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Tou|ris|mus [tu'rɪsmʊs], der; -:das Reisen, der Reiseverkehr [in organisierter Form] zum Kennenlernen fremder Orte und Länder und zur Erholung:
der Tourismus hat in den letzten Jahren stark zugenommen; in der Gegend gibt es kaum Tourismus; die Leute dort leben hauptsächlich vom Tourismus.
Zus.: Autotourismus, Fahrradtourismus, Massentourismus.
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Tou|rịs|mus 〈[ tu-] m.; -; unz.〉 das Reisen der Touristen [→ Tour, Tourist]
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das Reisen, der Reiseverkehr [in organisierter Form] zum Kennenlernen fremder Orte u. Länder u. zur Erholung:
den T. fördern, bremsen.
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Tourịsmus
[tu-; englisch tourism, zu tour »Ausflug«] der, -, im engeren Sinn verbreitete Freizeitaktivität der Bevölkerung, die mit Erholung und Vergnügen verbunden ist und für die sich eine touristische Dienstleistungswirtschaft herausgebildet hat. Diese v. a. als spezifische Erscheinungsform der entwickelten Industriestaaten zu betrachtende Art des Tourismus ist ein relativ junges Phänomen, das erst ab dem 19. Jahrhundert entstanden ist und gegen Ende des 20. Jahrhunderts einen gewissen Höhepunkt erreicht hat. In Fachkreisen wird der Begriff Tourismus zumeist im weiteren Sinn verwendet. Dabei interessieren alle Phänomene, die mit vorübergehendem Ortswechsel von Personen zusammenhängen und mit mindestens einer Übernachtung verbunden sind (aber weniger als ein Jahr dauern). Insbesondere werden auch die für die Tourismuswirtschaft lukrativen Geschäftsreisen einbezogen. Für statistische und wirtschaftsanalytische Zwecke hat die Welttourismusorganisation (WTO) 1993 eine international gültige Systematik entwickelt, nach der Tourismus alle »Aktivitäten von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort zu Freizeit-, Geschäfts- oder bestimmten anderen Zwecken nicht länger als ein Jahr ohne Unterbrechung aufhalten«, umfasst.
Im deutschen Sprachraum werden die Begriffe Tourismus, Fremden-, Reiseverkehr und Touristik weitgehend synonym verwendet. Im alltäglichen Sprachgebrauch kommt es ferner zu einer Gleichsetzung von Urlaub und Tourismus, obwohl während des Urlaubs nicht zwangsläufig gereist werden muss und Tourismus mehr als Urlaubsreisen umfasst. Um die Vielfalt des Tourismus und seiner Erscheinungsformen genauer darzustellen und abzugrenzen, werden zusätzliche Attribute benötigt. Hierzu dienen v. a. drei Kriterien, die auch als konstitutive Elemente des Tourismus (Walter Freyer) gesehen werden: 1) Zeit/Dauer: Tourismus erfordert mindestens eine Übernachtung und dauert nicht länger als ein Jahr. Ferner wird zwischen Kurz-, Wochenend-, Urlaubs- und Langzeittourismus unterschieden. Reisen ohne Übernachtung gelten als Tagesausflüge. 2) Ort/Raum: In Bezug auf die Entfernung und das Reiseziel gibt es die Klassifikationen Nah- oder Ferntourismus. Neben dem Inlandstourismus (Domestic tourism) interessiert v. a. der grenzüberschreitende Tourismus (zwischenstaatlicher, internationaler, interkontinentaler Tourismus), bei dem zwei Reiserichtungen unterschieden werden: Einreise- oder Ausreisetourismus (Incoming-/Inbound-Tourismus beziehungsweise Outgoing-/ Outbound-Tourismus). 3) Motiv/Anlass der Reise: Als wichtigste internationale Reiseanlässe unterscheidet die WTO Freizeit, Erholung und Urlaub/Ferien, Besuch bei Freunden und Verwandten, Geschäft und Beruf, Gesundheit und Genesung (Kur- und Bäderreisen) sowie Religion/Wallfahrt; zu den sonstigen Reisemotiven zählen v. a. Kultur-, Sport-, Abenteuertourismus. - Neben diesen Elementen des Tourismus dienen weitere Kriterien, wie Organisationsformen (Pauschal- oder Individualtourismus), Verkehrsmittel (Bahn-, Pkw-, Bus-, Rad-, Schiffs-, Flugtourismus), Teilnehmerzahl (Single-, Partner-, Gruppentourismus), zur Differenzierung und Charakterisierung des Reiseverhaltens.
