiden wichtigsten Handschriften »Il codice Landiano« und »Il codice Trivulziano 1080 della Divina Commedia« sind 1336 und 1337 geschrieben. Aus Dantes Zeit ist keine Handschrift überliefert. Der erste Druck erschien 1472. - Die »Divina Commedia« als allegorisches Lehrgedicht ist die »Geschichte der visionären Wanderung des Dichters« durch die drei nach dem ptolemäischen Weltbild angeordneten Reiche des Jenseits. Dem allegorischen Sinn des Mittelalters nach ist sie die Darstellung des Weges, der die sündige Seele zum ewigen Heil führt. Geleitet wird Dante von Vergil, der Verkörperung von Vernunft, Wissenschaft und Philosophie, den Beatrice, die verklärte Jugendliebe, jetzt das Symbol der göttlichen Gnade, gesandt hat. Dieser führt ihn durch die neun Höllenkreise auf den Berg der Läuterung, der bei Dante an die Stelle des Fegefeuers tritt. Im Paradies übernimmt Beatrice selbst die Führung durch die neun Himmel bis zur Anschauung der Gottheit. Auf seiner Wanderung spricht Dante mit den Seelen berühmter Verstorbener über Fragen der Theologie und Philosophie, über die Kirche, den Staat und Italien. So umfasst die »Divina Commedia« enzyklopädisch die geistigen Themen des Mittelalters.
Die eingehende Beschäftigung mit dem Werk Dantes begann bald nach seinem Tod. Florenz errichtete 1373 einen Dante-Lehrstuhl, den als erster G. Boccaccio innehatte. In einem tieferen Sinn beginnt die Dante-Erklärung erst seit seiner Wiederentdeckung durch die deutsche und italienische Romantik. Erst jetzt wurde Dante neben Shakespeare und Cervantes genannt. A. W. Schlegel übersetzte einige Gesänge der »Divina Commedia«, Schelling und Hegel erkannten als Erste die philosophische Einheit und deuteten sie als Bild des Universums. Die »Divina Commedia«, die erste herausragende Dichtung in der italienischen Volkssprache, ist in fast alle lebenden Sprachen und auch ins Lateinische, Griechische und in Esperanto übersetzt worden. Sie wurde sehr oft illustriert (u. a. von S. Botticelli und G. Doré) und hat der bildenden Kunst bedeutende Anregungen gegeben (u. a. A. Orcagna, L. Signorelli, Raffael, Michelangelo, E. Delacroix, S. Dalí, R. Rauschenberg).
Ausgaben: Le opere. Nach dem Text von P. Toynbee herausgegeben von E. Moore (41924); Opere. Testo critico della Società Dantesca italiana, herausgegeben von M. Barbi u. a. (21960); Le opere. Edizione nazionale (1965 folgende); La Commedia secondo l'antica vulgata, herausgegeben von G. Petrocchi (Neuausgabe 1975).
Übersetzungen:
Poet. Werke, hg. v. R. Zoozmann, 4 Bde. (1908; ital. u. dt.);
Die göttl. Komödie, dt. Übers. v. K. Voßler (1942);
Das neue Leben. Nachw. v. U. Leo (1964; ital. u. dt.).
E. Auerbach: D. als Dichter der ird. Welt (1929, Nachdr. 2001);
T. Ostermann: D. in Deutschland. Bibliogr. der dt. D.-Lit. 1416-1927 (1929);
A. Renaudet: D. humaniste (Paris 1952);
P. Renucci: D., disciple et juge du monde gréco-latin (Paris 1954);
U. Cosmo: Guida a D. (Neuausg. Florenz 1962);
Atti del Congresso Internazionale di Studi danteschi (Florenz 1965);
Centenary essays on D., by members of the Oxford Society (Oxford 1965);
D. A., mit Beiträgen v. H. Rheinfelder u. a. (1966);
Enciclopedia dantesca, hg. v. U. Bosco, 5 Bde. u. Nachtrag (Rom 1970-78);
G. Fallani: D. moderno (Ravenna 1979);
K. Leonard: D. A. in Selbstzeugnissen u. Bilddokumenten (22.-24. Tsd. 1981);
G. Petrocchi: Vita di D. (Rom 1983);
A. Altomonte: D. Eine Biogr. (a. d. Ital., Neuausg. 1994);
J. Risset: D. Une vie (Paris 1995).
Zur Göttlichen Komödie: K. Vossler: Die Göttl. Komödie, 2 Bde. (21925);
G. Ledig: D.s Göttl. Komödie, in den einzelnen Gesängen aus mittelalterl. Denken erläutert (1943);
A. Rüegg: Die Jenseitsvorstellungen vor D. u. die übrigen literar. Voraussetzungen der Divina Commedia, 2 Bde. (Einsiedeln 1945; quellenkrit. Komm.);
Die Göttl. Komödie. Kommentar. Übers. v. H. Gmelin, 3 Bde. in 6 Tlen. (21966-70);
A. Marchese: Guida alla Divina Commedia, 3 Bde. (Turin 1975-76);
C. S. Singleton: Poesia della Divina Commedia (Bologna 21983);
M. Roddewig: Die Göttl. Komödie. Vergleichende Bestandsaufnahme der Commedia-Hss. (1984).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Dante Alighieri: Göttliche Komödie - Der geistige Kosmos des Mittelalters
Universal-Lexikon. 2012.