Der Drang zur Ortsveränderung existiert bereits seit Beginn der Menschheitsgeschichte. Die meisten historischen Reisen erfolgten jedoch nicht freiwillig, sondern aufgrund von Kriegen, Flucht, Suche nach Nahrung, Armut, Krankheiten, Handel beziehungsweise aus politischen und religiösen Gründen. Eine erste Urform des modernen Tourismus kann bereits in den frühen Hochkulturen festgestellt werden, in denen auch Reisen aus Neugierde (z. B. Herodot), Vergnügen (z. B. »Pyramiden-T.« im alten Ägypten) oder zur Erholung unternommen wurden. Im MA fanden vorwiegend zweckgerichtete Reisen statt, z. B. waren Kaiser und Könige zum Teil mit ihrem gesamten Hofstaat unterwegs, um an den verschiedenen Stellen ihres Einflussgebietes zu regieren. Eine große Mobilität bewiesen auch Handwerksgesellen, Mönche und wagemutige Einzelgänger (z. B. Marco Polo). Im Spätmittelalter kam es zudem zu Pilger- und Wallfahrten unter Beteiligung breiter sozialer Schichten.
Von Tourismus im engeren Sinn kann erst seit dem 18. Jahrhundert gesprochen werden. Zu dieser Zeit wurde die Reise zum Selbstzweck, und als Reisemotiv rückte das Kennenlernen von Land und Leuten in den Vordergrund. Zunächst galt Reisen noch als Privileg wohlhabender Schichten, sodass vorwiegend junge Adlige die von England ausgehende »Grand Tour« bewältigten, die durch verschiedene europäischen Länder führte und zum Bildungsmaßstab der damaligen Zeit wurde. Der Masse der Bevölkerung fehlte es jedoch sowohl an der erforderlichen Freizeit als auch an den notwendigen finanziellen Mitteln. Mit der Entstehung frühmoderner Territorialstaaten, dem Aufstieg des Bürgertums und gefördert durch technische Entwicklungen, v. a. im Verkehrsbereich, zunehmende innere Sicherheit sowie den Ausbau von urbanen Zentren und Heilbädern begann sich ein neuer Reisetyp zu formieren, die Bildungs- und Erholungsreise. Literatur über die Kunst des Reisens, verstärkt durch eine Vielzahl von Erfahrungsberichten, sowie Reiseführer und -handbücher (Reiseliteratur) ließen ein neues Reisefieber entstehen. Der Wunsch nach dem Erleben fremder Menschen und Kulturen erfasste zunehmend breitere Gesellschaftsschichten. Zudem äußerte sich eine wachsende Naturbegeisterung als Gegenpol zur Entwicklung des gesellschaftlichen Fortschritts im Drang nach dem Erleben der Bergwelt und der Meeresküsten (»Sommerfrische«). Ausdruck dafür waren u. a. die Alpenreisen (Alpentouristik) sowie die Entstehung von Kur- und Badereisen, u. a. in die Seebäder an Nord- und Ostsee seit Mitte des 18. Jahrhunderts. Veränderungen des touristischen Reiseverhaltens zeichneten sich im 19. Jahrhundert mit dem Aufkommen organisierter Reiseformen als Pauschal- oder Gesellschaftsreisen mit kompletten Arrangements ab. Die Entwicklung der Dampfkraft und damit des Dampfschiffes (R. Fulton, 1807) sowie der -lokomotive (G. Stephenson, 1814) führten zu einer Beschleunigung und Verbilligung des Verkehrs. In Verbindung mit dem Ausbau des Post- und Nachrichtenwesens sowie der Entwicklung des europäischen Straßennetzes kam es zu einem Anstieg der Reisetätigkeit. Ein höherer Wohlstand der Gesellschaft infolge der Industrialisierung und die Freistellung ganzer Bevölkerungsgruppen von Erwerbsarbeit begünstigten diese Entwicklung. In diesem Zusammenhang bildeten sich organisierte Reiseunternehmen (erste touristische Gruppenreise durch T. Cook 1841) und spezielle Anbieter touristischer Informationen (Gründung des ersten deutschen Verlages für Reisebücher durch K. Baedeker 1827 in Koblenz) heraus. Mit der Gründung von Reisebüros (Cook, 1845 in Leicester; L. und C. Stangen, 1863 in Breslau und Berlin) und der Etablierung eines Beherbergungs- und Versorgungsgewerbes entwickelte sich im Laufe der Zeit eine eigenständige Tourismusinfrastruktur. Eine zunehmende Rolle für die Entwicklung des Tourismus spielten auch Gebirgs-, Wander-, Trachten-, Verkehrs- sowie Arbeiterfreizeitvereine (Naturfreunde) und die Jugendbewegung (Wandervogel). Neben der Vermarktung von Brauchtum und Landschaft förderten diese Vereine das Selbstverständnis touristischer Reisen. - Nach einem vorübergehenden Rückgang infolge des Ersten Weltkrieges erreichte der Tourismus danach im Rahmen einer organisierten Urlaubs- und Freizeitgestaltung einen weiteren Aufschwung. Mithilfe der nationalsozialistischen Organisation »Kraft durch Freude« (KdF) entstand in Deutschland ein staatlich geförderter und kontrollierter Pauschaltourismus für breite Bevölkerungsschichten (bis 1939 rd. 43 Mio. organisierte Reisen, davon 84 % Tagesausflüge). In der nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzenden Hochphase des Tourismus gewann der Auslands- und Ferntourismus als Ausdruck von Wohlstand, Ungebundenheit und Mobilität an Bedeutung. Technischer und sozialer Fortschritt ermöglichten großen Teilen der Gesellschaft auch das Reisen in ferne Länder. Die Erschließung neuer Verkehrsmittel (Flugzeug, Hochgeschwindigkeitszug) sowie die Modernisierung der Informationstechnologie verkürzten nicht nur Reisezeiten, sondern förderten auch spontane Reiseentscheidungen (Last-Minute-Tourismus) sowie den Wochenend- und Kurzurlaub (Städtetourismus). Gegenwärtig wird der Tourismus v. a. durch die Herausbildung neuer Reiseziele und -formen, aber auch durch einen Verdrängungswettbewerb innerhalb der Tourismuswirtschaft sowie das Erreichen von ökologischen und sozialverträglichen Grenzbereichen touristischen Wachstums geprägt.
Erklärungen der Einzelwissenschaften
Für die Analyse und Erklärung des Phänomens Tourismus hat sich bisher keine einheitliche Sichtweise durchgesetzt, vielmehr wird Tourismus aus dem Blickwinkel verschiedener wissenschaftlicher Einzeldisziplinen betrachtet. Während die Wirtschaftswissenschaften seine ökonomischen Dimensionen (z. B. Angebot von und Nachfrage nach Tourismusprodukten, Beitrag des Tourismus zum Sozialprodukt, Managementaufgaben von Tourismusbetrieben) analysieren, untersucht die Soziologie gesellschaftliche Aspekte wie Gruppenaktivitäten, Sozialordnungen, gesellschaftliche Werte (und deren Wandel), Organisationen, Bürokratie. Die Ökologie wiederum beschäftigt sich mit Fragen der Umweltbelastung und -gestaltung und die Geographie mit raumwirksamen Aspekten des Tourismus. Die Psychologie interessiert sich beispielsweise für individuelle Einstellungen und Verhaltensweisen, Persönlichkeitsmerkmale, Bedürfnisse und Motive der Reisenden, und die Politikwissenschaft gibt u. a. Erklärungen für nationale und internationale Bestimmungen des Reiseverkehrs. Analog übertragen auch andere Wissenschaftsbereiche ihre Methoden und Fragestellungen auf den Tourismus, z. B. die Verkehrs-, Rechts-, Freizeit-, Kulturwissenschaft, Raumplanung, Landespflege, Architektur und Medizin. Insgesamt gilt Tourismus als ein multidisziplinäres Phänomen beziehungsweise als Querschnittsdisziplin.
Auf die zentrale Frage, warum Menschen überhaupt reisen, geben die einzelnen Wissenschaftsdisziplinen unterschiedliche Antworten. Erklärungen, dass die Reisenachfrage aus einem Naturgesetz oder einem biologischen Bedürfnis erwächst, haben sich nicht durchgesetzt. Weder existiert ein »Wandertrieb«, noch ist das »Nomadentum« die eigentliche Ursache des Tourismus. Betrachtet man das Reisen im historischen Kontext, so wird deutlich, dass es über lange Zeit hinweg im Wesentlichen außenbestimmt und weitgehend unfreiwillig erfolgte. Erst seit Ende des 19. Jahrhunderts wurde das Reisen zur freien oder freiwilligen Beschäftigung breiter Bevölkerungskreise mit Vergnügungscharakter, für die sich ein eigener Wirtschaftsbereich, die Freizeit- und Tourismuswirtschaft, entwickelt hat. Touristische Reisen müssen nicht zwangsläufig durchgeführt werden, auch wenn sie bestimmten Zwecken dienen oder auf psychologische, soziologische oder ökonomische Faktoren zurückgeführt werden können. Neben dem Spaß- und Freudemotiv spielen auch die Regeneration der Arbeitskraft, Bildung und Kommunikation eine Rolle. So gesehen ist Tourismus nicht immer »reiner Selbstzweck«. Ein weiterer Erklärungsversuch bezieht sich auf den Gegensatz von Alltags- und Urlaubswelt. So verstanden ist Tourismus v. a. ein »Weg-von-Reisen«, eine »Flucht aus dem Alltag«, der als System von Zwängen, in denen die wahren Wünsche nicht ausreichend ausgelebt werden können, betrachtet wird; auf Reisen will der Tourist das erleben, was ihm sonst fehlt (»Defizittheorie« beziehungsweise »Konträrhaltung«). Das »Weg-von-Reisen« enthält aber auch positive Aspekte (»Komplementärhaltung«): Der Tourist sucht am Urlaubsort das Neue, Andere, Authentische, Außergewöhnliche, freie Zeiteinteilung, aber auch Prestige und Anerkennung, schönes Wetter sowie das Ausleben bestimmter Wünsche (z. B. Kommunikation, Sexualität). Als Teil des zielorientierten Reisens wird Tourismus gelegentlich mit Festen, Ritualen oder mit Spielen verglichen (Christoph Hennig).
Der moderne Tourismus wird in engem Zusammenhang mit dem Entstehen einer eigenständigen Tourismuswirtschaft gesehen. Entsprechende ökonomische Erklärungen betrachten ihn als Zusammenwirken von Angebots- und Nachfragefaktoren, die über Märkte koordiniert werden. Hierbei ist strittig, was letztlich Ursache oder Wirkung ist. Sind es die Bedürfnisse der Menschen zu reisen, die die Tourismuswirtschaft haben entstehen lassen, oder ist es umgekehrt der Wirtschaftsfaktor Tourismus, der die Menschen mit seinen Angeboten und Werbemaßnahmen zum verstärkten Reisen animiert? Tatsache ist, dass durch die moderne Tourismuswirtschaft vielfältige Möglichkeiten zur Realisierung von Reiseträumen und -wünschen geboten werden, die sonst nicht zur Verfügung stünden (z. B. weltweite Flug- und Beherbergungsmöglichkeiten, Freizeitattraktionen). Diese Aktivitäten der Tourismusunternehmen wirken sicherlich verstärkend, ohne dass damit Tourismus zu einer reinen »Veranstaltung des Kapitalismus« wird, wie Kritiker (z. B. Gerhard Armanski) gelegentlich behaupten.
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Aspekte
Hinsichtlich der Bewertung und Entwicklung des Tourismus hat sich weitgehend der Aspekt der Nachhaltigkeit (nachhaltige Entwicklung) durchgesetzt, der v. a. in Bezug auf drei Teilbereiche gesehen wird: 1) Ökonomische Nachhaltigkeit bedeutet einen ertragreichen Tourismus für alle an der Tourismuswirtschaft Beteiligten, speziell bezogen auf Wertschöpfung und Arbeitsmarkt. Ökonomische Effekte sollen vorrangig für die betreffende Region und deren Bewohner erzielt werden. 2) Ökologische Nachhaltigkeit zielt auf Ressourcenschonung und minimale Belastung der entsprechenden Ökosysteme sowie Erhalt der natürlichen Umwelt auch für künftige Generationen. 3) Soziale oder soziokulturelle Nachhaltigkeit erwartet Rücksicht auf Sitten, Tradition und Kultur der bereisten Region, ferner Partizipation aller Anspruchsgruppen an der touristischen Entwicklung. Diese drei Teilziele sind in den verschiedenen Tourismusregionen unterschiedlich, zum Teil nur unzureichend erfüllt. Während die ökonomische Entwicklung überwiegend als positive Chance gesehen wird, werden bei den ökologischen und soziokulturellen Auswirkungen des Tourismus vielfach die negativen Trends in den Vordergrund gestellt.
Der Tourismus hat sich im 20. Jahrhundert angesichts gestiegenen Massenkonsums und erweiterter Freizeit in vielen Ländern zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor entwickelt. Transport-, Beherbergungsunternehmen, Reiseveranstalter und -vermittler, die unmittelbar mit der Vorbereitung und Durchführung von Reiseaktivitäten beschäftigt sind, zählen zur touristischen Kernwirtschaft. Hinzu kommen ergänzende und unterstützende Betriebe, die sich mit einem Teil ihrer Geschäftsfelder auf Tourismus spezialisiert haben (z. B. Reiseversicherungen, Verlage für Reiseliteratur). Aber auch andere Unternehmen (v. a. in den Bereichen Einzelhandel, Handwerk, sonstige Dienstleistungen) erzielen durch den Tourismus zusätzliche Umsätze und Beschäftigungsmöglichkeiten.
Weltweit werden gegenwärtig rd. 10 % des Bruttosozialprodukts (BSP) durch den Tourismus erwirtschaftet, ähnlich hoch ist der Anteil der in diesem Wirtschaftssektor Beschäftigten. Dabei konzentriert sich die internationale Statistik v. a. auf den weltweiten zwischenstaatlichen Reiseverkehr, d. h., nationale Reiseströme (Binnentourismus) werden zumeist außer Acht gelassen. Diese Betrachtungsweise führt dazu, dass Deutschland als Land der »Reiseweltmeister« bezeichnet wird, da die Deutschen weltweit am meisten über ihre Landesgrenze hinaus verreisen (über 50 %). Die Bewohner anderer Länder verbringen i. d. R einen Großteil ihres Urlaubs im eigenen Land (US-Amerikaner z. B. über 90 %). Das mag mit Lage, Größe, Wetter, dem Tourismusangebot, aber auch mit Mentalität und Einkommenssituation der Bevölkerung des jeweiligen Landes zusammenhängen. Vergleicht man die Einnahmen und Ausgaben der OECD-Staaten im internationalen Reiseverkehr, so wird dieser Eindruck bestätigt. Für Deutschland betrugen diese Zahlen (1995) 16,22 Mrd. US-$ beziehungsweise 50,67 Mrd. US-$, für die USA 3,24 Mrd. US-$ beziehungsweise 45,86 Mrd. US-$, für Japan 3,24 Mrd. US-$ beziehungsweise 36,83 Mrd. US-$ und für Frankreich 27,53 Mrd. US-$ beziehungsweise 16,33 Mrd. US-$. Insgesamt hat sich das weltweite Reiseaufkommen (Zahl der registrierten Ankünfte) von 1956 bis 1996 fast verzehnfacht und seit 1980 mehr als verdoppelt; auch die Umsätze weisen eine dynamische Entwicklung auf. Allerdings sind die einzelnen Ländergruppen in unterschiedlichem Maße daran beteiligt: 55,35 % der registrierten Ankünfte und 63,75 % der touristischen Gesamteinnahmen entfallen (1996) auf die Industriestaaten, 30,6 % beziehungsweise 30,39 % auf Entwicklungsländer und 14,5 % beziehungsweise 5,86 % auf die mittel- und osteuropäischen Staaten. Über 50 % des internationalen Reiseverkehrs sind auf zehn Länder (USA, Italien, Frankreich, Spanien, Großbritannien, Deutschland, Österreich, Hongkong, China und Schweiz) konzentriert und drei Viertel der beliebtesten Tourismusdestinationen befinden sich in nur 20 Ländern der Erde.
Die Besonderheiten des Wirtschaftszweiges Tourismus folgen aus dem Dienstleistungscharakter, der Kapitalintensität und der Konjunktur- und Saisonabhängigkeit sowie aus der Abhängigkeit von natürlichen (Klima, Topographie, Landschaft) und infrastrukturellen Gegebenheiten (Beherbergungs- und Verpflegungsangebot, Einrichtungen für Sport und Freizeitgestaltung, Verkehrswege usw.). Seine wirtschaftliche Bedeutung zeigt sich äußerst differenziert, je nachdem, ob man die internationalen, nationalen, regionalen oder lokalen Auswirkungen analysiert. Für die volkswirtschaftlichen Effekte sind v. a. folgende Bereiche relevant: 1) Die Berechnung des Wirtschaftsfaktors Tourismus erfolgt zumeist in Hinblick auf seinen Beitrag zur Wertschöpfung, gemessen am Sozialprodukt. Da die Tourismuswirtschaft neue Sachgüter und Dienstleistungen erstellt, kann dem Tourismus einerseits eine Lokomotivfunktion in Bezug auf die wirtschaftliche Entwicklung zukommen, andererseits besteht bei einer zu starken einseitigen Ausrichtung die Gefahr einer krisenanfälligen Tourismusmonostruktur. Weltweit konzentriert sich die touristische Wertschöpfung zu rd. 50 % auf die europäischen Länder, rd 20 % werden in Nordamerika und Ostasien und nur etwa 10 % in Entwicklungsländern erwirtschaftet. - Da viele der zunehmend global agierenden Tourismusunternehmen (z. B. Fluggesellschaften, Computerreservierungssysteme, Hotelketten, große Reiseveranstalter) zumeist aus Europa und Nordamerika kommen, fließt ein Großteil der Direktinvestitionen über die Gewinne in diese Regionen zurück. 2) Die Produktion touristischer Leistungen schafft Einkommen und hat damit Arbeitsmarkt- beziehungsweise Beschäftigungseffekte. Neben den positiven Beschäftigungswirkungen wird oftmals die Qualität der Arbeitsplätze im Tourismus (ungünstige Arbeitszeiten, Saisonabhängigkeit, zum Teil niedrige Löhne und Notwendigkeit von Kinder- und Familienarbeit) kritisiert. Auf der Nachfrageseite interessiert ferner die Verwendung des Einkommens für das Reisen als touristischer Konsum. So wird z. B. in Deutschland durchschnittlich ein Monatseinkommen für die jährliche Urlaubsreise ausgegeben. 3) Tourismus bewirkt wichtige Import- und Exporteffekte, sowohl im internationalen Rahmen (Außenwirtschaftsbeitrag) als auch in Regionen und Kommunen (regionale Effekte). Für Länder mit Zahlungsbilanzüberschüssen kann eine verstärkte Reisetätigkeit der Bevölkerung, die gleichbedeutend mit Dienstleistungsimporten ist, zu einer (erwünschten) Ausgleichsfunktion der gesamten Leistungs- und damit der Devisenbilanz führen, z. B. in Deutschland oder Japan. Für andere Staaten (z. B. zahlreiche Entwicklungsländer) dient der Tourismus zur Erwirtschaftung von Devisen. Allerdings fällt der Nettodeviseneffekt oftmals weitaus geringer aus, da vielfach zusätzliche Waren und Know-how importiert werden müssen. Hinzu kommt, dass die kapitalschwachen Länder der Dritten Welt häufig auch Kosten für Regionalerschließung, Infrastrukturmaßnahmen sowie Umweltschädigungen zu tragen haben und dass die durch die Touristen eingeführten Geldmengen und Waren die lokalen Märkte bedrohen. 4) Weitere ökonomische Auswirkungen des Tourismus betreffen Preiseffekte sowie Verteilung und Konzentration.
Zu den gesellschaftlichen Faktoren, die den Tourismus in seiner heutigen Bedeutung hervorgebracht haben, gehören höhere Lebenserwartung, sozialpolitische Errungenschaften und Verstädterung, Zunahme an Einkommen und Vermögen, Verbesserung der Kommunikationsmöglichkeiten sowohl durch den Ausbau der Kommunikationstechniken und des Verkehrswesens als auch des Bildungswesens (Fremdsprachen). Hinzu kommt die Verinnerlichung von Orientierungsmustern wie Jugendlichkeit und Mobilität. Innerhalb eines Jahrhunderts haben sich in den westlichen Industrieländern die Lebenserwartung verdoppelt, die Erwerbszeit halbiert und die Realeinkommen im Durchschnitt verachtfacht. Der durchschnittliche Jahresurlaub ist z. B. in Deutschland von (1950) 12 auf (1996) 29,5 Tage gestiegen. Gesellschaftliche Bedeutung kommt dem Tourismus ferner dadurch zu, dass Urlaub und Freizeit als individuell und sozial akzeptierte, ja idealisierte Wunschräume eine erhebliche motivierende und mobilisierende Kraft entfalten können, die Arbeitsenergie, Geld und sonstige Ressourcen für sich nutzbar zu machen sucht. Entsprechend hoch sind vielfach Überforderungen in gesundheitlicher, aber auch in psychischer und sozialer Hinsicht (»Holiday-Syndrom«). In Bezug auf seine soziokulturellen Auswirkungen wird der Tourismus überwiegend kritisch gesehen. Das Grundproblem resultiert aus dem Zusammentreffen von Menschen in sehr unterschiedlichen Lebenssituationen und aus verschiedenen Kulturräumen. Während sich die Touristen zumeist in einer Ausnahmesituation befinden und in ihrer »Freizeitwelt« Spaß und Vergnügen suchen, werden die in der Alltags- und Arbeitswelt der Gastgeber vorhandenen Normen, Werte, Strukturen und Verhaltensweisen mit dieser Tourismuswelt konfrontiert. Da Anpassung und Veränderung überwiegend auf der Seite der Gastgeber erfolgen, gehen Ursprünglichkeit und Authentizität in den touristischen Zielgebieten verloren. Besonders auffällig sind solche Veränderungen bei Reisen in Dritte-Welt-Länder, wenn auch dieses Segment nur einen geringen Teil des Welttourismus ausmacht. Gelegentlich wird auch vom Tourismus als »neuer Form des Kolonialismus« gesprochen. Eine solche Bewertung stellt das Bewahren traditioneller Strukturen in den Vordergrund und verkennt den zwangsläufigen Wandel und die Modernisierung in der Weltgesellschaft, die nur zum Teil durch den Tourismus verursacht werden. Hauptbereiche für die Beurteilung soziokultureller Folgen des Tourismus sind Kultur, Kunst, Tradition, Sitte, Moral, Sozialstruktur, Umwelt, Religion, Gesundheit sowie Werteordnung. Zwar sind in allen Bereichen sowohl positive wie auch negative Effekte zu verzeichnen, zumeist sind Letztere aber besonders augenscheinlich: Tourismus zerstört die natürliche Umwelt der bereisten Länder durch den Bau touristischer Infrastruktur (Straßen, Flughäfen, Hotelanlagen), erhöhten Ressourcen- und Energieverbrauch, Abfallproduktion, Luftverschmutzung, andererseits werden aber auch Mittel für Erhalt und Förderung von Landschaftsschutzgebieten bereitgestellt. Negative Veränderungen in der Sozialstruktur betreffen v. a. die traditionellen Hierarchien, die Familienstrukturen sowie die Stellung von Mann und Frau. Auch bilden sich durch den Tourismus neue, vielfach stark durch ausländische Investoren dominierte Besitz- und Machtstrukturen heraus, die zu sozialen Spannungen führen können. In diesem Kontext ist auch auf die politische Instrumentalisierung des Tourismus durch Extremisten (Geiselnahmen, Terroranschläge auf Touristen) zu verweisen. In Bezug auf Kultur und Tradition werden einerseits traditionelle Feierlichkeiten und das Kunsthandwerk zunehmend kommerzialisiert und dem Geschmack der Touristen angepasst, wodurch die Authentizität vieler Veranstaltungen, Traditionen und Einrichtungen verloren geht. Andererseits dienen Museen und die Restauration von Bauwerken dem Schutz und dem Erhalt des kulturellen Erbes. Beispiele für negative Einflüsse des Tourismus auf die Werteordnung (Sitte, Moral und Religion) sind der Besuch von religiösen Stätten in Badekleidung und der Prostitutionstourismus. Nur wenn die Konzepte eines nachhaltigen Tourismus, der die Interessen und die kulturellen Besonderheiten der jeweiligen einheimischen Bevölkerung stärker berücksichtigt sowie mehr Zurückhaltung und Anpassung der Touristen postuliert, verstärkt Eingang in die moderne Tourismuswirtschaft finden, wird der Tourismus zu einer positiven Entwicklung für alle Beteiligten führen.
G. Armanski: Die kostbarsten Tage des Jahres. T. - Ursachen, Formen, Folgen (31986);
J. Krippendorf: Die Landschaftsfresser. T. u. Erholungslandschaft, Verderben oder Segen? (Bern 41986);
Der neue T., hg. v. K. Ludwig u. a. (21990);
Zur Sonne, zur Freiheit! Beitrr. zur T.-Gesch., hg. v. H. Spode (1991);
W. Althof: Incoming-T. (1996);
T. Kirstges: Expansionsstrategien im T. (21996);
Kultur-T., hg. v. A. Dreyer (1996);
H. W. Opaschowski: T. Systemat. Einf.. .. (21996);
K. Vorlaufer: T. in Entwicklungsländern (1996);
C. Hennig: Reiselust. Touristen, T. u. Urlaubskultur (1997);
W. Freyer: T.-Marketing (1997);
W. Freyer: T. Einf. in die Fremdenverkehrsökonomie (61998).
Hier finden Sie in Überblicksartikeln weiterführende Informationen:
Tourismus und Umwelt
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Tou|rịs|mus [tu...], der; - [zu ↑Tourist]: das Reisen, der Reiseverkehr [in organisierter Form] zum Kennenlernen fremder Orte u. Länder u. zur Erholung: den T. fördern, bremsen; das Land hat durch den T. zwar gewonnen, aber auch viel verloren; zwei stilecht nachgebaute Spreewaldkähne ... Sie sehen nach Sonntagsfahrten und T. aus (Berger, Augenblick 60).
Universal-Lexikon. 2012.